Der Klimawandel ist komplex, schwer zu verstehen und irgendwie abstrakt. Um mit diesem Vorurteil aufzuräumen, haben Klimaforscher der beiden internationalen Forschungsnetzwerke Future Earth Networks und Earth League den Stand der Wissenschaft zu zehn Fakten verdichtet. Wofür der jüngste Bericht des IPCC mehr als 2000 Seiten brauchte, präsentierten zwei der bekanntesten Klimaforscher der Welt – Johan Rockström vom Stockholm Resilience Centre und Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) - auf nur 13 Seiten. Die englischsprachige "Handreichung", angereichert mit aktuellen Forschungsergebnissen, soll die Delegationen der 197 Vertragsparteien in Bonn zum Handeln motivieren - aber auch Politikern in Städten und Regionen sowie jedem und jeder Interessierten eine einfach verständliche Übersicht geben.
Für die Chefin des UN-Klimasekretariats ist das Dokument ein großer Fortschritt der Klimakommunikation: "Wir haben immer noch Probleme, vielen Menschen und Politikern die Dringlichkeit des Themas beizubringen", so Patricia Espinosa am Montag in Bonn. "Trotz immer detaillierterer Forschungsergebnisse haben wir immer noch ein Problem, das Thema für alle verständlich rüberzubringen."
"Es geht um viele Menschenleben, die in Gefahr sind"
Die zehn "Must Knows" über den Klimawandel steigen mit der neuen geologischen Epoche des Menschenzeitalters ein, erklären die Gefahr der Kipp-Elemente (wie beispielsweise das Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes) und gehen besonders auf die Folgen des Klimawandels für die Gesundheit ein. Auf dieses Framing, also diesen Blickwinkel auf das Klimathema, weist auch PIK-Direktor Hans Joachim Schellnhuber hin: "Es geht um viele Menschenleben, die in Gefahr sind", warnt er. "Wenn der Monsun aufgrund von globalen Kettenreaktionen ausbleibt oder zu stark ausfällt, sind mit einem Schlag Millionen von Menschen betroffen." Klimawandel mache die Menschen krank und gefährde ihr Leben, ob durch Ertrinken, Hitze oder Hunger, so Schellnhubers drastische Warnung.
Das Zehn-Punkte-Papier benennt Rekordwerte, die 2016/17 bei verschiedenen Klimaindikatoren verzeichnet wurden, etwa bei der Ausdehnung des Meereises an den Polen oder bei der Stärke ost-atlantischer Wirbelstürme ; Quelle: Earth League
Den Meeresspiegelanstieg sowie Extremwetter haben die Forscher in dem auf der Bonner Klimakonferenz vorgestellten Zehn-Punkte-Papier direkt mit der Gefahr für Leib und Leben zusammengebracht: Steigen die globalen Durchschnittstemperaturen, dürften bis Ende des Jahrhunderts allein zwei Drittel der europäischen Bevölkerung von Extremwetter betroffen sein, so die Forscher. Die Folgen eines außer Kontrolle geratenden Klimasystems lassen laut dem Papier bereits heute Infektionskrankheiten ansteigen, in einigen Erdteilen bereits ausgerottete Krankheiten wie das Denguefieber wiederkehren oder auch die Zahl der Hitzetoten in Städten ansteigen.
Der Klimawandel steht vor der Tür
"Es geht nicht nur darum zu erklären, dass es in einigen Erdteilen etwas trockener und in anderen etwas nasser wird", erklärt Hans Joachim Schellnhuber. Menschen und Politiker müssten auf diese enormen Veränderungen durch das kollabierende Klimasystem richtig vorbereitet werden – dazu sei es unerlässlich, dass die Wissenschaft ihre Ergebnisse richtig kommuniziere. Der Klimawandel sei keineswegs "weit weg". Je genauer die Berechnungen würden, desto näher rückten auch die vor kurzem noch fernen Extremszenarien, wie das Eintreten sogenannter Kipp-Elemente, die Kettenreaktionen im Klimasystem auslösten und irreversibel seien.
Ob die Delegationen sich von dem Papier beeindrucken lassen, ist ungewiss. Allerdings sind sie laut Paris-Abkommen eigentlich dazu verpflichtet. "Die Vertragsstaaten müssen in ihren Entscheidungen den aktuellen Stand der Forschung berücksichtigen", zitiert Johan Rockström den Paris-Vertrag. Das Papier will das UN-Klimasekretariat denn auch "möglichst weit verbreiten", wie die Chefin des UN-Klimasekretariats in Bonn erklärte, "damit auch auf lokaler Ebene mehr Menschen den Klimaschutz nicht als ein Problem, sondern als Notwendigkeit begreifen".
Susanne Götze