Warum ist Desinformation über die Klimakrise erfolgreich? Ein zentraler Faktor entspricht der Devise „steter Tropfen höhlt den Stein“. Damit meine ich folgendes: Für sich genommen sind viele Falschmeldungen, Verschwörungsmythen und Halbwahrheiten, die rund um die Klimadebatte und den Stand der Klimaforschung verbreitet werden, inhaltlich schwach argumentiert und oft leicht zu widerlegen.
Nehmen Sie folgendes Beispiel: Vor ein paar Monaten kursierte die Falschmeldung: „‼️⚠️ Lancet Studie enthüllt die Lüge über die scheinbaren Klimatoten weltweit“. Tausendfach sahen das Menschen auf Telegram. Die Falschmeldung suggeriert, durch die Erderhitzung würden sogar Menschenleben gerettet, weil es zu weniger kältebedingten Todesfällen komme.
Ein kleiner Teil der Nachricht stimmt: Von 2000 bis 2019 nahm die kältebedingte Sterblichkeit ab, wobei der Klimawandel nicht der einzige Faktor ist, der solche Zahlen beeinflusst. Die Falschmeldung verschweigt: Auf lange Sicht erwarten Forscherinnen und Forscher, dass der Klimawandel die temperaturbedingten Todesfälle steigen lässt. Bei dieser Falschmeldung wird eine echte Studie, die in der hoch renommierten medizinischen Fachzeitschrift The Lancet publiziert wurde, irreführend wiedergegeben. Selbst ein Autor der Studie widerspricht öffentlich der falschen Darstellung.
Dieser Vorfall ist prototypisch dafür, wie der Ernst der Lage in der Klimakrise heruntergespielt wird – ja, hier wird sogar suggeriert, die Erderhitzung würde Menschenleben retten! Geleugnet wird in diesem Fall nicht, dass der Klimawandel stattfindet, sondern, wie bedrohlich er ist.
Die Verharmlosungsstrategien zum Anzweifeln der Klimakrise umfassen fünf große argumentative Stränge die häufig zum Einsatz kommen [Anmerkung der Redaktion: … und die Klimafakten in der Strukturierung seiner Faktenchecks aufgreift]:
- der Klimawandel passiert nicht,
- der Mensch verursacht ihn nicht,
- das ist alles nicht so schlimm
- die vorgeschlagenen Lösungen funktionieren nicht
- die Klimaforschung oder die Klimabewegung sind unzuverlässig.
Im konkreten Fall der verfälscht zitierten Lancet-Studie wird einmal mehr Verharmlosungsstrategie Nr. 3 gewählt: Alles nicht so schlimm! Verharmlosend ist zum Beispiel die Behauptung, ein hoher CO2-Ausstoß sei etwas Gutes, weil Pflanzen ja im Rahmen der Photosynthese CO2 abbauen und damit wachsen könnten (nur blendet das aus: Zu viel CO2 führt zu Klimawandel, führt zu Hitze und Trockenheit in etlichen Regionen, sodass ebenfalls viele Pflanzen gefährdet sind).
Wichtig ist aber: Wenn Menschen tendenziell verunsichert sind, wenn sie vielleicht emotionales Unbehagen angesichts der alarmierenden Befunde aus der Klimaforschung spüren, dann kann eine Reaktionsweise sein, diese Erkenntnisse gedanklich wegzuschieben, nicht wahrhaben zu wollen und im Sinne des sogenannten Confirmation Bias‘ oder Bestätigungsfehlers vorrangig das gelten zu lassen, was ihre vorhandene Sichtweise bestätigt – mithin dort besonders genau zuzuhören, wo beschwichtigt wird oder gar von einer „Lüge über die scheinbaren Klimatoten“ die Rede ist.
Die pure Wiederholung einer Aussage erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen diese als wahr einstufen
Und hier entfaltet die Devise „steter Tropfen höhlt den Stein“ ihre Wirkmacht: Wenn Menschen eine Behauptung öfter hören, dann „fühlt“ sie sich für sie durchschnittlich wahrer an. Das nennt man in der Psychologie den „Illusory Truth Effect“. Schon seit dem Jahr 1977 kommen Studien zu dem Befund, dass die pure Wiederholung einer Aussage die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Menschen diese als wahr einstufen (auf Deutsch wird dieser Effekt etwas langweiliger „Wahrheitseffekt“ genannt). Die Psychologin Lisa Fazio von der Vanderbilt University im US-Bundesstatt Tennessee beobachtete etwa, dass schon bei Fünfjährigen der Illusory Truth Effect genauso zu beobachten ist wie bei Erwachsenen. Und selbst wenn Menschen bereits über Wissen zu einer Thematik verfügen und ihnen somit klar sein sollte, dass eine bestimmte Aussage falsch ist, führt die Wiederholung offenbar dazu, dass sie trotzdem öfter die falsche Angabe glauben.
Dieser Text ist ein Auszug
aus dem Buch
"Wider die Verrohung"
von Ingrid Brodnig
(Brandstätter-Verlag, Wien; 22 Euro)
Dabei spielt auch unser mediales Ökosystem eine große Rolle: Das Extrembeispiel ist Social Media – wo sich Menschen auf Basis ihrer Vorlieben Feeds zusammenschustern können. Derzeit ist vielfach zu beobachten, dass speziell Klimaschutzlösungen schlechtgeredet werden. Die Gefahr besteht dabei, dass Menschen das Gefühl der „Agency“ genommen wird, also der Handlungsmacht, wonach wir als Gesellschaft sehr wohl etwas gegen die schlimmsten Formen der Klimakrise unternommen können. Und parallel dazu wird die eigene Verantwortung von westlichen Industrieländern kleingeredet – wofür die Relativierung des Anteils der deutschen Emissionen ein Paradebeispiel darstellt
Wenn Menschen wiederholt verharmlosende Berichte und sogar Falschmeldungen abrufen, sich in Online-Communitys rund um solche Erzählungen begeben, muss man wohl auch mit einem Illusory Truth Effect rechnen. Dann erlebt man vielleicht, wie der eigene Onkel einen bei der familiären Grillfeier über den angeblichen „Klimaschwindel“ zutextet, weil er viel dazu online gelesen hat. Aber auch – und gerade dann – wenn etablierte Medien mit hohem Renommee manch verharmlosende Erzählung aufgreifen, die den Fachkonsens in der Klimaforschung abstreiten, dann wirkt sich das negativ auf das Verständnis aus und gerade auch die Wiederholung kann einsickern.
Es gilt aber auch: Was man selbst wiederholt, hat ebenfalls eine größere Chance einzusickern
Ich erzähle das so ausführlich, denn: Worte haben ein Gewicht. Und es lohnt sich, die Mechanismen zu verstehen, mit denen Debatten rund um wichtige Fragen unserer Zeit zur Eskalation getrieben oder mit falschen Interpretationen genährt werden: In meinem Buch „Wider die Verrohung“ beschreibe ich viele solche Methoden, mit denen ernsthafte politische Diskussionen erschwert werden. Das reicht vom Arbeiten mit Feindbildern, über den Einsatz von Wut bis hin zu rhetorischen Ablenkungsmanövern, die den Blick von wichtigen Sachfragen weglenken. Die Möglichkeiten der Diskurszerstörung oder zumindest -erschwerung sind vielseitig – aber bleiben wir kurz bei der Erkenntnis, dass es den Illusory Truth Effect gibt: Auch davon können wir etwas lernen. Was man selbst wiederholt, hat ebenfalls eine größere Chance, einzusickern.
Daraus lassen sich Taktiken für das eigene Diskutieren ableiten. Hier zwei Reaktionsmöglichkeiten in Zeiten, in denen viel Fehlinformation und Ablenkungsversuche zu Klimafakten kursieren:
Erstens: Wenn etwas Falsches verbreitet wird, empfiehlt es sich, den Blick nicht zentral auf den falschen Vorwurf zu richten. Dabei bietet sich zum Beispiel die Technik des „Truth Sandwich“ an. Die Idee stammt vom Linguisten George Lakoff: Man beginnt bei der Korrektur zuallererst mit einer wahren Information. Erst danach geht man auf die faktenwidrige Behauptung ein, korrigiert diese. Am Ende schließt man wieder mit einer wahren Information. Richtige Information wird also wie ein Sandwich um die falsche Behauptung gelegt. Hier ein Beispiel:
Viele Falschmeldungen sind so ausgerichtet, dass sie klimaschonende Technologie schlechtreden. Zum Beispiel sind Windräder ein Kampfthema geworden, bei dem häufig falsche Behauptungen Angst und Sorgen schüren (→ richtige Information). Eine vielfach verbreitete Falschmeldung suggeriert, zehntausende Vögel und hunderttausende Fledermäuse würden in ganz Deutschland wegen Windrädern sterben (→ Erwähnung der falschen Behauptung). Das ist falsch: Zum Beispiel wird bei einer solchen Behauptung eine Studie falsch zitiert, die das gar nicht untersuchte. Aber das ist ein wiederkehrendes Problem: Eine real existierende Studie wird als vermeintlicher Beleg herangeführt, nur steht in der besagten Studie die konkrete Behauptung gar nicht drinnen (→ wieder eine richtige Information, die zudem erklärt, auf welcher Argumentation die Falschaussage fußt).
Übrigens: Wenn man Falsches korrigiert, ist es sinnvoll, nicht einfach zu sagen „XYZ ist falsch“. Kontext kann Leuten helfen, die Recherche-Schritte von Fact-Checking-Teams zu verstehen und nachzuvollziehen, was genau sie zu der Einstufung einer Aussage als falsch gebracht hat. Hinzukommt: Wenn Menschen verstehen, was tatsächlich passiert ist (also eine zutreffende alternative Erklärung anstelle der falschen Behauptung haben), diese Information eher einsickern kann.
Der zweite Tipp mit Blick auf den Illusory Truth Effect ist: Achtsam sein, auf welche Themen und welche Erzählungen man Aufmerksamkeit richtet. Die Macht von Fehl- und Desinformation oder anderen rhetorischen Nebelgranaten ist ja, dass sie uns Zeit und Denkleistung kosten – Zeit und Denkleistung, die wir mit ernsthaften Themen verbringen könnten.
Als Gegenstrategie empfiehlt es sich, gerade in Zeiten, in denen Fehlinformation kursiert oder Debatten polemisch geführt werden, gezielt Personen und Accounts selbst aufzusuchen oder anderen zu zeigen, die hochwertige Aufklärung betreiben. Das können zum Beispiel namhafte Klimaforschende wie Stefan Rahmstorf sein, Aufklärungsseiten wie Klimafakten oder Influencer:innen oder Wissenschaftskommunikator:innen wie Mai Thi Nguyen-Kim oder die Science Busters. Wenn mich selbst frustriert, wie viel Falsches oder inhaltlich Verwirrung-Stiftendes zu Sachthemen kursiert, dann suche ich manchmal bewusst aktuelle Beiträge, Videos oder Postings von Accounts heraus, deren Erklärungen ich schätze, und teile diese dann gezielt als Kontrastprogramm.
Sicher, das ist nicht die Lösung aller Probleme angesichts grassierender Desinformation: Aber im Sinne des Illusory Truth Effects ist jede weitere Gelegenheit, Fakten zusätzlich sichtbar zu machen, sinnvoll. Man kann das auch im persönlichen Gespräch machen: Nicht nur auf Falsches eingehen, sondern überlegen, welche Argumente einen selbst beeindrucken oder über welche Themen man selbst gerne sprechen möchte. Wenn man ahnt, dass ein Gespräch kontrovers oder emotional aufwühlend wird, kann man sich überlegen: Welches Sachargument möchte ich auf jeden Fall gesagt haben, was soll die andere Person oder das Publikum zumindest einmal gehört haben?
Ein Beispiel: Es stimmt, dass Klimadiskussionen oft hitzig diskutiert werden, speziell, wenn es dabei um Reizthemen geht. Aber die Gefahr ist, dass dabei die grundlegende Mehrheitsmeinung ausgeblendet wird, also wie viel Übereinstimmung tatsächlich in Deutschland vorhanden ist. So geben 75 Prozent der Befragten tendenziell an: „Ich bin sehr besorgt über den Klimawandel“ (eine Zahl aus dem Buch Triggerpunkte). Das heißt: Es gibt viel Übereinstimmung, auf der wir aufbauen können – wenn wir uns davon nicht immer wieder durch polarisierende Falschaussagen ablenken lassen.