Die Begriffe "Fake News" und "Post Truth" sind in aller Munde - und machen viele Menschen ratlos. Doch niemand ist machtlos gegen Desinformation. Die University of Bristol hat deshalb eine Experten-Datenbank auf ihrer Website gestartet: Mehr als 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind darin verzeichnet, die sich als "Globale Experten fürs Widerlegen von Falschinformation" bezeichnen. Sie wollen Medien, Verbände und die Politik für das "Postfaktische Zeitalter" wappnen.
Tobias Rothmund von der Universität Koblenz-Landau ist einer von ihnen. Er gibt zwar unumwunden zu: "Falschinformationen und Propaganda sind so alt wie die Menschheit. Es ging immer schon darum, Menschen auf diese Weise zu bestimmten Dingen zu bewegen." Aber die sogenannten "Sozialen Medien", also Online-Netzwerke wie Facebook oder Twitter, würden es heute einfach machen, erfundene Nachrichten zu verbreiten – und dabei die psychologischen Schwächen der Menschen auszunutzen. Aus dieser Dynamik heraus sei das Netzwerk der "Post Truth Experts" entstanden.
"Desinformations-Kampagnen nutzen menschliche Schwächen aus"
Rothmunds Fachbereich ist die Politische Psychologie, und eine seiner Forschungsfragen lautet: Wie nehmen Laien wissenschaftliche Evidenz auf? Eine wichtige Erkenntnis dabei: Die Wahrnehmung hängt auch von den moralischen und politischen Überzeugungen der Person ab. "Manche Dinge glauben wir lieber als andere", erläutert Rothmund. "Es gibt dann einen Zielkonflikt zwischen einem fundierten Vorschlag und dem, was wir gern tun." Als Beispiel nennt er Anhänger der Republikaner in den USA: "Sie sind eher bereit, den Klimawandel zu leugnen, weil Klimaschutz zur Folge hätte, dass man einige seiner Gewohnheiten aufgeben muss."
Unter anderem auf diesem psychologischen Mechanismus bauen Desinformationskampagnen auf: Sie bieten Menschen vermeintliche Informationen, die ihren Vorlieben entsprechen und daher ungern infragegestellt werden. Gerade bei moralisch oder politisch aufgeladenen Themen wie Gentechnik und Klimawandel funktioniert das offenbar gut. Hinzu kommen Laien, die in gewisser Weise journalistisch tätig werden – ohne jedoch an die berufsethischen Standards wie den Pressekodex des Deutschen Presserates gebunden zu sein. Am Beispiel der Flüchtlingskrise hat Rothmund in einer noch unveröffentlichten Untersuchung gezeigt, dass viele Informationen auf Facebook von Laien verbreitet wurden und nicht von Journalisten. "Es gibt eine neue Klasse von Akteuren", sagt er, "die motivierten Laien, die Informationen verbreiten – oder auch konstruieren."
Experten von A wie Aarhus University bis Y wie Yale University
Ins Leben gerufen hat das Netzwerk der "Post Truth Experts" der Psychologe Stephan Lewandowsky von der University of Bristol, der auch Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von klimafakten.de ist. Sein Hauptziel ist es, Journalisten und anderen Kommunikationspraktikern eine einfach zugängliche Liste kompetenter Interview- oder Gesprächspartner zugänglich zu machen. "Wir nutzen das Netzwerk aber auch als Diskussionsforum untereinander", sagt Lewandowsky. Auch Tobias Rothmund hofft darauf, dass im Netzwerk gemeinsame Projekte entwickelt und Forschungsanträge koordiniert werden. "Um die richtige Antwort auf die Falschinformationen zu finden, brauchen wir eine interdisziplinäre Zusammenschau", sagt er.
Zum Netzwerk gehören neben den Sozialwissenschaftlern, die beispielsweise untersuchen, wie Menschen mit falschen Informationen umgehen, auch Informatiker, die sich mit der Frage beschäftigen, wie man Falschinformationen identifizieren und kennzeichnen kann. Die meisten der Expertinnen und Experten stammen aus den USA oder Großbritannien, doch sind zum Beispiel auch Dänen, Italiener und einige Deutsche dabei. Die Liste der Institionen reicht von A wie Aarhus University bis Y wie Yale University. Auf der Liste stehen prominente Namen wie Matthew Hornsey, Dan Kahan, Edward Maibach oder Naomi Oreskes, aber auch etliche Nachwuchsforscherinnen und -forscher. Man kann die Datenbank nach Themenbereichen filtern; zum Stichwort "Klimawandel" finden sich beispielsweise 19 Einträge, zu "Verschwörungstheorien" sind es 14, zu "Wissenschaftsleugnung" sechs.
Bisher, sagt Tobias Rothmund, erhalte er über diese Datenbank nur selten Medienanfragen. Aber das kann sich ja noch ändern.
Alexander Mäder/Toralf Staud