In der öffentlichen Diskussion sind Klimaschutz und Klimapolitik derzeit keine Gewinnerthemen. Und so überrascht es nicht, dass sich die Stimmen derer häufen, die eine „Transformationspause“ fordern. Doch diese gesellschaftliche Stimmung passt nicht zur Realität des Klimawandels: 2024 hat gute Chancen, das weltweit heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen zu werden – und damit das bisherige Rekordjahr 2023 zu übertreffen. Und sie passt auch nicht zu den bisherigen Klimaschutzbemühungen. Denn Deutschland droht sowohl sein Reduktionsziel für den Ausstoß von Treibhausgasen für das Jahr 2030 als auch das Langfristziel der Klimaneutralität 2045 zu verfehlen. Ursächlich dafür sind vor allem die die Zielverfehlungen im Gebäude- und Verkehrssektor.
Die oft attestierte Transformationsmüdigkeit trifft also auf die Notwendigkeit einer ambitionierten Klimapolitik genau in den Bereichen, die das Leben und den Alltag der Menschen unmittelbar betreffen. Damit Klimaschutzmaßnahmen nicht auf breite Ablehnung stoßen, müssen wir daher eine dritte Realität anerkennen und danach handeln: Klimaschutz ist eine Verteilungsfrage.
Klimaschutz betrifft alle – aber nicht alle können sich ihn leisten
Fakt ist: Die Pro-Kopf-Emissionen steigen mit dem Einkommen. In Deutschland verursachen Menschen mit einem sehr hohen Einkommen ungefähr das Doppelte an Emissionen wie Menschen mit einem sehr geringen Einkommen. Soviel ist bekannt. Daraus wird dann gern die Schlussfolgerung gezogen, dass Klimaschutzmaßnahmen vor allem den wohlhabenden Teil der Bevölkerung und deren Fußabdruck in den Blick nehmen sollte.
Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit und greift zu kurz. Im Verkehrssektor steigen die Pro-Kopf-Emissionen zwar mit dem Einkommen, jedoch vor allem bedingt durch die zunehmende Nutzung von Transkontinentalflügen durch die oberen Einkommensgruppen, während die Ausgaben für Benzin und Diesel gemessen am verfügbaren Einkommen unterproportional steigen. Im Gebäudebereich, also vor allem beim Heizen, bleiben die Pro-Kopf-Emissionen über die gesamte Einkommensverteilung hingegen weitgehend konstant. Denn aufgrund der gemeinsamen Nutzung von Strom und Wärme ist die Zahl der Menschen pro Haushalt für die Pro-Kopf-Emissionen im Bereich Wohnen maßgeblich. Zudem spielt der energetische Zustand des Gebäudes eine wichtige Rolle. Hingegen hat die Wohnfläche einen kleineren Einfluss als oft angenommen.
Bei der Zeche Zollverein – hier im Bild – ist die Transformation vom Kohlebergbau zu einem Ort der Wissensökonomie gelungen. Um dieses Modell auf eine gesamte Volkswirtschaft zu übertragen, sind erhebliche Investitionen erforderlich; Foto: Carel Mohn
Damit Deutschland die gesteckten Klimaziele erreichen kann, müssen die Emissionen in allen Bereichen sinken. Dafür müssen Menschen aller sozialen Schichten auf klimaneutrale Lösungen umsteigen, zum Beispiel im Gebäude- und Verkehrsbereich. Es genügt nicht, nur jene mit besonders hohem CO2-Fußabdruck zu adressieren. Im Gegenteil, alle Menschen müssen die Möglichkeit bekommen, auf ein klimaneutrales Leben umzusteigen. Und diese hängt sehr wohl vom sozialen Status und dem eigenen Einkommen ab. Ärmere Haushalte haben schlichtweg nicht die Möglichkeit, in energetische Sanierungen, Wärmepumpen und E-Autos zu investieren. Sie wohnen außerdem überproportional häufig zur Miete und sind daher vom Handeln ihrer Vermieter_innen abhängig. Sie befinden sich schlimmstenfalls in einem fossilen Lock-In und stecken in alten Technologien fest.
Vor allem vor dem Hintergrund der Einführung des europäischen Emissionshandels für die Sektoren Gebäude und Verkehr (ETS2) drohen ihnen deswegen durch steigende CO2-Preise höhere Energie- und damit Lebenshaltungskosten bzw. Realeinkommensverluste. Dies wird sich direkt auf ihre Lebensqualität auswirken. Damit wird Klimapolitik noch stärker zur sozialen Frage, denn ärmere Haushalte geben schon jetzt einen signifikanten Anteil ihres verfügbaren Einkommens für Energie aus.
Viele fürchten, Klimaschutz treibe ihre Lebenshaltungskosten in die Höhe
Diese Realität der Kostenverteilung beim Klimaschutz trifft auf eine politische Stimmung, die die Unterstützung für die Transformation schon jetzt gründlich untergräbt. Ein großer Teil der Menschen in Deutschland beklagt, unter finanziellem Druck zu stehen und befürchtet, dass Klimaschutzmaßnahmen die eigenen Lebenshaltungskosten weiter in die Höhe treiben werden. Die bisherige Klimapolitik wird zudem mehrheitlich als nicht sozial gerecht wahrgenommen, da sie vor allem Geringverdienende belaste. Im Rahmen des Planetary Health Action Survey 2024 zeigte sich, dass bereits jetzt viele Menschen überzeugt sind, dass sich ihre finanzielle Situation durch politische Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels verschlechtert hat. Diese Gruppe gibt im Schnitt an, weniger Elan zu haben, gegen den Klimawandel anzukämpfen und empfindet die Maßnahmen gegen die Klimakrise als weniger wirksam.
Das Thema Verteilung darf in der klimapolitischen Diskussion kein rotes Tuch sein. Es ist vielmehr der Ausgangspunkt für eine ehrliche Kommunikation und der Schlüssel für eine mehrheitsfähige Klimapolitik.
Auch wenn die Teuerungswelle der vergangenen Jahre nicht auf Klimaschutzmaßnahmen, sondern maßgeblich auf die Nachwehen der Coronakrise und die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Erdgas- und Lebensmittelversorgung zurückzuführen ist, gilt es, diese Stimmungslage ernst zu nehmen. Gerade vor dem Hintergrund, dass – wie oben beschrieben – der Großteil der Transformations- und Investitionsbedarfe im Bereich Wärme und Mobilität noch vor uns liegt und die beschlossene CO2-Bepreisung zu höheren Preisen führen wird.
Das Thema Verteilung darf in der klimapolitischen Diskussion deshalb kein rotes Tuch sein. Es ist vielmehr der Ausgangspunkt für eine ehrliche Kommunikation und der Schlüssel für eine mehrheitsfähige Klimapolitik. Denn trotz aller Skepsis ist der Auftrag der Wählerschaft an die Politik klar, wie aktuelle empirische Befragungen weiterhin zeigen: Eine klare Mehrheit der Bürger_innen wünscht sich, dass einmal beschlossene Klimaziele auch eingehalten werden. Nur eine Minderheit ist der Meinung, dass die derzeitigen Anstrengungen beim Klimaschutz zu ambitioniert sind. Allerdings sehen die Menschen die Politik in der Pflicht, sich stärker um eine sozial gerechte Transformation zu bemühen und dabei vor allem Einkommensstarke und die Wirtschaft in die Pflicht zu nehmen.
Auch beim Klimaschutz gilt: Starke Schultern können mehr tragen
Die Transformation muss als gesamtgesellschaftliches Modernisierungsprojekt begriffen und kommuniziert werden, bei dem der Staat eine gestaltende Rolle einnimmt. Dies entspricht der Präferenz eines großen Teils der Bevölkerung und dem verbreiteten Misstrauen gegenüber marktbasierten Lösungen beim Klimaschutz. Im Zentrum muss eine Politik stehen, die allen einen Umstieg auf klimaneutrale Lösungen ermöglicht. Klimaschutz betrifft ebenso wie die Folgen des Klimawandels uns alle, so dass auch die entstehenden Kosten gerecht verteilt werden müssen. Dies kann nur heißen, dass starke Schultern mehr tragen können und müssen als schwache.
Für die notwendigen Investitionsbedarfe in eine klimaneutrale Zukunft beinhaltet dies zunächst die Stärkung einer klimaneutralen öffentlichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge. Dazu gehören der Ausbau klimaneutraler Fern- und Nahwärmenetze und eines dekarbonisierten öffentlichen Personennahverkehrs ebenso wie die vordringliche Sanierung und Dekarbonisierung des öffentlichen Gebäudebestands, oder eine staatliche Beteiligung an oder die Übernahme von Energienetzen. Dort, wo öffentliche Lösungen keine realistische Option sind, muss eine sozial ausgewogene Förderkulisse zum Einsatz kommen, die es den Menschen ermöglicht auf klimaneutrale Technologien für Wärme und Mobilität umzusteigen.
Weiterhin gilt es, Sicherheit mit Hinblick auf die alltäglichen Lebenshaltungskosten zu schaffen. Dies betrifft zum einen verlässliche Strompreise, um das Vertrauen in die Bezahlbarkeit der Energiewende wiederherzustellen. Das bedeutet vor allem, die Energiewende in Zukunft weniger stark über Umlagen auf die Endkund_innenpreise zu finanzieren. Dies kann nur durch staatliche Investitionen oder eine öffentliche Förderung privater Investitionen gelingen. Angesichts der ausgeprägten Skepsis in der Bevölkerung gegenüber der CO2-Bepreisung sollten im Rahmen der beschlossenen Ausweitung des europäischen Emissionshandels auf den Gebäude- und Verkehrssektor (ETS2) zudem sozial gestaffelten Kompensationszahlungen (Klimageld) erwogen werden, um vor allem die ärmeren Haushalte zu schützen, die in der Übergangsphase zur Klimaneutralität noch länger auf die Nutzung fossiler Energieträger angewiesen sind. Das betrifft beispielsweise viele Mietende, die die energetische Modernisierung ihrer Wohnung nicht selbst in der Hand haben.
Bei der Finanzierung von Klimaschutz die Verteilungsfrage in den Blick nehmen
Da insbesondere Ausbau und Unterhalt öffentlicher Infrastrukturen, aber auch sozial gestaffelte Förderprogramme staatliche Kassen belasten, gilt es auch bei der Finanzierung die Verteilungsfrage im Blick zu haben. Die vielfältigen Krisen und die Inflation der letzten beiden Jahre haben vor allem untere und mittlere Einkommensschichten stark belastet. Diese dürfen daher nicht weiter belastet werden. Auch darf in Zeiten der gesellschaftlichen Sorge und Erschöpfung nicht der Eindruck entstehen, dass Geld für Klimaschutz zu Lasten von Investitionen in unsere Sicherheit oder die soziale Infrastruktur geht. Der Think-Tank Dezernat Zukunft hat gerade (mit konservativen Annahmen) die Investitionsbedarfe bis 2030 auf 782 Milliarden Euro beziffert und dabei Investitionen in Verteidigung und Soziales (etwa Bildung und Gesundheit) einbezogen. Spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2023 zum Bundeshaushalt fehlen jedoch die Mittel an allen Ecken und Enden.
Wenn Deutschland aber den Anschluss an eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft schaffen und gleichzeitig gesellschaftliche Mehrheiten sicherstellen will, bedarf es weiterer Finanzierungsquellen. Zum Einen treten immer mehr Expert_innen und Politiker_innen für die Reform der Schuldenbremse ein. Hier müssen dringend Spielräume für Zukunftsinvestitionen geschaffen werden. Da immer noch eine Mehrheit der Bürger_innen in Deutschland gegen eine Aufweichung der Schuldenbremse ist, sollte eine Reform durch eine kluge und mutige Kommunikation flankiert werden. Es muss deutlich werden, dass ein Nicht-Handeln und Nicht-Investieren heute zu einer viel größeren Last für künftige Generationen wird als eine überlegte und maßvolle Verschuldungspolitik. Die Herausforderungen der gegenwärtigen Transformation sind zu groß, als dass sie von nur einer Generation getragen werden könnten. Auch hier müssen die Kosten auf einen längeren Zeitraum gestreckt und damit auf mehr Schultern verteilt werden.
Klimapolitik wird unterstützt, wenn sie eine faire Verteilung der Lasten beinhaltet. Steuer- und Schuldenpolitik wird dann akzeptiert, wenn sie zu mehr sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit führt.
Gleichzeitig können Änderungen im Steuersystem nicht nur neue Einnahmen generieren, sondern vor allem auch zu einer gerechten Verteilung beitragen. So lässt das deutsche Erbschaftssteuerrecht heute weitreichende Ausnahmen für Betriebsvermögen zu. In Deutschland werden schätzungsweise jährlich 400 Milliarden Euro vererbt. Setzt man das Steueraufkommen ins Verhältnis zu diesem leistungslosen Vermögenstransfer, so wurden 2023 auf diese Summe nur drei Prozent Steuern gezahlt. Vor allem auf sehr hohe Erbschaften fallen durch zahlreiche Tricks oft nur verhältnismäßig niedrige Steuern an. Auch könnte man sehr hohe Vermögen (wieder) besteuern oder zu einer einmaligen Vermögensabgabe verpflichten. Im Gegensatz zu einer Reform der Schuldenbremse erfährt die Idee, besonders hohe Vermögen ebenso wie besonders hohe Erbschaften zu besteuern die Zustimmung einer Mehrheit der Bevölkerung. Die Zustimmung ist dann am höchsten, wenn das eingenommene Geld in sozial- und klimapolitische Instrumente fließt. Ebenso muss gerade im Fall der Erbschaften deutlich gemacht werden, dass es in der Regel nicht um das geerbte Häuschen der Großmutter geht, sondern besonders um Erbschaften im achtstelligen Bereich.
Durch eine kluge Verknüpfung und eine verständliche Kommunikation könnten also sowohl die Klima- als auch die Verteilungspolitik wieder mehr Zustimmung erfahren und die Politik ihren Gestaltungsauftrag wahrnehmen. Klimapolitik wird unterstützt, wenn sie eine faire Verteilung der Lasten beinhaltet. Steuer- und Schuldenpolitik wird dann akzeptiert, wenn sie zu mehr sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit führt.