In der Altstadt von Marrakesch scheint sich seit 500 Jahren nicht viel verändert zu haben. Magere Esel ziehen hölzerne Karren durch schmale Gassen. Hammelkeulen hängen an Fleischerhaken vor kleinen Geschäften. Fünfmal am Tag ruft der Muezzin in die berühmte Koutoubia-Moschee zum Gebet. Doch das Gotteshaus aus dem 12. Jahrhundert ist gar nicht so antiquiert, wie es wirkt. Vor dem Eingang prangt eine nagelneue Anzeigetafel: Photovoltaik-Leistung: 4,2 Kilowatt, produzierte Energie: 340 Kilowattstunden, eingesparte CO2-Emissionen: 180 kg. Der prächtige Innenraum wird neuerdings von LED erleuchtet. Die Koutoubia-Moschee ist Teil eines staatlichen Förderprogramms, das die Umrüstung von Gotteshäusern in ganz Marokko auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien zum Ziel hat.
Die Koutoubia-Moschee in der Altstadt von Marrakesch erzeugt neuerdings auch Solarstrom; Foto: Susanne Götze
Doch die LED-Lampen und Solarstrom-Module sollen nicht nur Kilowattstunden einsparen und teure Öl- und Kohleimporte überflüssig machen. Mit dem Förderprogramm will der marokkanische König, der auch oberste religiöse Instanz des Landes ist, seine Untertanen von der Energiewende überzeugen. Diese treibt der Monarch seit Jahren voran. So ist nahe der Wüstenstadt Ouarzazate am Rand der Sahara seit 2013 der Kraftwerkskomplex Noor entstanden, er gilt als größter Solarpark der Welt. An der Atlantikküste sind etliche Windparks geplant oder bereits gebaut worden.
"Moscheen haben in Marokko einen Vorbildcharakter und sind Orte des sozialen Zusammenseins, an denen man sich unterhält und austauscht", erklärt Christoph Kuntze von der bundesdeutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die das Programm unterstützt. Sie eignen sich daher besonders, die Ideen von Energiewende und Klimaschutz in die Breite zu tragen. "Wenn Gläubige in der Moschee mit LED-Lampen genausogut beten und den Koran lesen können, dann haben sie auch einen Anreiz, die Lampen zu Hause zu installieren."
600 Moscheen sollen bis 2019 ökologisch umgerüstet werden
Das Programm, mit dem bis 2019 über 600 Gotteshäuser in Marokko umgerüstet werden, heißt "Grüne Moscheen" – eine Doppeldeutigkeit, da Grün auch die Symbolfarbe des Islams ist. Die Solarmoscheen sind Teil einer religiös motivierten Energiewende-Kampagne. "Unser Glauben, der Islam, ist ein guter Träger für die Botschaften der Energiewende", erklärt Sonia Mezzour, Generalsekretärin der marokkanischen Energieeffizienzagentur Amee, die das Vorhaben umsetzt. Mezzours Agentur hat deshalb die muslimischen Prediger, die Imame, für die Energiewende verpflichtet. Sie bekommen eine ökologische Ausbildung.
Der Sitz der Agentur befindet sich in einem ruhigen Vorort von Marrakesch. Jede Woche finden in dem mit Solarpaneelen verkleideten Gebäude Workshops über den Koran und die Energiewende statt. In einem hellen Raum sitzen an einem Novembernachmittag 15 Imame in drei Gruppen und stecken die Köpfe zusammen. Sie blättern im Koran und diskutieren angeregt. "Am Vormittag erklären wir den Predigern technische Grundlagen", erklärt Seminarleiter Mohammed Yessou* und zeigt auf eine Apparatur mit einer Glühbirne, einer Energiesparlampe und einer LED-Leuchte. Er knipst alle drei Lampen an. "Wir zeigen ihnen zum Beispiel, dass es vom Licht her keinen Unterschied macht, welche Birne sie in ihrem Gebetsraum einsetzen – für die Umwelt und ihre Stromrechnung aber schon."
In der marokkanischen Energieagentur Amee werden Imame aus dem ganzen Land ökologisch geschult; Foto: Susanne Götze
Doch es geht ihm nicht nur um die Technik. Seine Schüler sollen die Energiewende auch in ihre Freitagspredigten einbauen. Nachdem sie gelernt haben, warum Solarstrom besser für die Umwelt ist als Kohle und Öl und wie Energiesparen hilft, Ressourcen einzusparen, wenden die Imame ihr Wissen auf den Koran an: "Gerade haben wir Grundsätze des Islam aus dem Koran herausgeschrieben", erklärt der Seminarleiter. Natürlich finde man so etwas wie Energiesparlampen oder Elektrizität nicht in der Heiligen Schrift. "Aber liest man zwischen den Zeilen, stehen die Gebote der Energiewende schon im Koran." Im Grunde, ist Yessou überzeugt, sei der Koran eine echte Ökofibel.
"Energie zu verschwenden, ist nicht im Sinne unseres Glaubens"
Er zeigt auf eine Wand, an die acht Grundsätze aus dem Koran projiziert sind. "Esst und trinkt, aber nicht im Übermaß, denn ER (Allah) mag jene nicht, die im Übermaß leben. Al Araf 31" oder "Denn die Verschwender sind die Brüder des Teufels. Al Isra 27". Yessou deutet auf einen Koran, der neben den LED-Lampen liegt. "Die Botschaft ist ganz einfach: Energie zu verschwenden, ist nicht im Sinne unseres Glaubens." Aus diesen neuen Erkenntnissen machen seine Schüler nun Predigten, die sie am Nachmittag ihren Kollegen vortragen und schon am Freitag darauf in der Moschee rezitieren. "Mit dem Programm erreichen wir schon heute bei jedem Freitagsgebet rund fünf Millionen Gläubige", erklärt Sonia Mezzour von der Amee-Agentur. "Unsere Geistlichen genießen ähnlich wie der König ein großes Vertrauen bei den Menschen", so die frühere Energieministerin von Marokko.
Auf der Klimakonferenz in Marrakesch im November versuchte Mezzour, Energieminister und Religionsvertreter aus Jordanien, Tunesien und dem Sudan für das Programm zu begeistern. Die Vision der studierten Ingenieurin: Schon bald sollen Imame auf der ganzen Welt der Energiewende huldigen. Viele muslimische Staaten zeigten sich interessiert, vor allem aus Afrika, meint Mezzour.
2015 veröffentlichten islamische Gelehrte aus aller Welt einen Klima-Appell
Dass sich Islam-Vertreter für die Energiewende stark machen, ist kein neues Phänomen. Bereits vor der Klimakonferenz in Paris im Dezember 2015 verabschiedeten islamische Wissenschaftler aus 20 Ländern in Istanbul eine Islamische Erklärung zum Klimawandel. Die Gelehrten forderten darin alle Regierungen auf, ein starkes Klimaschutzabkommen auf den Weg zu bringen, das eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf höchstens zwei Grad möglich macht. Besonders erdölfördernde Länder werden dazu angehalten, bis 2050 ihre Klimagasemissionen vollständig einzustellen.
Die Erklärung begründet die Notwendigkeit für Klimaschutz mit islamischen Glaubensgrundsätzen. Demnach hat der Mensch das von Gott geschaffene Gleichgewicht durch die Treibhausgasemissionen gestört und ist deshalb auch dafür verantwortlich, den Klimawandel zu stoppen. Für westliche Ohren mag dies etwas fremd klingen, setzt man hier bei der Begründung des Klimaschutzes doch in der Regel auf eine strikt naturwissenschaftliche Perspektive. Religiös oder spirituell motivierte Aufrufe zum Kampf gegen die Erderwärmung gibt es aber auch aus anderen Weltreligionen. So sorgte die Enzyklika des Papstes "Laudato sí" im Sommer 2015 weit über die katholische Kirche hinaus für Aufsehen. Und auch der Weltrat der christlichen Kirchen forderte in einer Erklärung im selben Jahr, erneuerbare Energien zu unterstützen, da "das Universum nur ein Geschenk ist, das wir von Gott erhalten haben".
*Name auf Wunsch geändert
Susanne Götze