Die deutschen Wissenschaftsakademien regen an, ein digitales Nachrichtenportal zu gründen, das die Öffentlichkeit mit zuverlässigen Informationen aus der Wissenschaft versorgt. Dies ist eine Empfehlung aus einer 72-seitigen Stellungnahme unter dem Titel "Social Media und digitale Wissenschaftskommunikation", die heute in Berlin vorgestellt wurde. Beteiligt waren unter anderem die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) und die Nationale Akademie der Wissenschaften (Leopoldina), zu den Leitern der Arbeitsgruppe gehörten der Soziologe Peter Weingart und der Journalistikprofessor Holger Wormer. Weitere Empfehlungen sind, an Schulen mehr Mediennutzungskompetenz zu vermitteln oder Wissenschaftsjournalismus stärker durch Stiftungen und die öffentliche Hand zu fördern.
Ausführlich setzen sich die Akademien in der Stellungnahme mit "Chancen und Risiken" von Sozialen Medien und Internet-Suchmaschinen auseinander, über die viele Menschen ihre Nachrichten beziehen: Die digitalen Angebote werden als "ambivalent" beschrieben. Es ist von "Ernüchterung" die Rede, die sich nach einer Phase der Euphorie breitmache. Vor allem sei es oft nicht möglich, in Sozialen Medien die Quelle einer Nachricht zu erkennen. Daher könne das Publikum nicht entscheiden, ob die Information vertrauenswürdig ist.
Das neue Portal soll verlässliche Forschungsmeldungen empfehlen
Diese Bewertung wollen die Akademien mit dem neuen Nachrichtenportal erleichtern. Es soll unabhängig von Politik und Wissenschaft sein und von Stiftungen, aus öffentlichen Mitteln oder über Gebühren finanziert werden. Ein Herausgebergremium soll die Arbeit überwachen. Die Redaktion würde Nachrichten aus dem Angebot der klassischen deutschen Medien oder auch von Forschungseinrichtungen auswählen und sie zusammenstellen und bewerten. Ein breites Publikum soll auf diese Weise Informationen erhalten, die sowohl verständlich aufbereitet als auch fachlich geprüft sind – und egal, ob sie bei Suchmaschinen wie Google prominent angezeigt werden oder im persönlichen Facebook- oder Twitter-Nachrichtenstrom weit oben oder unten erscheinen. Zudem könne die Redaktion die Diskussion über die Nachrichten moderieren – was in Sozialen Medien nicht vorgesehen ist, aber von den Akademien im Interesse der demokratischen Willensbildung gewünscht wird.
Beiträge, in denen die Realität des Klimawandels bezweifelt oder geleugnet wird, dürften auf dem empfohlenen Portal kaum eine Chance haben. Der Kommunikationswissenschaftler Mike Schäfer von der Universität Zürich hält es daher für möglich, dass Vertreter dieser Position die Plattform angreifen werden. Doch dazu müsse das Portal erst einmal die nötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sagt Schäfer, der eine erste Version der Stellungnahme begutachtet hat. Ein größeres Risiko sieht er darin, dass das empfohlene Portal nur jene Menschen ansprechen könnte, die sich ohnehin gründlich über wissenschaftliche Themen informieren: in Sachen Klimawandel etwa die Gruppe der "Alarmierten", denen das Thema große Sorgen bereitet und die in Deutschland etwa ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. "Mit wissenschaftsnaher Kommunikation erreicht man so gut wie nie ein breites Publikum", sagt Schäfer. "Es gibt viele gute Angebote im Netz, die kaum jemand sieht."
Soziale Netzwerke bieten alternative Kanäle zu anderen Zielgruppen. Manchmal könne man zwar nur wenig Informationen vermitteln, sagt Schäfer. Dafür lassen sich andere Ziele erreichen: Beispielsweise könne man die Bedeutung des Klimawandels erläutern oder um Vertrauen in die Klimaforschung werben. Die Akademien betonen, dass man über diese Kanäle Jugendliche ansprechen könne, die keine Zeitung lesen und kein Museum besuchen. Doch den Akademien ist die faktenbasierte Kommunikation wichtiger, und dort diagnostizieren sie eine Krise: Die seriösen Nachrichten drohen in der Menge der ungeprüften und oft fehlerhaften Meldungen unterzugehen. Und die Druckauflagen der klassischen Wissenschaftsmedien sinken.
"Wissenschaftler werden zu Objekten des Misstrauens"
Diese Krise färbe auf die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ab: "Der wissenschaftliche Experte wird zum Objekt des Misstrauens", heißt es in der Stellungnahme. Einen Hinweis darauf bietet die jährliche Umfrage "Wissenschaftsbarometer" der Initiative "Wissenschaft im Dialog": 28 Prozent der Befragten gaben im vergangenen Jahr an, den Aussagen von Klimaforschern nicht zu vertrauen. Das Misstrauen zog sich durch alle Altersgruppen und Bildungsniveaus: Auch 22 Prozent der Menschen mit Abitur oder Hochschulabschluss zählen dazu.
Wenn sich Wissenschaftler an die Öffentlichkeit wenden, um ihren angekratzten Ruf zu verbessern, sollten sie nach Ansicht der Akademien dieses Ziel deutlich benennen. Sie sollten beispielsweise nicht den Eindruck erwecken, bloß die physikalischen Grundlagen des Klimawandels zu erläutern, wenn es ihnen tatsächlich darum geht, Menschen zu einem engagierteren Klimaschutz zu motivieren. "Hier muss jederzeit transparent sein, in welcher Rolle (Experte, Vertreter einer Privatmeinung, Interessenvertreter einer Forschungseinrichtung) sich Wissenschaftler und vor allem auch Wissenschaftsfunktionäre jeweils einbringen, um die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft insgesamt nicht zu gefährden", so die Akademien.
Soziale Medien eignen sich aber auch, neues Vertrauen aufzubauen
Diese Forderung spiegelt frühere Empfehlungen der Akademien wieder. Sie hatten sich schon im Jahr 2014 zur Wissenschaftskommunikation geäußert und davor gewarnt, das Vertrauen in die Wissenschaft durch übertriebene Werbung zu untergraben. Damals hatten die Akademien die Sozialen Medien aus ihrer Betrachtung ausgeklammert und liefern die darauf gemünzten Empfehlungen nun nach. Der Zürcher Kommunikationswissenschaftler Schäfer hält die geforderte Transparenz für prinzipiell zwar richtig, aber nicht hundertprozentig umsetzbar. "Zwischen der Wissensvermittlung und dem Marketing für die Forschungseinrichtung zu unterscheiden, ist wünschenswert", sagt er. "Doch das wird in der Praxis oft nicht scharf getrennt, und ich habe dafür Verständnis." Wortmeldungen auf digitalen Kanälen und die damit verbundene höhere Sichtbarkeit fördern fast automatisch das Renommee einer Institution.
Die Akademien sehen durchaus die Chance, über Soziale Medien neues Vertrauen aufzubauen: Indem Wissenschaftler offen Fehler zugeben, ihren persönlichen Bezug zum Thema erläutern oder auf die Einwände des Publikums antworten. Doch in ihrer Stellungnahme dämpfen sie auch die Erwartungen: Man begibt sich in einen harten Kampf um Aufmerksamkeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kommunikation gelinge, sei "in vielen Fällen womöglich geringer als über den Weg des professionellen massenmedialen Wissenschaftsjournalismus". Die Akademien rufen daher Hochschulleitungen und Pressestellen dazu auf, verantwortungsvoll mit Zeit und Geld umzugehen und genau zu prüfen, ob sich der geplante Youtube-Kanal oder der Imagefilm wirklich lohnt.
Weitere Mitglieder der acatec-Arbeitsgruppe waren beispielsweise Reinhard Hüttl vom Geoforschungszentrum in Potsdam oder der Zürcher Publizistik-Professor Otfried Jarren. Ihre Tätigkeit haben die Experten ausgiebig dokumentiert – passend zum Thema auf einem Blog.
Alexander Mäder