Bis vor gar nicht allzu langer Zeit war es so: Wenn man als Verbraucherin oder Verbraucher etwas für Umwelt tun wollte, war die einzige Möglichkeit, seinen eigenen Einkaufsbeutel mitzubringen. Heutzutage jedoch wird die ökologisch gesinnte Einkäuferin geradezu überschüttet mit "grünen" Optionen. Kosmetika werden vermehrt in Glasbehältern verkauft. Strumpfwarenhersteller ersetzen Nylon durch umweltfreundlicheres Material. Dank wiederverwendbarer Damenbinden und Menstruationstassen kann jetzt auch die Monatsregel ohne Plastik ablaufen.
Angesichts der immensen Belastung des Planeten durch Konsumabfälle mag man dieses sichtliche Bemühen um Nachhaltigkeit in den Supermarkt-Regalen erfreulich finden. Doch wenn man genau hinschaut, dann richten sich die meisten umweltfreundlichen Produkte an Frauen.
Dafür gibt es einen offensichtlichen (und deprimierenden) Grund: Frauen sind nicht nur die einflussreicheren Verbraucher(innen), sondern immer noch überproportional häufig für den häuslichen Bereich verantwortlich. Das Ergebnis bezeichnet die Marktforschungsfirma Mintel als "ökologisches Gender Gap" - salopp gesagt könnten die Marken, die als "grün" vermarktet werden, genauso gut pink sein. In einem Report von Mintel zu diesem Thema aus dem Jahr 2018 stellte der Consumer-Lifestyle-Analyst Jack Duckett fest, dass sich Frauen "immer noch tendenziell um den ganzen Haushalt kümmern", die Wäsche, das Putzen oder das Recycling. Wenn sich aber Werbefirmen mit ihren umweltbezogenen Kampagnen und Produktbotschaften vor allem an weibliche Adressaten wendeten, riskierten sie damit, die Botschaft zu vermitteln: Nachhaltigkeit sei Frauensache.
Ist Klimaschutz Frauensache? #FridaysForFuture-Demonstration in Berlin am 20. September 2019; Foto: Carel Mohn
Das traditionelle Frauenbild ist das einer Sorgenden – und nun eben auch für den Planeten. Janet K Swim, Professorin für Psychologie an der US-amerikanischen Pennsylvania State University, forscht seit langem über die sozialen Folgen umweltfreundlichen Handelns geforscht. Sie hat auf eine rund hundert Jahre alte politische Karikatur hingewiesen, die den US-Präsidenten Theodore Roosevelt (1901-1909) mit Schürze darstellte – um ihn wegen seiner Umweltpolitik "als weiblich zu verspotten".
Es stimmt ja auch, dass Frauen mit höherer Wahrscheinlichkeit als Männer "grüne" Einstellungen haben. Forschungsarbeiten aus der Mitte der 90er oder den 2000er Jahren verwiesen auf eine größere Neigung von Frauen, prosozial, altruistisch oder empathisch zu sein sowie eine stärkere Ethik der Fürsorge an den Tag zu legen oder eine zukunftsorientierte Perspektive einzunehmen. "Die Forschung deutet darauf hin, dass Frauen stärker dazu sozialisiert worden sind, sich um Andere zu kümmern und sozial verantwortlich zu sein, was wiederum dazu führt, dass sie sich mit Umweltproblemen befassen und willens sind, sich ökologisch zu verhalten", sagt Rachel Howell, Dozentin für Nachhaltige Entwicklung an der Universität Edinburgh (wie sie anmerkt ein Fach, das im Bachelor vor allem Frauen studieren).
Studien zeigen, dass Umweltschutz vielen Männern als feminin gilt
Zur Frage, ob Frauen sich "von Natur aus" um den Planeten kümmern oder ob dies erlernt ist, legt die Evidenz nah, dass Weiblichkeit und Umweltbewusstsein inzwischen kognitiv fest miteinander verknüpft sind. Dieses Bild hat sich festgesetzt – bei Männern und Frauen gleichermaßen. Und absurderweise hält dies teilweise Männer davon ab, ihr Scherflein beizutragen.
In einer im vergangenen Jahr im Fachjournal Sex Roles veröffentlichten Studiezeigten Swim und ihr Team, dass Männer womöglich deshalb lieber keine wiederverwendbare Einkaufstasche verwenden (oder recyceln oder sonstige umweltfreundliche Dinge tun, die als weiblich spezifiziert worden waren), weil sie Angst haben, dann als "unmännlich" oder "schwul" wahrgenommen zu werden. Es ist bekannt, dass diese Sorge auch ein Faktor ist für die männliche Ablehnung, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren.
Ein ein Beitrag im Journal of Consumer Research stellte 2016 fest, dass "Männer unter Umständen umweltfreundliche Verhaltensweisen lieber vermeiden oder gar ablehnen, um ihre Geschlechteridentität zu bewahren". Und dass sich ihre Beteiligung vielleicht fördern ließe, indem die Assoziation zwischen Weiblichkeit und Nachhaltigkeit geschwächt werde, zum Beispiel dadurch, dass man Produkte nicht klassisch als umweltfreundliche, sondern als männliche Produkte bewerbe.
Öko-Versandhäuser berichten, 90 Prozent ihrer Kunden seien Frauen
Plastic Freedom und Package Free Shop, zwei beliebte Online-Händler, die sich dem Thema Abfallvermeidung verschrieben haben, geben an, ganz bewusst geschlechtsneutrales Marketing einzusetzen. Dennoch sagen beide, etwa 90 Prozent ihrer Kunden seien Frauen. Lauren Singer, Gründerin des Package Free Shop, der Dinge wie Bambusbesteck oder ökologische Reinigungsprodukte vertreibt, ist der Auffassung, dass dieses Ungleichgewicht den Frauen die Chance gebe, eine Führungsrolle einzunehmen. "Lasst uns diejenigen sein, die als Verwalterinnen und Aufklärerinnen der Nachhaltigkeit Verantwortung übernehmen", so Singer.
Rachel Howell von der Universität Edinburgh jedoch fordert, "falsche Vorstellungen darüber, wie ein nachhaltiges Produkt aussehen muss", über Bord zu werfen. Sie verweist darauf, dass Männer durchaus einen Rucksack oder eine Mehrweg-Trinkflasche verwenden können, ohne dass die explizit als "öko" vermarktet werden.
Das britische Unternehmen Bulldog produziert Hautpflegeprodukte für Männer und hat Nachhaltigkeit zu einem Grundpfeiler seiner Marke gemacht. Die Plastiktuben sind aus Zuckerrohr hergestellt, nicht aus Öl. Man verkauft Rasierer mit Bambusgriff und Duschgel in Verpackungen aus Pappe. Und die Feuchtigkeitscreme ist als kohlenstoff-neutral zertifiziert. "Wir haben nie gedacht, dass es beim Thema Nachhaltigkeit tatsächlich eine Gender-Perspektive gibt", sagt der Gründer der Marke, Simon Duffy. "Für mich ist das eine völlig verrückte Vorstellung, dass das etwas eher Weibliches als Männliches sein soll. Jeder sollte sich eingehend damit befassen." Duffy gibt zu, dass Nachhaltigkeit für weibliche Beauty-Marken vielleicht eine Möglichkeit ist, sich auf einem umkämpften Markt von anderen abzusetzen (bei Männern "ist die Herausforderung eher, Männer zu überzeugen, solche Produkte überhaupt zu benutzen").
"Individualisierung der Verantwortung kann auch zu weit gehen"
Auf einen grundsätzlichen Punkt verweist Areeba Hamid, die bei Greenpeace USA seit langem Kampagnen organisiert: Die Auswirkungen individueller Konsumentscheidungen – selbst der umfangreiche Verzicht auf Fleisch oder Flugreisen – sind im großen Maßstab relativ unbedeutend: "Wenn die Konzerne weiter nach Öl und Gas bohren, dann bringt das alles gar nichts." Wissenschaftlerin Howell sagt dazu: "So wichtig individuelles Handeln auch ist – die Individualisierung der Verantwortung kann auch zu weit gehen. Wir müssen auf das Ganze blicken und versuchen, auf gesellschaftlicher Ebene etwas zu bewegen."
Doch selbst die Argumente zu der Frage, welches Handeln im Zusammenhang mit der Klimakrise sinnvoll ist, gehen zwischen den Geschlechtern auseinander. Eine andere, im vergangenen Jahr in der Fachzeitschrift Global Environmental Change veröffentlichten Studie von Swim hat gezeigt, dass Männer eher wissenschaftliche oder wirtschaftliche Argumente vorzogen – und tendenziell denjenigen Männern, die (wie typischerweise Frauen) auf der Basis von Ethik und Umweltgerechtigkeit argumentierten, "negative weibliche Eigenschaften zuschreiben".
Laut Howell haben Frauen häufig weniger Vertrauen in Institutionen, was bedeuten kann, dass sie weniger an die Fähigkeit der Wissenschaft, der Technologie oder der Regierung glauben, die bestehenden Probleme zu lösen. Männer wiederum, die historisch gesehen meist ganz gut mit der Erhaltung des Status Quo gefahren sind, "denken viel eher, dass, wenn sie nur akzeptieren, dass es da ein Problem gibt, irgendjemand oder irgendeine Technologie das schon lösen wird – so dass wir unseren Lebensstil nicht weiter ändern müssen."
Schließt sich in der jungen Generation der Öko-Gender-Gap?
Es wurde bereits gezeigt, dass Frauenfeindlichkeit ein Faktor bei der Leugnung des Klimawandels ist. Ein Aufsatz im International Journal for Masculinity Studies von 2014 stellte fest: "Für die Klimaskeptiker war es nicht die Umwelt, die bedroht war; sondern es war eine bestimmte Art der modernen industriellen Gesellschaft, die durch ihre eigene Form der Männlichkeit geschaffen und beherrscht wurde." Wie Martin Gelin vergangenes Jahr im US-Politmagazin New Republic schrieb, sind zwei der im Moment wohl weltweit bekanntesten Klimaaktiven junge Frauen: Greta Thunberg und die US-Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. Und diejenigen, die sie niederbrüllen, in erster Linie alte (konservative oder noch weiter rechts stehende) Männer.
"Hin und wieder macht mich das wütend", sagt Howell, "denn viele unserer heutigen Probleme wurden historisch vor allem durch Männer verursacht, weil sie mehr Macht haben. Es scheint allerdings, dass sich Frauen immer verzweifelter dafür einsetzen, diese zu lösen – und vielleicht weniger Macht haben, das auch zu schaffen." Aber die Welt verändert sich. Die Millennials und die Generation Z (die zwischen den frühen 80ern und den mittleren 2000er-Jahren Geborenen) sind sich beim Thema Klimakrise weitgehend einig. Das belegen aktuelle Daten des Pew Research Center in den USA: Selbst unter jungen Republikanern hat die Einstellung zugenommen, dass Regierungen mehr tun müssen.
Laut Duffy verändern sich entsprechend auch die Marken. Nach Angaben der „European Consumer Packaging Perceptions“-Befragung von 2018 finden mehr als zwei Drittel (68 Prozent) der Europäerinnen und Europäer Umweltfreundlichkeit heute wichtiger als vor fünf Jahren. Bei den 19- bis 29-Jährigen sind es sogar 80 Prozent. Auch wenn einige Unternehmen ihr Verhalten nur ändern werden, wenn sie müssen, verweist Duffy auf Adidas’ Turnschuh-Sortiment aus hochwertig recycelten Plastikabfällen aus dem Meer und die Schuhmarke Allbirds als Beispiele für "nachhaltige Stories" – unabhängig vom Geschlecht ihres Zielmarkts. "So langsam sickert es ein", meint er. "Wenn du ein Mann bist und nicht kapierst, dass das hier wichtig ist, dann läuft was falsch."
Der Text ist ein – leicht gekürzter und bearbeiteter - Nachdruck aus dem Guardian.
Elle Hunt
Übersetzung: Vivi Bentin