FRAGE (vom 9. September 2021)
"Hallo,
ich bin immer wieder in (meist konstruktiven) Diskussionen im Alltag bzgl. Klimakrise. Ein Argument, dem ich nun kürzlich begegnet bin: Was wir heute tun, wirkt ja erst in 50 bis 70 Jahren.
Ich würde gern mit mehr gegenhalten als „sind Dir Deine Nachkommen denn egal?“. Abgesehen davon: Stimmt das? Gibt es Maßnahmen, die kurzfristiger wirken könnten? Habt ihr einen Artikel, der eine gute Antwort auf diese Sichtweise wäre?
Viele Grüße
Sebastian"
UNSERE ANTWORT AUF EINEN BLICK: "Methan ist nach Kohlendioxid das zweitwichtigste Treibhausgas, seine Verweildauer in der Atmosphäre beträgt weniger als zehn Jahre. Würde also der (in den letzten Jahren ebenfalls dramatisch gestiegene) Methan-Ausstoß deutlich gesenkt, sähe man den Effekt sehr schnell. Zu den Hauptquellen gehört die Landwirtschaft oder auch die Förderung und der Transport von Erdgas."
ANTWORT (vom 10. September 2021):
"Sehr geehrter Herr B.,
vielen Dank für Ihre Mail - und die sehr spannende Frage. In der Tendenz stimmt das Argument, das Sie da widergeben - aber ganz so lang dauert es dann (glücklicherweise) doch nicht, bis wir die positiven Folgen von CO2-Minderungen sähen. Und in der Tat gibt es auch kurzfristig wirksame Maßnahmen.
Der lange "Bremsweg" bei der Erderhitzung hat im wesentlichen zwei Gründe: Zum einen ist das Klimasystem der Erde in einigen Teilen sehr träge, so sind die Weltmeere ein riesiger Puffer, der große Mengen an Wärme aufnimmt, aber das dauert erhebliche Zeit (weshalb es auch lange dauert, bis zusätzlich aufgenommene Wärme wieder abgegeben wäre). Am klarsten zeigt sich die große Zeitverzögerung bei den Eismassen - sowohl die Gebirgsgletscher, als auch die kilometerdicken Eisschilde Grönlands und der Antarktis werden noch viele Jahrhunderte auf die bereits ausgelöste Erwärmung reagieren, weil das Eis (wie ein Eiswürfel im Glas) eben lange braucht, bis es schmilzt. Zum anderen sind die menschengemachten Treibhausgase teils sehr langlebig, Kohlendioxid als wichtigstes zum Beispiel hält sich viele Jahrhunderte in der Atmosphäre.
Das heißt, dass ein erheblicher Teil der Erhitzung, die wir künftig sehen werden, längst ausgelöst ist und sich tatsächlich nicht mehr verhindern lässt. Dabei geht es tatsächlich um Jahrzehnte. Eine Studie norwegischer Forscher, die im vergangenen Jahr erschien, hat das mal grob überschlagen - https://www.nature.com/articles/s41467-020-17001-1
Ihr Fazit: Selbst wenn die Menschheit - hypothetisch - Ende 2020 den CO2-Ausstoß schlagartig und komplett eingestellt hätte, würde sich das erst ab ca. 2033 in der Erdmitteltemperatur niederschlagen. Bei einer Reduzierung der Emissionen um jährlich fünf Prozent (ebenfalls ein ambitioniertes Szenario) sähe man das etwa ab 2044 an der Temperaturkurve. Der Tagesspiegel hat die Befunde in einem Artikel zusammengefasst.
Daneben empfehle ich diesen Blogbeitrag, der gleich zum zweiten Teil Ihrer Mail überleitet: https://climatematters.blogs.uni-hamburg.de/2020/07/lets-focus-on-the-short-term-benefits-of-long-term-climate-protection/
Neben der schnellsten und drastischen CO2-Minderung, die möglich ist, sollten dringend auch kurzfristig wirksame Klimaschutzmaßnahmen angegangen werden. So ist nach Kohlendioxid das zweitwichtigste Treibhausgas Methan, dessen Verweildauer in der Atmosphäre weniger als zehn Jahre beträgt. Würde also der (in den letzten Jahren ebenfalls dramatisch gestiegene) Methan-Ausstoß deutlich gesenkt, sähe man den Effekt sehr schnell. Zu den Hauptquellen von Methanemissionen gehört die Landwirtschaft (u.a. Fleisch- oder Milchproduktion) wie auch Förderung und Transport von Erdgas (dort wird Methan über Leckagen frei). Weitere kurzlebige Treibhaus-Faktoren sind Stickoxide, Ruß oder Feinstaub, die zugleich gesundheitsschädlich für Menschen sind. Würde man dort aktiv, gäbe es also auch schnelle und positive Nebenwirkungen von Klimaschutz.
Weil diese kurzlebigen, klimawirksamen Stoffe (englisch: Short-Lived Climate-forcing Polutants, SLCPs) ein Schlüsselthema sind, gibt es im gerade erschienenen Band 1 des Sechsten IPCC-Sachstandsbericht (AR6) ein eigenes Kapitel dazu.
Als kurze Einführung hier ein Interview mit der führenden deutschen Expertin zum Thema: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/klimaforscherin-reduktion-kurzlebiger-treibhausgasen-effektiv-gegen-klimakrise
Und eine relativ leicht verständliche Broschüre: https://www.iass-potsdam.de/sites/default/files/files/online_iass_aktualisierte_themenbrochuere_slcps_0.pdf
Ich hoffe, die Antwort und vor allem die Links helfen Ihnen zumindest ein wenig weiter.
Mit freundlichen Grüßen
Toralf Staud"