Unter dem Titel "(Un)Natural Disasters", zu deutsch: "(Un)Natürliche Katastrophen", hat die Weltmeteorologie-Organisation (WMO) in der aktuellen Ausgabe ihres Bulletins einen Kommunikationsratgeber zu Extremwetterereignissen veröffentlicht. Anlass sind die deutlichen Fortschritte der Forschung zum Zusammenhang von Klimawandel und Extremwettern. Eine der Autorinnen des Ratgebers ist Susan Joy Hassol, Direktorin von Climate Communication, einer stiftungsfinanzierten US-Organisation, die Ergebnisse der Klimawissenschaften einer breiten Öffentlichkeit verständlich machen will.

Spricht man zum Beispiel nach einer ungewöhnlich langen Trockenperiode oder einem Sturm mit Klimaforschern, dann hört man meist: Ein einzelnes Ereignis lässt sich nicht auf den Klimawandel zurückführen.

Hassol: (lacht) Das ist keine gute Antwort!

Was ist falsch daran?

Diese Antwort mag in den 1990er Jahren richtig gewesen sein, aber heute ist das einfach nicht mehr Stand der Forschung. Wir wissen seit Jahren, was die Erderwärmung verändert: Wenn die Durchschnittstemperatur steigt, nehmen auch die Extremwetter-Ereignisse zu, und es gibt mehr Hitzewellen. Wir wissen auch: Eine wärmere Atmosphäre enthält mehr Wasserdampf, weshalb stärkere Regenfälle zu erwarten sind. Diese Beobachtungen verbessern und häufen sich. Und die Statistiken zeigen es auch – dass sich die Wetter-Ereignisse verändern: mehr Hitzewellen, mehr Starkregenfälle.

Seit wann lassen sich auch einzelne Wetterereignisse dem Klimawandel zuschreiben?

Das begann im Jahr 2003, als diese große Hitzewelle in Europa traf. In einer Studie analysierte der britische Klimaforscher Peter Stott das Ereignis. Er sah sich Beobachtungen von früheren Extremhitze-Ereignissen an. Und nutzte Klimamodelle: Er verglich eine Welt im Klimawandel mit einer Welt ohne  Klimawandel. So konnte er ablesen, wie oft ein Ereignis wie dieses zu erwarten sei. Damit fand er heraus, dass dieses einzelne Ereignis durch die menschengemachte Erderwärmung vier Mal wahrscheinlicher geworden ist.

"Statt bloß zu sagen, wir wissen dass Extremwetter zunehmen, können wir mittlerweile berechnen, wie stark der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit für einzelne Ereignisse erhöht hat"

Die Hitzewelle 2003 war das erste Mal, dass wir quantifizieren konnten, wie stark der Klimawandel ein einzelnes Ereignis beeinflusst. Die Studie und ihre Methodik sind inzwischen vielfach bestätigt worden - das war der Moment, als die Standard-Antwort nicht mehr der Wahrheit entsprach.

Diese Art von Wahrscheinlichkeitsberechnungen – wird sich das in der Klimawissenschaft durchsetzen?

Das Konzept wird schon in anderen Disziplinen seit vielen Jahrzehnten genutzt, etwa um in Gesundheits- und Bevölkerungsstudien Risikofaktoren zu quantifizieren. Man könnte zum Beispiel fragen: Wenn jemand raucht, wie stark erhöht er damit die Wahrscheinlichkeit, an Lungenkrebs zu erkranken?

Was heißt das für die Klimawissenschaft?

Die Qualität der Beobachtungen und der Modelle hat sich enorm verbessert. Sie sind viel detaillierter geworden. Deshalb können wir heute viel weiter gehen: Statt bloß zu sagen, wir wissen, dass diese Ereignisse zunehmen, können wir berechnen, wie stark der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit für diese einzelnen Ereignisse erhöht hat. In manchen Fällen können wir sogar sagen: Dieses Ereignis hätte ohne die menschengemachte Erderwärmung nicht geschehen können.

Haben Sie ein Beispiel?

Der Sommer 2013 in Australien. Er war der heftigste seit Beginn der Aufzeichnungen – mit Buschfeuern im Süden und Überschwemmungen im Norden. Und ein Ereignis wie dieses hätte es ohne den menschengemachten Klimawandel nicht gegeben, zeigen Studien.

Wie reagierten in dem Fall die Medien?

Sie berichteten, dass es sehr heiß war, sagten aber nicht notwendigerweise warum. Die meisten zogen gar keine Verbindung zwischen dem Ereignis und dem Klimawandel. Viele Medien berichten vor allem über das, was die Politiker dazu sagen. Wenn also ein Politiker erklärt, das habe nichts mit dem Klimawandel zu tun, dann ist es das, was sich bei den Lesern festsetzt.

Medien verlassen sich auf die Expertise von Wissenschaftlern. Was haben die in der Vergangenheit falsch gemacht?

Wissenschaftler versagen oft deshalb, weil sie nicht auf dem aktuellen Stand sind und dieses Mantra wiederholen – wir können kein einzelnes Ereignis auf den Klimawandel zurückführen. Aber, wie gesagt, das stimmt längst nicht mehr. Zugegeben, der Zusammenhang zwischen Extremwettern und Klimawandel ist nicht eindimensional - aber wenn wir es den Menschen ordentlich erklären, verstehen sie ihn. Die Medien und die Wissenschaftler müssen also einen besseren Job machen. Das war auch der Grund, warum wir diesen Ratgeber geschrieben haben.

Was können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besser machen?

Die spezifischen Extremwetter-Ereignisse dem Klimawandel zuordnen - und zwar dann, wenn das Thema noch in den Medien ist. Das ist heute möglich. 2003 dauerte es noch etwa ein Jahr, bis nach so einem Ereignis eine Analyse veröffentlicht wurde. Aber zu diesem Zeitpunkt redete schon niemand mehr über dieses Ereignis. Es war zu spät! Jetzt machen sie es in Echt-Zeit.

Wann war das zum Beispiel der Fall?

Im Juni 2016 kam es in Europa zu heftigen Überschwemmungen. In Frankreich musste der Louvre geschlossen und Tausende Menschen in Sicherheit gebracht werden. Zehntausende waren ohne Strom, es gab mehr als ein Dutzend Tote. Forscher fanden sehr schnell heraus, dass die Wahrscheinlichkeit für so einen dreitägigen Starkregen in dieser Jahreszeit zugenommen hat – um 80 Prozent im Gebiet der Seine und 90 Prozent im Gebiet der Loire.

Warum ist es so wichtig, diese Verbindung zu ziehen, solange das Thema noch in den Medien ist?

Die Menschen erleben den Klimawandel nicht dadurch, dass sie einen langsamen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur bemerken. Die meisten erleben den Klimawandel vielmehr über Extremwetter-Ereignisse. Hitzewellen, starke Regenfälle, Überflutungen, Dürren. Der einzige Weg, wie die Leute verstehen, dass der Klimawandel wichtig ist und schon heute einen Einfluss auf ihr Leben hat, ist durch diese Verbindung.

Sie haben eine Art Anleitung für Klimawissenschaftler und -kommunikatoren geschrieben. Wie sollten die über konkrete Extremwetter-Ereignisse sprechen?

Sie sollten mit dem beginnen, was wir wissen - und nicht damit, dass es so viele Unsicherheiten gibt und alles so kompliziert ist. Denn es gibt eine Menge, was wir wissen! Selbst wenn es die spezifischen Zuschreibungs-Studien nicht gibt, können wir den Menschen bei einer Hitzewelle sagen: Wir wissen, dass wir in einer sich erwärmenden Welt ernstere und häufigere Hitzewellen erleben, wir sehen diesen Trend klar in den Daten. Dieses Ereignis ist Teil des Trends.

"Metaphern können sehr hilfreich sein. Ein Beispiel: Ein Rennfahrer wird stärker und schneller, wenn er Steroide nimmt. Übertragen ließe sich sagen: Die Erderwärmung setzt unser Wetter auf Steroide"

Wenn es jedoch eine spezifische Studie dazu gibt, kann man sagen: Tatsächlich haben Analysen gezeigt, dass der Klimawandel es - sagen wir - um das Vierfache wahrscheinlicher gemacht hat, dass so eine Hitzewelle auftaucht. Oder im Falle einer Überflutung: Früher galt, dass so eine Flut unter normalen Umständen nur einmal im Leben eines Menschen passiert – nun gab es schon fünf solcher Überflutungen in den vergangenen 20 Jahren. Solche Aussagen geben den Menschen ein Gespür dafür, was passiert.

Hat der vorsichtige alte Ansatz vieler Klimawissenschaftler die Zahl der Leute vermehrt, die am Klimawandel zweifeln?

Kann sein. Die Menschen denken über diese Dinge in einer sehr einfachen Weise nach. Wird ein Wissenschaftler gefragt: Ist dieses Ereignis der Klimawandel? Und er sagt: Wir können kein einzelnes Ereignis dem Klimawandel zuordnen – dann ist die Antwort, die die meisten Menschen hören: Nein, das ist nicht der Klimawandel. Aber das ist die falsche Antwort! Die Antwort, die ankommen muss, lautet: Ja, das ist der Klimawandel.

Was empfehlen Sie stattdessen?

Sie sollten die Frage umformulieren. Denn die Frage ist nicht, ob der Klimawandel dieses spezifische Ereignis ausgelöst hat. Die Frage sollte sein: Hatte die Erderwärmung einen Effekt auf dieses Ereignis? Und dann ist die Antwort ein klares Ja. Die Erderwärmung hatte einen Effekt auf dieses Ereignis. Sie hat einen Effekt auf jedes Ereignis. Denn jedes Wetterereignis, das jetzt passiert, vollzieht sich in einer veränderten Umwelt. In einer Umwelt, die wärmer ist, die mehr Wasserdampf in der Atmosphäre enthält, eine höhere Ozeantemperatur, einen höheren Meeresspiegel. All diese Dinge beeinflussen, wie Wetterereignisse sich heute entfalten, und sie beeinflussen damit auch uns.

Sie empfehlen, mehr Metaphern zu verwenden. Warum das?

Der Gebrauch von Metaphern kann sehr hilfreich sein. Ein Beispiel: Ein Rennfahrer wird stärker und schneller, wenn er Steroide nimmt. In unserem Fall: Die globale Erwärmung setzt unser Wetter auf Steroide. Wir erleben mehr von dieser Art Wetterereignisse, sie sind stärker und dauern länger.

Interview: Benjamin von Brackel