Robin Tschötschel, 33, ist „Promovendus“ (angestellter Doktorand) an der Amsterdam School of Communication Research der Universität Amsterdam. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre (Uni Wien) und der sozialwissenschaftlichen Forschung (Uni Amsterdam), liegt sein Dissertationsschwerpunkt in der politischen Kommunikation und Medienberichterstattung über den Klimawandel.
Für die meisten Menschen, die über das Klima reden, steht neben der Verbreitung wissenschaftlichen Wissens eine politische Motivation im Vordergrund: Sie wollen ihren Teil dazu beitragen, dass wir die schlimmsten Folgen des Klimawandels abwenden. Doch diese Position ist längst gesellschaftlicher und politischer Konsens. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung in Deutschland und der EU insgesamt befürworten das Ziel, die EU-Wirtschaft bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu machen. Im zurückliegenden Bundestagswahlkampf bestritt keine Partei (außer der AfD), dass die Emissionen an Treibhausgasen schnell und drastisch sinken müssen – und selbst unter den (wenigen) Anhängern der AfD ist das Leugnen des menschengemachten Klimawandels eine Minderheitenposition.
Wie notwendig – und wie sinnvoll – ist es da noch, über Grundlagen des Klimawandels zu reden?
Natürlich, niemand sollte Forschungsergebnisse verzerrt darstellen. Als Wissenschaftler fühle ich mich zu dieser Grundhaltung geradezu verpflichtet, und das heißt, im Zweifelsfall auf eine wirksame Kommunikationsstrategie zu verzichten, wenn sie möglicherweise irreführende oder gar Falschaussagen über die Wissenschaft beinhaltet. Dennoch gilt: Zu viel Augenmerk auf klimawissenschaftliche Erkenntnisse kann möglicherweise gravierende unerwünschte Wirkungen entfalten.
Gesellschaftliche Phänomene entstehen nicht aus der Summe individueller Effekte
Die Kommunikationsforschung hat zwar in vielen Detailstudien nachgewiesen, dass mehr Wissen über den Klimawandel und seine Folgen bei einzelnen Menschen zu mehr Handlungsbereitschaft und höherer Unterstützung politischer Klimaschutzmaßnahmen führen kann. Jedoch wird bei der Zusammenfassung, Evaluation und Anwendung dieser Ergebnisse oft vernachlässigt, dass gesellschaftliche Phänomene nicht einfach durch Addition individueller Effekte entstehen. Dies ist insbesondere bei Kommunikationsprozessen der Fall.
Während die Aufklärung über Klimawissenschaft zwar individuell positive Effekte hat, sind die gesellschaftlichen dreifach negativ:
- Erstens wird durch so genanntes „Agenda-Setting“ die öffentliche und mediale Aufmerksamkeit auf ein bereits seit Jahrzehnten behandeltes Thema gelenkt. Indem also noch immer über Belege für die Realität des Klimawandels berichtet wird, lenkt man Aufmerksamkeit auf diesen wissenschaftlich seit langem geklärten Punkt.
- Zweitens entsteht der Eindruck, dass es noch immer um die Frage geht, ob und wieviel wir unsere Emissionen reduzieren müssen (ein „Framing“-Effekt).
- Drittens führt sie möglicherweise dazu, dass die Öffentlichkeit Politiker:innen hauptsächlich danach beurteilt, ob diese an den Klimawandel glauben oder nicht („Priming“) — anstatt sie danach zu beurteilen, welche konkreten Maßnahmen sie zu seiner Begrenzung vorschlagen.
Dabei ist die Klimaneutralität Deutschlands bis 2045 längst beschlossene Sache, dieses Ziel steht seit Mai dieses Jahres im Gesetzbuch. Der Fokus der öffentlichen Diskussion könnte deshalb auf anderen Themen liegen: Auf der Tatsache, dass jede ersparte Tonne zu weniger Klimaschäden beiträgt. Auf der Frage, durch welche öffentlichen und privaten Maßnahmen die größten Einsparungen erreicht werden können. Auf Entscheidungen darüber, welche Maßnahmen in welcher Reihenfolge und mit welchen Details umgesetzt werden – und wie sich die bevorstehende wirtschaftlich-ökologische Transformation gerecht gestalten lässt.
Wer daran festhält, weiterhin über den Klimawandel an sich zu reden, geht offenbar davon aus, dass der Großteil der Bevölkerung noch nicht ausreichend "wachgerüttelt" ist. Jedoch sind Gesellschaft und Politik wirklich schon einen Schritt weiter – blicken wir nochmal im Detail darauf.
Wo wir stehen
Politik
Der Bundestagswahlkampf machte deutlich, dass alle politischen Parteien in Deutschland (mit der Ausnahme der AfD) versuchen, das Thema Klimawandel mit ihrem Kernprofil zu vereinen. Nach halbwegs überstandener Corona-Krise setzt sich damit ein Trend fort, den ich bereits 2019/20 in einer Studie feststellen konnte.
Erinnern wir uns kurz an das Frühjahr und den Sommer 2019: Die Grünen erzielen Rekordwerte bei der Wahl zum europäischen Parlament, die Bundesregierung setzt ein sogenanntes Klimakabinett ein, und CSU-Chef Markus Söder will Klimaschutz im Grundgesetz verankern.
Die im Herbst darauf beschlossenen Klimaziele waren zwar ernüchternd und wurden erst nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (etwas) verschärft. Und auch weiterhin fehlen konkrete Maßnahmen, um diese Ziele zu erreichen – zum Beispiel geschieht der Ausbau der Erneuerbaren Energien weiterhin viel zu langsam. Dennoch ist deutlich, wie weit die deutsche Politik davon entfernt ist, die einschneidenden Folgen des Klimawandels und die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen in Frage zu stellen.
Gesellschaft
Auch die Gesellschaft ist beim Thema Klimawandel weiter, als es manchen Aktivist:innen erscheinen mag. Bereits im European Social Survey (ESS) von 2016 gaben 87 Prozent der Deutschen an, über den Klimawandel mehr als nur ein wenig besorgt zu sein; und nur gute fünf Prozent bekundeten, der Klimawandel sei hauptsächlich ein natürliches Phänomen. (Hier finden Sie Hintergrundberichte über ESS-Ergebnisse für Deutschland, Österreich und die Schweiz.)
In einer meiner eigenen Untersuchungen habe ich im Herbst 2020 die Haltung zu verschiedenen politischen Maßnahmen des Klimaschutzes in einer repräsentativen Studie abgefragt. In der durch keinerlei Experimente beeinflussten Kontrollgruppe (302 Probanden) gab es Mehrheiten für etliche politische Klimaschutzmaßnahmen (siehe Grafik).
Klimaschutz ist Konsens - und für zahlreiche konkrete Maßnahmen gäbe es eine gesellschaftliche Mehrheit; Grafik und Quelle: Tschoetschel et al. 2020
Es gibt zwar auch in Deutschland gesellschaftliche Segmente, die den menschengemachten Klimawandel grundsätzlich in Frage stellen. Ebenso gibt es Menschen, die es nicht für sinnvoll halten, weitere politische Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen. Beides sind aber kleine Minderheiten, deren Positionen wenig direkten Einfluss auf politische Entscheidungen haben.
Medien
Wie steht es um die Medienberichterstattung? Auch hier zeigt sich ein recht ermutigendes Bild. Klimawandel und -politik sind zwar immer noch Nischenthemen, aber auch hier wird praktisch nie der Klimawandel als solches geleugnet oder die Notwendigkeit von Klimaschutz bestritten.
Meine eigene Forschung zeigt, dass bereits 2018 in Medienberichten die Frage im Vordergrund stand, wie sich der Klimawandel bekämpfen ließe. Dass Emissionen vermindert werden müssen (und der Klimawandel menschengemacht ist), wurde in den von mir analysierten deutschen Medien als Konsensposition dargestellt.
Über Lösungen reden
Vor dem Hintergrund dieser prinzipiell klimafreundlichen Haltung in Politik und Gesellschaft, die auch in den Medien zutreffend abgebildet wird, stellt sich also die Frage: Worauf sollte sich zielorientierte Klimakommunikation konzentrieren? Mit anderen Worten: Wie kann die öffentliche Debatte über notwendige Maßnahmen vorangetrieben werden, statt weiterhin um längst gewonnenen Boden zu kämpfen?
Der Fokus der angewandten Klimakommunikation sollte daher klar auf einer Schlüsselfrage liegen: Welche Strategien und konkreten Lösungen nutzen wir in den kommenden Jahren, um die Minderung unserer Treibhausgasemissionen weiter zu beschleunigen und insgesamt möglichst wenig des verbleibenden Emissionsbudgets zu verbrauchen?
Die Klimadebatte durch diese Rahmensetzung zu prägen („Framing“), hat mehrere Vorteile. Zunächst umgeht es die Falle, weitere Diskussion über die Klimawissenschaft anzuregen –und lenkt stattdessen Aufmerksamkeit auf die Kernfrage der Klimapolitik. Die Notwendigkeit des Ausstiegs aus einer auf Treibhausgasemissionen basierenden Wirtschaftsform wird dabei implizit vorausgesetzt.
Zweitens überwindet es unnütze Detaildebatten darüber, welche Maßnahmen genau nötig sind, um das 1,5-Grad-Limit mit welchen Wahrscheinlichkeiten zu erreichen. Stattdessen muss im Vordergrund stehen, dass der Ausstieg aus dem emissionsbasierten Wirtschaftsmodel so schnell wie möglich erfolgen sollte.
Drittens schafft es endlich Raum für jene (teils) sehr kontroversen Fragen, die mit dem Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft verbunden sind: Wie genau werden Lasten (und Gewinne) verteilt? Wie steht es um die politische Beteiligung bei der Ausgestaltung der einzelnen Maßnahmen? Werden Fragen der sozialen, Generationen- und internationalen Gerechtigkeit genügend berücksichtigt?
Die Macht guter Kontroversen
Egal wie der Ausstieg aus der Emissionswirtschaft gestaltet wird, wird es gewisse Wirtschaftsbranchen und Bevölkerungsgruppen "härter" treffen als andere — dass der Bausektor und das Transportwesen sich mit größeren Herausforderungen konfrontiert sehen als beispielsweise der Bildungsbereich, ist offensichtlich. Deshalb müsste viel stärker über (soziale) Gerechtigkeit diskutiert werden und dieser Aspekt auch in der Klimakommunikation viel mehr Berücksichtigung finden.
Die hier notwendigen Debatten kreisen um drei Hauptfragen:
- Wer ist wie vom Klimawandel direkt und indirekt betroffen?
- Für wen stellt die bevorstehende sozial-ökologische Transformation eine Belastung dar?
- Wie können Belastungen durch Klimawandel und -schutz vermindert oder gerecht verteilt werden?
Selbst wer in diesen Debatten nicht Stellung beziehen möchte, tut gut daran, zumindest eine gewisse Aufmerksamkeit für die sozialen Fragen des Klimawandels an den Tag zu legen. So ist die Ablehnung der CO2-Steuer in Frankreich zu einem Gutteil durch deren wahrgenommene Verteilungswirkung von Unten nach Oben erklärbar (auch wenn diese Wahrnehmung falsch ist).
Ich persönlich — und ich denke, damit bin ich nicht allein — sehe aber den Nutzen in der Aufmerksamkeit für die soziale Frage nicht rein instrumentell. Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit wird vom allergrößten Teil der Menschen (und so auch von mir) geteilt.
Demokratische Wissenschaftskommunikation
Werden die sozialen Herausforderungen von Klimawandel und Klimaschutz anerkannt, dann wird auch schnell klar, dass diese sich nicht aus rein wissenschaftlicher Perspektive lösen lassen. Wie ein gerechter Interessensausgleich aussehen kann, ist eine politische Frage, die Menschen auf Basis ihrer Werte verhandeln und entscheiden – wissenschaftliche Instrumente wie volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnungen können dabei helfen, aber sie sind selten ausschlaggebend.
Welche Rolle kann Klimakommunikation in diesem Kontext spielen? Ich schlage vor, dass sie sich weiterhin an zwei Grundzielen orientieren sollte: Emissionsvermeidung und wissenschaftliche Aufklärung. Doch weil es immer wichtiger wird, Antworten auf soziale Fragen zu finden, wird es auch immer wichtiger, der Öffentlichkeit Daten und Argumente für diese Debatten zur Verfügung zu stellen und sie so zu befähigen, sich kompetent an politischen Entscheidungen zu beteiligen.
Dies bedeutet, dass die sozialwissenschaftliche Forschung in den Vordergrund rückt — und die Naturwissenschaften in den Hintergrund. Geht es nämlich um die Verteilung der vielschichtigen Belastungen und Gewinne, die durch Klimawandel und Klimaschutz entstehen — ökonomisch, kulturell, gesundheitlich, psychologisch und so weiter —, verlässt die Klimakommunikation das Terrain der physikalischen Klimawissenschaften.
Fazit
Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaftliche Forschung kann viel zu gerechter Klimapolitik beitragen. Zum einen erarbeitet sie empirische Erkenntnisse, zum Beispiel über die Funktionsweise politischer Systeme oder die Wirksamkeit und verteilungspolitischen Konsequenzen verschiedener Maßnahmen. Zum anderen formuliert sie kritische Positionen und theoretische Ansätze wie den der „gerechten Transformation“, die zum Beispiel auf übersehene Gruppen oder Probleme hinweisen und konkrete Vorschläge zur Lösung gesellschaftlicher Dilemmata entwickeln. Letztere haben nicht das Ziel allgemeingültig zu sein und die legitime öffentliche Entscheidungsfindung zu untergraben — sie dienen dazu, der öffentlichen Diskussion neue Impulse zu geben.
Durch den Fokus auf die sozialwissenschaftlich erforschten Aspekte des Klimawandels und der Klimapolitik lassen sich weiterhin aufklärerische mit aktivistischen Idealen verbinden. In den vergangenen Jahren hat sich jedenfalls viel getan in Klimakommunikation und -politik. Für Praktiker:innen ist es daher höchste Zeit, die eigene Schwerpunktsetzung zu überdenken.