Dr. Carl-Friedrich Schleussner ist Physiker und leitet den Bereich Klimawissenschaften und Klimafolgen beim Berliner Think Tank Climate Analytics. Er hat langjährige Erfahrung in Klimamodellierung und sich zuletzt stark auf Forschung im Zusammenhang mit dem 1,5-Grad-Ziel konzentriert. Darüber hinaus leitet er an der Humboldt-Universität eine Nachwuchs-Forschungsgruppe zu sozio-ökonomischen Barrieren der Klimaanpassung. Der folgende Text stammt von ihm sowie Marina Andrijevic und Claire Fyson.

 

In mehr als eintausend Städten in fast 90 Ländern weltweit wollen am Freitag dieser Woche wieder Schülerinnen und Schüler auf die Straße gehen: Sie fordern stringenten Klimaschutz zur Einhaltung des 1,5 °C-Limits des Pariser Abkommens. Denn, so das Hauptargument, es sei vor allem ihre Zukunft, die auf dem Spiel stehe. Damit haben sie recht: Ein heute 16-Jähriger Mensch wird als Folge der aktuellen, unzureichenden Klimaschutzanstrengungen im Durchschnitt mehr als die Hälfte seines Lebens in einer Welt mit mehr als 1,5 °C Erwärmung zubringen - möglicherweise sogar in einer Mehr-als-2-°C-Welt. Er wird also mit Klimafolgen zu kämpfen haben, die ein heute 60-jähriger Entscheidungsträger kaum noch erleben wird.

Bereits heute ist bekanntlich eine Erderhitzung um etwa 1 °C gegenüber vorindustrieller Zeit erreicht - und schon heute werden die Auswirkungen des Klimawandels immer verbreiteter und schwerwiegender, auch in Deutschland werden sich immer sichtbarer. In seinem Sonderbericht zum Thema 1,5°C vom Oktober 2018 hat der Weltklimarat eindrücklich vor den Risiken gewarnt, die sich bereits aus Klimaveränderungen bei einem Temperaturanstieg um 1,5 °C ergeben werden. Und sollte der Klimawandel dieses Niveau übersteigen, so der IPCC, würden sich die Risiken rasch und dramatisch erhöhen.

Das Signal der heutigen Politik: "Wir überlassen das Klimaproblem Euch"

Gleichzeitig sendet der Report eine starke Botschaft zur Dringlichkeit ambitionierter Klimaschutzmaßnahmen. Der IPCC wird dabei sehr deutlich: Wenn die bisherigen Emissionsminderungsziele der Staaten bis 2030 nicht deutlich verbessert werden, ist das 1,5-°C-Limit kaum mehr zu erreichen. Der in diesem Zusammenhang völlig unzureichende Vorschlag der deutschen Kohlekommission, bis 2038 weiterhin Kohle zu verstromen, sendet ein eindeutiges Signal an jüngere Generationen: Für die politischen Entscheider von heute hat Klimaschutz keine wirkliche Dringlichkeit. Die Frage, wie das Problem noch zu lösen ist, überlassen wir dann euch.

Wie hier in Hamburg gehen seit Wochen überall auf der Welt Kinder und Jugendliche für mehr Klimaschutz auf die Straße - so auch am Freitag dieser Woche; Foto: Katrin Desmarowitz/Campact/CC BY-NC 2.0

Gibt es keine substantiellen Nachbesserungen, würden die derzeitigen weltweiten Emissionsminderungsziele (laut den Analysen des Climate Action Trackers) bis Ende des Jahrhunderts zu einer Erwärmung um rund 3 °C gegenüber vorindustriellem Niveau führen. Bei einer solchen Entwicklung würden 1,5 °C ungefähr im Jahr 2035 und 2 °C Erwärmung etwa im Jahr 2054 überschritten werden.

Basierend auf den Daten zu Bevölkerungsentwicklung und Lebenserwartung von population.io haben wir die Wahrscheinlichkeiten für einen heute 60-Jährigen im Vergleich zu einem 16-Jährigen geschätzt, eine um 1,5 °C, 2 °C oder 3 °C wärmere Welt zu erleben. Die Ergebnisse sind in der nachstehenden Tabelle zusammengefasst. Nehmen wir Deutschland als Beispiel: Ein 60-jähriger Mann hat im Durchschnitt eine gute (62 Prozent) Chance, im Jahr 2035 noch am Leben zu sein, also eine 1,5-°C-Welt noch zu erleben. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass er noch eine 2-°C-Welt zu Gesicht bekommt.

Wahrscheinlichkeit, verschiedene Jahre in der Zukunft zu erleben, für verschiedene Altersgruppen und Staaten sowie den globalen Durchschnitt. Zum Beispiel wird ein heute 60-jähriger Deutscher nur mit 2-prozentiger Wahrscheinlichkeit noch im Jhar 2054 leben - ein 16-jähriger hingegen mit 96-prozentiger Wahrscheinlichkeit. (Die Abschätzungen in der Tabelle beziehen sich sämtlich auf Männer, die Lebenserwartung von Frauen ist generell höher.); Quelle: Climate Analytics/population.io

Ganz anders ist die Lage für einen 16-jährigen Jugendlichen: Er wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit das Überschreiten sogar der 2 °C-Grenze und möglicherweise gar eine Erhitzung um 3 °C gegen Ende des Jahrhunderts erleben. Dabei wird er den überwiegenden Teil seines Lebens mit den Klimafolgen einer Welt umzugehen haben, die sich um mehr als 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau erwärmt hat und die laut Weltklimarat hohe bis sehr hohe Risiken mit sich bringt. Fast die Hälfte seines Lebens wird die Erwärmung sogar 2 °C überschreiten.

Die Jugend der Welt lebt vor allem in Ländern des globalen Südens

Doch das ist noch nicht alles - die Ungleichheiten zwischen den Generationen verstärken sich noch deutlich, wenn man den Blick weitet. Die Verteilung von älteren und jüngeren Menschen unterscheidet sich stark zwischen den Weltregionen. Ein Viertel der heutigen 60- bis 64-Jährigen lebt in Ländern mit hohem Einkommen, eine Mehrheit lebt in Ländern mit hohem oder mittlerem Einkommen - in ärmeren Staaten jedoch leben nur fünf Prozent dieser Weltbevölkerungsgruppe. Im Gegensatz dazu lebt mehr als die Hälfte der 15- bis 19-Jährigen der Welt in Ländern mit niedrigem und niedrigem bis mittlerem Einkommen.

Relative Verteilung der heute 15-19-Jährigen gegenüber den 60-64-Jährigen sortiert nach Einkommen (gemäß der Länderklassifikation der Weltbank); Quellen: Wittgenstein-Center 2018, Weltbank 2017

Länder mit niedrigem oder niedrigem bis mittlerem Einkommen spüren die Folgen des Klimawandels bereits heute sehr deutlich. Diese Länder sind es auch, die ein Überschreiten des 1,5 °C-Limits besonders schwer träfe. Fassen wir zusammen: Ein heute 16-jähriger Mensch erlebt nicht nur sehr wahrscheinlich die Klimafolgen von 2 °C-Erwärmung, er lebt zudem mit höherer Wahrscheinlichkeit in einer Weltregion, die davon besonders betroffen wäre. Es kommen hier also Ungleichheiten zwischen den Staaten und zwischen den Generationen zusammen.

Und: Jüngere Leute verursachen tendenziell weniger Klimagase als ältere 

Ein dritter Aspekt der intergenerationellen Gerechtigkeit ist die Verteilung der Treibhausgas-Emissionen nach Altersklassen. Hier spielen viele Aspekte eine Rolle, etwa die Mobilität oder der Verbrauch von Strom oder Heizenergie. Altersabhängige Emissionsprofile sind nicht besonders gut untersucht, aber das Ergebnis einer Studie zum Thema ist in der untenstehenden Abbildung dargestellt. In den USA sind die Pro-Kopf-Emissionen eines 60-Jährigen etwa dreimal so hoch wie jene eines 16-Jährigen. Auch wenn die absoluten Zahlen stark vom methodischen Ansatz abhängig sind, erscheint das allgemeine Muster zunehmender Emissionen angesichts altersabhängiger Einkommens- und Vermögensverteilungen plausibel. (Wirtschaftliche Ungleichheiten zwischen den Generationen sind dabei nochmal ein ganz eigenes Thema.)

Je älter eine Person, desto höher der von ihr verursachte Kohlendioxid-Ausstoß - so das Ergebnis einer Studie aus den USA; Quelle: Zagheni 2011

Was bedeutet das alles nun? Die heutigen 60-Jährigen haben einen sehr großen Einfluss darauf, wie sich der Ausstoß an Treibhausgasen bis zum Jahr 2030 entwickeln. Mit den daraus erwachsenden Konsequenzen werden aber vor allem die 16-Jährigen zu tun haben.

Kleine Verzögerungen heute werden noch in Jahrhunderten spürbar sein

Die Reichweite der heutigen Entscheidungen mag für Laien schwer vorstellbar sein, aber sie reicht weit über die nächste Generation hinaus. Eine Verschleppung von Emissionssenkungen um nur ein paar Jahre, rechnten Forscher kürzlich im Fachmagazin Nature vor, wird sich noch über Jahrhunderte merklich im Meeresspiegelanstieg niederschlagen.

Noch ist es zum Umsteuern nicht zu spät: Um die Pariser Klimaziele zurreichen, bräuchte es eine deutliche Verstärkung der Klimaschutzmaßnahmen bis 2030. Es bräuchte ein stark verbessertes, 1,5 °C-kompatibles EU-Klimaziel, wie es jüngst sowohl das Europäische Parlament als auch eine Reihe von Regierungschefs gefordert haben. Und auch in Deutschland müsste ernstgemacht werden mit Klimaschutz. Die Revision des deutschen Klimaschutzplans böte die Chance, Deutschland auf einen Paris-kompatiblen Pfad zu bringen. Die Schülerinnen und Schüler von #FridaysForFuture haben begriffen, dass ihnen die Zeit davonläuft. Wann wird die Politik ihnen folgen?