Achim Bubenzer, Jahrgang 1949, Physiker, war Technologe für die Produktion von Dünnschicht-Photovoltaik-Modulen. 1992 nahm er einen Ruf auf eine Professur für Photovoltaiksysteme und Energiewirtschaft an der Hochschule Ulm an und war von 2001 bis 2015 auch deren Rektor. Er ist Gründungsmitglied des Ulmer Initiativkreises nachhaltige Wirtschaftsentwicklung e.V. (unw). Seit seiner Pensionierung beschäftigt er sich mit interdisziplinären Wegen zur Kommunikation von Klimathemen und unterstützt die Arbeit klimafakten.de ehrenamtlich.
Gibt es #FridaysForFuture eigentlich noch? Diese bange Frage hat mir die ARD-Reportage „Aufschrei der Jugend“ auf aufrüttelnde Weise wieder ins Bewusstsein gebracht. Ich empfehle sie jedem wärmstens, sie steht bis November 2021 zum Abruf in der ARD-Mediathek bereit.
Zwei Fakten hat mir diese exzellente und sehr sensible Reportage nochmals ganz deutlich gemacht:
1. In weniger als einem Jahr haben die AktivistInnen von #FridaysForFuture eine weltweite Kampagne zur Wahrnehmung der Klimakrise als existenzielle Bedrohung der Zukunft der Menschheit aufgebaut. Mit professioneller Organisation und Kompetenz in digitalen Medien, mit fundiertem Wissen zur Klimakrise, mit beeindruckender Disziplin und Umsicht und mit persönlichem Einsatz seiner AktivistInnen am Rande der physischen und psychischen Erschöpfung hat #FridaysForFuture Millionen Menschen weltweit erreicht. Und #FridaysForFuture ist vor allem von praktisch allen Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, sei es zustimmend oder ablehnend, zur Kenntnis genommen worden.
Dabei ist F4F das unglaubliche Kunststück gelungen, eine basisdemokratische Graswurzelbewegung zu bleiben, mit einigen wenigen profilierten Gesichtern, wie Greta Thunberg oder Luisa Neubauer, die sich der Öffentlichkeit eingeprägt haben. Unter der Dachmarke „For Future“ bildeten sich zur Unterstützung die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen: Scientists, Parents, Omas, Farmers, Entrepreneurs, Artists, Psychologists und viele weitere. Die Bewegung #FridaysForFuture erreichte schon vor ihrem ersten Geburtstag eine globale historische Dimension.
2. Mit dem Einsetzen der Coronapandemie wurde dann nicht die Klimakrise ausgebremst, sondern stattdessen innerhalb weniger Wochen #FridaysForFuture.
Dass die Bewegung dadurch ihre große Bühne verlor, ist tragisch. Viel schlimmer jedoch ist die Art, wie den AktivistInnen von #FridaysForFuture ihre Ohnmacht vor Augen geführt wurde: auf die brutale Tour mit verschärften Verweisen durch Schulrektoren, durch bräsige Arroganz von Führungskräften aus Großunternehmen, selbsternannten „Profis“ oder schließlich schulterklopfend von der Kanzlerin mit dem tiefsinnigen Hinweis, dass Politik eben das sei, was möglich ist.
All das war Demotivation pur - Demotivation unserer moralischen und intellektuellen Nachwuchselite. Denn nur eine Elite von intrinsisch motivierten jungen Menschen mit hoher sozialer und intellektueller Intelligenz, strukturiertem Denken, Durchhaltevermögen und Kreativität konnte die historische Leistung von #FridaysForFuture erbringen. Diesen, den besten unserer Kinder und Enkel haben wir, salopp gesprochen, den Nerv geklaut. Mit „wir“ meine ich die führende Gruppe der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger unseres Landes. Wir haben ihnen einen Teil Ihrer Kraft und viel ihrer Freude am Handeln für die Zukunft genommen.
"Obwohl wir eigentlich genau wissen, was zu tun ist,
stehen wir Väter und Großväter immer noch auf der Bremse"
All das ist mir in der Nacht nachdem ich die Reportage von Katrin Pitterling gesehen hatte, nochmals wie Schuppen von den Augen gefallen. Und ich habe diese Gedanken als Vater kaum ertragen können. Denn an dieser Stelle kommen wir, die Männer, die Väter, noch viel mehr die Großväter ins Spiel. Es waren und sind hauptsächlich wir Männer, die für unsere deutschen Erfolge als Exportweltmeister stehen, für Erfolge auch auf Kosten des globalen Klimas, auf Kosten unser aller Lebensgrundlage. Frauen und Mütter dürfen sich dabei aufgrund bekannter Genderdefizite, bis auf einige prominente Ausnahmen, i.d.R. beruhigt zurücklehnen (was sie jedoch zum Glück oft genug nicht tun).
Und obwohl wir eigentlich genau wissen, was die Klimauhr geschlagen hat und was zu tun ist, stehen wir Väter und Großväter immer noch bei der notwendigen Priorisierung von Klimaschutz auf der Bremse.
Natürlich ist all das grob vereinfachend, viele von uns allen kämpfen bis zur Erschöpfung für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung. Aber nicht erst seit Helmut Kohl ist entscheidend, was hinten rauskommt. Und das ist: eine blanke Katastrophe für eine gute Zukunft unserer Kinder und Enkel.
"Das Produkt von uns Vätern und Großvätern war und ist das deutsche Wirtschaftswunder. Aber unser Produkt ist fehlerhaft"
Ob zu Recht oder zu Unrecht, in unserem Land dreht sich vieles, mitunter fast alles um die Wirtschaft, den Produktionsstandort Deutschland, um Produkte, Märkte, Exporte. Vielleicht sollte ich daher versuchen, die Forderung von #FridaysForFuture in die Sprache der Unternehmer zu übersetzen: Jeder Unternehmer, der ein Produkt oder eine Dienstleistung verkauft, weiß, wenn sein Produkt fehlerhaft ist, dann hat er die Pflicht und auch das Recht zur Nachbesserung.
Das gesellschaftliche Produkt von uns Vätern und Großvätern war und ist das deutsche Wirtschaftswunder, in dem wir bis heute im Vergleich zum Rest der Welt recht gut leben. Das Produkt ist nur leider fehlerhaft: Es hat durch den massiven Verbrauch natürlicher Güter zur globalen Klimakrise und zum größten Artensterben seit dem Ende der Dinosaurier beigetragen. Und weil unser Produkt weltweit so beliebt und begehrt ist, wurde es unglücklicher Weise sogar zu einem globalen Vorbild und damit zu einem entscheidenden Wegbereiter von Klima- und Artenkrise.
"Wie ehrbare Kaufleute und verantwortungsbewusste Unternehmer müssen wir alles daransetzen, unser Produkt nachzubessern"
Aber wie viele aus meiner Generation der Väter und Großväter wehre ich mich dagegen, für unser fehlerhaftes Produkt an den Pranger gestellt zu werden – denn davon wird nichts besser. Wir sollten uns stattdessen selbst vom Pranger befreien, und zwar dadurch, dass wir uns wie ehrbare Kaufleute und verantwortungsbewusste Unternehmer verhalten. Das heißt, wir müssen alles daransetzen, unser fehlerhaftes Produkt nachzubessern.
Ganz konkret heißt das, wir müssen bis Mitte der dreißiger Jahre (und nicht erst bis 2050!) dem Kunden ein klimaneutrales Produkt abliefern. Das ist nur möglich, wenn wir Väter und Großväter in den kommenden zehn Jahren diesem Ziel absolute politische und wirtschaftliche und wahrscheinlich auch soziale Priorität geben. Die jungen Frauen und Mütter, behaupte ich, sind in dieser Hinsicht meist schon viel weiter als wir Männer.
Wenn wir so handeln, dann geben wir den Aktivist:innen von #FridaysForFuture wieder den Glauben an ihre Handlungswirksamkeit, ihre Motivation, ihren Spaß an der Sache und damit ihre jugendliche Kraft zurück. Wir werden diese Kraft weiß Gott noch dringend brauchen.
"Die #FridaysForFuture-Generation gibt uns vielleicht auch etwas davon zurück, was wir in durchwachten Nächten an Kinderbetten gegeben haben"
Und damit bin ich wieder vor allem Vater und Großvater und nicht mehr ein Mann der Wirtschaft und Wissenschaft. Wir, Mütter und Großmütter, Väter und Großväter können stolz sein auf unsere #FridaysForFuture-Generation! Die Schülerinnen und Schüler, die jungen Frauen und Männer, sie geben damit vielleicht auch etwas davon zurück, was Eltern in durchwachten Nächten an Kinderbetten, Ertragen von pubertären Proteststürmen, Geduld bei Hausaufgabenbegleitung, Durchhalten bei frustrierenden Elternversammlungen und und …. gegeben haben.
Aber damit das alles so seinen vernünftigen und guten Weg nehmen kann, haben vor allem wir Älteren, die wir Erfahrung, Wählerstimmen (!) und oft genug auch Geld und Einfluss haben, noch wirklich viel zu tun. Und daher ist es vor allem an der Zeit für
#VäterForFuture!
(Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung des Textes war das Alter von Achim Bubenzer falsch angegeben. Wir haben dies inzwischen korrigiert.)