Der Klimawandel ist bekanntlich eine unschöne Sache, die negative Gefühle auslöst - und die man daher gern ausblendet. Rund ums Thema macht sich so ein sozial konstruiertes Schweigen breit. Was liegt angesichts dieser Ausgangssituation näher, als sich dem Ernst des Themas sozusagen von der entgegengesetzten Seite zu nähern, vom Spiel also? Die in Manchester lebende Geographin Jana Wendler hat es ausprobiert – mit einem Stadtspiel für Erwachsene.
Der sogenannte Street Game-Ansatz erfreut sich zunehmender Beliebtheit: In Freiluft-Spielen mitten in der Stadt (auf dem Dorf geht’s natürlich auch) lösen Erwachsene alle mögliche Aufgaben. Mal jagen sie Zombies, mal müssen sie in der elektronisch vernetzten Stadt der Zukunft eine Art Schnitzeljagd absolvieren. Mit diesen Spielen im öffentlichen Raum praktizieren sie nicht nur eine der grundlegendsten Ausdrucksformen menschlicher Kultur - sondern machen sich auch auf den Weg, inmitten der gebauten Umwelt neue Sinn-Bezüge zu entdecken. Spielerisch eben. So populär ist der Trend, dass es mit PlayPublic bereits ein von der Kulturstiftung des Bundes gefördertes Urban Games-Festival in Berlin gab.
Fesselnde Spielidee: Als städtischer Krisenmanager eine Flut abwenden
Was mit Zombies Spaß macht, gelingt auch beim Klimawandel mit Leichtigkeit – wie das Projekt von Jana Wendler belegt. Das Spielvergnügen jedenfalls ist den Protagonisten anzusehen, die sich in diesem Video als Katastrophenschützer auf den Weg machen, einen Notfallplan für den Schutz vor Hochwasser aufzustellen. Downpour! (englisch für Wolkenbruch) heißt das Stadtspiel, in dessen Rahmen jeweils fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Rolle städtischer Krisenmanager schlüpfen. "Stell' Dir vor: Es regnet seit vier Tagen, und die Flussufer brechen bereits zusammen", lautet das fesselnde Ausgangsszenario. "Das Flutrisiko ist groß - und Du wirst mit Deinem Team losgeschickt, die Krise abzuwenden. Kannst Du die Stadt retten?"
Im echten städtischen Umfeld, mit echten Stadtplänen versuchen die Mitspielerinnen und Mitspieler, Manchester vor den nach einem Starkregen hereinbrechenden Wassermassen zu schützen; Foto: Oropendola Productions
Die nur etwa einstündige Spielrunde der fünf Manchester Flood Risk Advisor (zu deutsch Hochwasserschutzberater) beginnt in einem "Lagezentrum", in dem sie entscheiden müssen, welchen Stadtteil sie besonders mit Dämmen schützen wollen. Anschließend heißt es, selbst den Pegelstand am nächstgelegenen Fließgewässer zu messen. Schließlich sind private Landbesitzer davon zu überzeugen, ihre Wiesen überfluten zu lassen, um damit die Stadt zu schützen. Zum Abschluss gibt es noch ein Debriefing mit dem Bürgermeister der Stadt (dargestellt von einem Schauspieler) mit dem Auftrag, ein Hochwasser-Präventions-Programm zu entwickeln.
Gewonnen hat, wer das beste Hochwasserschutzkonzept entwickelt
Die hierbei von den Teilnehmern entwickelten Konzeptideen trafen dann sozusagen in der Zukunft auf die Wirklichkeit: Wessen Vorschläge Manchester tatsächlich am besten vor den im Zuge des Klimawandels häufiger zu erwartenden Starkregen schützt, der hat das Spiel gewonnen. "Zwei Drittel der Teams haben "gewonnen", also Manchester gerettet", erinnert sich Jana Wendler an die für das Manchester Science Festival entwickelten Runden von Downpour! "Aber es gab auch Gruppen mit hoher Punktzahl, die einfach Pech hatten und die am Ende einen sehr starken Sturm abbekommen haben."
Die Vorteile des Street-Gaming als Kommunikationsform liegen auf der Hand: Ganz wie bei klassischen Strategiespielen befassen sich die Spieler auch hier mit komplexen Situationen und Szenarien; der realistische Bezug zur (möglichen) Gegenwart erhöht dabei den spielerischen Reiz. Zugleich ist der ganze Mensch gefragt, denn neben der kognitiven Ebene kommen auch das soziale Miteinander und sinnliche Erfahrungen ins Spiel. Der Duft der Großstadt, der Klang des Asphalts, die steingewordene Wirklichkeit des städtischen Raums - all das entfaltet eine direkte Wirkung. Der vielleicht wichtigste Aspekt der Gaming-Methode aber hat mit dem Hineinschlüpfen in andere Rollen zu tun: Aus passiven Zuschauern des Klimageschehens werden handelnde Akteure. Die Spieler erleben einen Moment der Selbstwirksamkeit – ein Schlüsselbegriff moderner Didaktik.
Der wohl wichtigste Effekt des Spiels: Aus passiven Zuschauern des Klimawandels werden handelnde Akteure; Foto: Oropendola Productions
Was vergnüglich gelingen soll, verlangt indes ernsthafte und intensive Vorbereitung. "Es beginnt mit monatelangen Recherchen", berichtet Wendler. Das Spiel könne nur gelingen, wenn es möglichst realistischen Rahmenbedingungen folgt. "Dazu haben wir uns frühere Hochwasser- und Starkregenereignisse angesehen, haben Experten und Forscher interviewt, Betroffene befragt." Die Vorbereitung hat sich offenbar ausgezahlt: 73 Prozent der Teilnehmer des Downpour!-Spiels in Manchester gaben bei einer Evaluation an, "etwas gelernt" zu haben. Sogar 85 Prozent befassten sich dank des Spiels überhaupt zum ersten Mal mit dem Klimawandel in ihrer Stadt.
Vielen Spielern wurde - erstmals überhaupt - der Klimawandel nahegebracht
Bei allem Erfolg von Downpour! ist sich Jana Wendler allerdings auch der Grenzen des Street Game-Ansatzes bewusst: So werde nur eine vergleichsweise kleine Zahl an Teilnehmern erreicht (die allerdings intensiv), Aufwand und Kosten sind vergleichsweise hoch, und bei einem Ortswechsel von Stadt zu Stadt muss ein Spielkonzept aufwändig neuen örtlichen Gegebenheiten angepasst werden.
Vom Potenzial der Stadtspiele ist sie dennoch überzeugt – und will mit ihrer Agentur Playfuel und Partnern in Deutschland und Österreich auch künftig den Klimawandel in die Stadt bringen. Denn im besten Fall kann aus Spiel auch wieder Ernst werden: Wenn nämlich die Vorbereitung für den Ernstfall robuster wird, weil im Spiel gewonnene Erfahrungen und Einsichten als Feedback an "echte" Stadtplaner und Katastrophenschützer zurückgespielt werden.
Carel Mohn