Ein Teil der Lösung für die Klimakrise wächst keine 300 Meter von Ulrike Hagemanns Büro entfernt. Es ist eine kleine Roteiche, die am Wegesrand im Stadtwald Eberswalde steht. Die Forstwissenschaftlerin beugt sich über das etwa ein Meter hohe Bäumchen und zählt die Knoten, an denen die Pflanze im Frühjahr neu ausgetrieben hat. „Eins, zwei, drei, dann etwas Verbiss unten, also vielleicht vier oder fünf Jahre.“

Woher die Eichel vermutlich kam, aus der die Pflanze gekeimt ist, sieht die Leiterin des Landeskompetenzzentrums Forst Eberswalde, als sie sich umdreht. Dort steht eine ausgewachsene Roteiche im besten Alter, etwa 80 Jahre alt. Ihre Borke ist nicht so tief und unregelmäßig gefurcht wie bei einer hiesigen Stieleiche, sondern eher glatt mit Kerben entlang des Stammes. Der Herbst verleiht ihren Blättern die charakteristischen und namensgebenden Rot- und Rotbraun-Töne.

Kiefern-Monokultur

Kiefern-Monokulturen, die anfällig sind für Klimawandel und Waldbrände, bestimmen bislang in Brandenburg das Bild des Waldes; Foto: WikimediaCommons/Mehlauge

Hagemann stellt aber schnell klar, dass Bäumchen und Baum nur „winzige Bausteine der komplexen Lösung“ darstellen. Die ursprünglich aus Nordamerika stammende Roteiche ist nämlich nur eine von ungefähr 60 heimischen oder bislang nicht heimischen Baumarten, die künftig in Brandenburg die klimagestressten Wälder widerstandsfähiger machen könnten. Und die die Arbeit im Wald von Grund auf verändern werden.

Bisher dominieren die nach dem Zweiten Weltkrieg gepflanzten Kiefern, deren schnellwachsende Stämme gutes Bauholz abgeben; sie machen in Brandenburg noch immer knapp 70 Prozent des Baumbestands aus. Doch in Zukunft wandeln sich die Verhältnisse: Neben den bisher schon weit verbreiteten heimischen Buchen und Eichen untersuchen die Forscherinnen und testen die Förster und Waldarbeiter andere Eichen-Arten, Esskastanien und etliche andere Laubbäume, aber auch Lärchen, Thuja, die – ebenfalls ursprünglich nordamerikanischen – Douglasien sowie andere Kiefernarten.

Das Bundesland Brandenburg ist auf dem Weg in eine heißere und trockenere Zukunft den anderen voraus, darum ist unter anderem die Arbeit in Hagemanns Institution wegweisend. Die Region sei eines der „am stärksten verwundbaren Gebiete Deutschlands“, sagt das Landesamt für Umwelt. Mitarbeiter von Hagemann drücken es drastischer aus: „die Sahelzone Deutschlands“. Dabei ist die Gegend nördlich von Berlin, wo auch Eberswalde liegt, noch etwas besser dran ist als südlichere Landesteile, die im Regenschatten des Harzes noch weniger Wasser abbekommen und heftigere Trockenheit bis Dürre erleben.

Solche Verhältnisse verändern nicht nur die Arbeit in der Forst-, sondern auch in der Landwirtschaft – in allen Berufen, die Produkte wie Holz, Getreide oder auch Wein erzeugen. Viele der dort verwendeten Pflanzen prägen Ökosysteme und Landschaften. Besonders die Wälder gelten einerseits als Hoffnungsträger im Kampf gegen den Klimawandel. Sie sollen dank der Arbeit der Fachleute immer mehr Treibhausgase aufnehmen; von anderen grünen Berufen werden zunehmend naturnahe, klimafreundliche Lebensmittel erwartet. Forst- und Landwirtschaft zählen andererseits aber auch zu den ersten Opfern der Erderhitzung.

Dieses Dilemma verbindet die grünen Branchen im Übrigen mit der Binnenschifffahrt und deren Kunden. Schiffe auf Wasserstraßen sind zwar ein energieeffizientes Verkehrsmittel mit relativ geringem Treihausgasausstoß und großer Kapazitätsreserve. Doch auf den zunehmend von Niedrigwasser betroffenen Flüssen Transporte von schweren Geräten wie Windkraft-Generatoren oder Massengütern wie Weizen zu abwickeln, wird zunehmend zur Herausforderung. Weil dieser Artikel besonders in den Osten Deutschlands blicken soll, werden vor allem die Entwicklungen am Beispiel der Elbe den zweiten Teil dieses Artikels bilden.

Förster mit Tränen in den Augen

Was die Roteiche auszeichnet, und warum ihr beim Umbau der Wälder in Brandenburg eine wichtige Rolle als Mischbaumart zukommt, zählt Ulrike Hagemann an ihren Fingern auf, immer noch neben dem Bäumchen in Eberswalde stehend: „Ziemlich resistent gegen Hitze und Trockenstress, trotzdem gutes Wachtum, kann nach Spätfrösten oder Waldbränden wieder austreiben. Die Blätter sind ziemlich groß und ledrig, schlecht brennbar, sie verrotten am Boden nur langsam und schützen ihn so vor Austrocknung – ideal zum Beispiel für Waldbrand-Schutzriegel.“ Zum Beleg nimmt sie eines der recht großen, gezackten Blätter vom Boden, klemmt die Ränder zwischen Fingerspitzen und Daumenballen beider Hände, und muss dann ziemlich kräftig ziehen, bis es in der Mitte aufreißt. „Genau diese Eigenschaften führen aber auch dazu, dass unter einem dichten Roteichendach kaum noch andere Bodenpflanzen wachsen.“

Für Hagemanns Arbeit und die der Beschäftigten in Forstbetrieben bedeutet der angestrebte Umbau des Waldes zu einem klimaresistenteren Ökosystem eine ziemliche Umstellung. Sie ist aber motiviert durch eine Reihe von Schockerlebnissen: ganze Partien des Waldes, ganze Hänge im Mittelgebirge voller toter und sterbender Fichten. Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: Bundesweit ist nur noch jeder fünfte Baum im Wald gesund; in Brandenburg hatte 2023 nur jeder vierte Baum keine sichtbaren Schäden – und das war schon eine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr.

Die Verhältnisse lösen starke Gefühle aus. „Ich habe gestandene Forstleute gesehen, Förster von 61 Jahren, die hatten Tränen in den Augen“, erzählt Hagemann. Oft genug könnten sie alten Eichen, die mit 160 Jahren irgendwo in der Mitte ihrer Lebenserwartung angekommen sind, nur noch beim Sterben zusehen. Man spüre bei ihren Mitarbeitern und Kolleginnen auch Trauer mit den klassischen Ausprägungen wie Nicht-wahr-haben-wollen, Wut, Verzweiflung und Akzeptanz. Für solche emotionalen Reaktionen besitzt Hagemann, die auch eine Ausbildung als Supervisorin und Coach durchlaufen hat, besondere Antennen.

Auf die größere Durchmischung künftiger Wälder muss sich auch die Holzindustrie einstellen. „Es wird nicht mehr beliebig viel Eichenparkett auf Bestellung geben“, sagt Hagemann, „und vielleicht nicht zu jedem Zeitpunkt beliebig viel sägefähiges, dickes Holz.“ Die Industrie müsse sich darauf vorbereiten, mit anderen Querschnitten, mit Holzverbund und Holzfasern zu arbeiten. „Wir geben der Industrie gern eine Liste mit Baumarten, welches Holz sie aus Brandenburg in 50 bis 100 Jahren erwarten können.“

Von Anfang an lernen, vieles anders zu machen

In 50 Jahren, da endet das Berufsleben der jungen Leute, die gerade in der Waldarbeitsschule der Brandenburgischen Landesforstverwaltung in Kunsterspring ihre Lehre machen. 30 Auszubildende pro Jahrgang erlernen hier den Beruf des Forstwirts oder der Forstwirtin. „Wir bekommen dafür 180 Bewerbungen, und als Fridays for Future vor der Pandemie besonders aktiv war, waren es sogar 220“, erzählt der Sachgebietsleiter für die Ausbildung, Enrico Backs. „Wir nennen das den Greta-Effekt.“ Neben den eigenen Azubis, deren rote Jacken an Brust, Rücken und Oberarmen breitflächig mit grellem Gelb abgesetzt sind, kommen auch junge Leute aus anderen Institutionen hier zu Lehrgängen her. Alle tragen persönliche Schutzkleidung in Signalfarben, damit sie zwischen den Bäumen gut zu sehen sind.

Backs und die anderen Ausbilder bereiten die Auszubildenden auf eine berufliche Zukunft vor, über der in Großbuchstaben das Wort „Anpassung“ steht: die Azubis werden viele Arbeitsschritte anders machen und viele Entscheidungen anders treffen müssen als früher. Das beginnt – nach dem Lebenszyklus der Bäume geordnet – mit dem Anpflanzen. In der Nähe der Ortschaft Netzeband liegt mitten im Wald eine leere Fläche, etwa ein Hektar groß.

 

„Es wird nicht mehr beliebig viel Eichenparkett auf Bestellung geben. Wir geben der Industrie gern eine Liste mit Baumarten, welches Holz sie aus Brandenburg in 50 bis 100 Jahren erwarten können.“

 

Hier hatten gestresste Fichten gestanden, denen der Borkenkäfer den Rest gegeben hat. Nun sind die toten Bäume gefällt worden, es stehen nur noch einige Kiefern, Birken, Buchen und eine Douglasie. Überall liegen tote Äste, verrottende Teile von Stämmen und Baumreisig. „Sie halten das Wasser auf der Fläche, geben es langsam ab und bieten Lebensraum für Insekten“, sagt Bernd Böhnke von der Waldarbeitsschule. „Früher hätte man das alles weggeräumt und dann umgepflügt, heute weiß man es besser.“

Ein Trupp Auszubildender bereitet sich darauf vor, auf der Fläche gerade Linien zu bestimmen, in der Fachsprache „zu fluchten“, um die geplanten engen Baumreihen anzulegen, und dann Traubeneichen, Rotbuchen und Bergahorn aus Baumschulen zu pflanzen. Die nackten Wurzeln kommen in die Pflanzspalte in der Erde, die mit geübten Bewegungen von Werkzeug und Fuß geschlossen wird; den Rest muss die Pflanze selbst schaffen. Außerdem sollen hier und da einzelne Douglasien aus dem Container, also mit einem Erdballen um die Wurzeln, eingepflanzt werden. Um das Gelände herum steht schon ein Zaun, damit das Wild die zarten Triebe nicht als Delikatesse verbeißt.

Waldumbau bedeutet in der Praxis: Eine ganze Menge Mehrarbeit

Wo was hinsoll, steht auf dem Plan, den Böhnke in der Hand hat. Die drei Baumarten bekommen jeweils größere Bereiche, denn stünden sie bunt durchmischt, würden jeweils die Ahorne mit ihrem überlegenen Wachstum den Wettbewerb um Licht und Wasser für sich entscheiden. „Wir bekommen hier eine Fläche mit den drei Arten, die wir nach dem neuen Klimaplan des Landes mindestens pflanzen müssen“, sagt er. „Zusammen mit dem, was hier schon steht, werden es sieben oder acht Arten sein, das macht die spätere Pflege ungleich komplizierter.“

Diese „Pflege“ eines heranwachsenden Bestandes bedeutet, in großen Abständen durch die Reihen zu gehen, und Konflikte zwischen Bäumen zu lösen, wenn aussichtsreiche Exemplare zu dicht stehen und sich gegenseitig die Chancen auf Licht und Wachstum nehmen. Ein tiefer Ringschnitt in die Rinde bringt dann einen der Konkurrenten zum Absterben. Bei einem reinen Eichenbestand ist die Pflege nur etwa alle 25 Jahre nötig. Hingegen verkompliziert sich die Pflege eines heranwachsenden Mischwalds mit jeder weiteren Art, die jeweils besondere Bedürfnisse, Eigenschaften und Rhythmen hat. Der Wald mag so größere Überlebenschancen in einer Welt mit ungewissem Klima haben, aber für die Forstleute potenziert sich der Arbeitsaufwand – auch dies ein Teil von Klimaanpassung.

Waldarbeiter mit Schutzausrüstung

Eine gute Ausrüstung und sorgfältige Ausbildung wird für das sichere Arbeiten im Wald in Zeiten des Klimawandels noch wichtiger; Foto: Carel Mohn

Das gilt ebenso für den letzten Akt im Leben vieler Bäume: das Fällen. Eine Gruppe Auszubildender der Waldarbeitsschule übt die Arbeitsschritte an Kiefern, die gut 30 Meter hoch sind und mindestens 80, eher 110 Jahre alt. Sie stehen in einem Waldstück, das sich schon verjüngt hat, weil zwischen den glatten Stämmen der Nadelbäume jüngere Buchen und auch sonst viel Unterwuchs stehen. Die Kiefern zu entnehmen hat nicht nur den Zweck, ihr Holz zu ernten, sondern auch, den jüngeren Laubbäumen mehr Licht und mehr Ressourcen im Boden zu verschaffen. Manche von diesen sind mit weißen Ringen aus der Sprühdose als „Zukunftsbaum“ gekennzeichnet: Ihnen soll möglichst nichts passieren, wenn die Kiefern fallen.

Genau diese Aufgabe hat Sandra Teubner, die im zweiten Lehrjahr bei der Bundesforstverwaltung ist und einen Lehrgang in Kunsterspring absolviert. Bei ihr steht hinten rechts in der Entfernung zum Stamm, in der die Krone einschlagen würde, ein weiß gekennzeichneter Zukunftsbaum, eine mittelalte Buche. Das erfordert eine zentimetergenaue Planung mit ihren Ausbildern, eine sogenannte Baum-Ansprache: Die 17-Jährige entscheidet sich, ihre Kiefer so zu fällen, dass deren Stamm leicht nach links fällt, gegen einen 10 Meter entfernten Nachbarn prallt und im Sturz an dessen Rinde entlang schrammt.

Beim Umgang mit der Motorsäge und fallenden Baumstämmen spielt natürlich der Arbeitsschutz eine besondere Rolle. Angehende Forstwirtinnen und Forstwirte müssen lernen, welche Position der Beine sowohl einen guten Stand bei geradem Rücken erlaubt, als auch Füße, Schienbeine und Waden aus dem Schwenkbereich der Säge heraushält, sollte die Kette bei einem diffizilen Schnitt abrutschen.

Zunehmende Dürren machen das Arbeiten im Wald gefährlicher

Besondere Vorsorge müssen die Forstbeschäftigen auch dann treffen, wenn sie es mit abgestorbenen Bäumen und Schadholz zu tun haben – und dieser Teil ihrer Arbeit hat laut einer Umfrage der zuständigen Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) als Folge des Klimawandels stark zugenommen. Auch Backs warnt davor, dass abgestorbene Fichten ohne irgendwelche Vorzeichen zusammenbrechen oder dicke Äste verlieren können, wenn man sie nicht rechtzeitig fällt. Das bringt Waldarbeiter wie Besucher zunehmend in Gefahr.

Die zuständige Unfallkasse mahnt, bei abgestorbenen Bäumen möglichst einen sogenannten Harvester einzusetzen. Das ist ein geländegängiges Fahrzeug, bei dem am Ende eines langen Kranarms ein Greifer und eine Säge angebracht sind. Die Maschine kann den Stamm festhalten, absägen und kontrolliert auf den Boden legen, während der Mensch diese Bewegungen in einer geschützten Kabine mit Steuerknüppeln lenkt. Simulatoren für diese Arbeit gibt es in der Waldarbeitsschule auch, allerdings wollten nicht alle angehenden Forstwirtinnen und Forstwirte die Zusatzqualifikation erwerben, sagt Backs: „Wenn die Harvester regulär zur Holzernte eingesetzt werden, dann ist das eine sehr einsame Arbeit, oft im Schichtbetrieb.“

Also auch wiederum Umstände, die bei der Gefährdungsbeurteilung für den Arbeitsschutz zu berücksichtigen wären. Wie überhaupt jede Anpassung von Handgriffen und Techniken, Verfahren und Methoden, Zeitraum und Dauer der Arbeit, die als Reaktion auf klimatische Veränderungen erfolgt, auf mögliche Risiken untersucht werden muss. Um diese möglichst abzustellen. In der Forstwirtschaft wie in jedem anderen Beruf. (Arbeitsschutz spielt im ersten Teil dieser Serie eine wesentliche Rolle.)

Solch komplizierte Manöver, wie Teuber sie beim händischen Fällen von Bäumen heute erlernt, wären in den historisch gewachsenen und lichten Kieferbeständen kaum nötig gewesen, und der getriebene Aufwand wohl auch unrentabel. „Aber unser Betriebsziel ist es inzwischen, die Ökologie wichtiger zu nehmen als die Wirtschaftlichkeit“, sagt Backs. „Wir arbeiten dabei mit Lebewesen, die drei menschliche Arbeitsleben lang wachsen.“ Seine Kollegen und Kolleginnen und er träfen Entscheidungen für Hunderte von Jahren, und den Erfolg könnten nur kommende Generationen beurteilen. „Doch wenn sich politische Mehrheiten ändern und alle vier oder auch nur alle zwölf Jahre die Ziele der Forstarbeit, dann werden wir unsere Aufgabe nicht erfüllen können.“

Hinzukommt: Die Rolle, die die Politik der Forstwirtschaft im Moment zudenkt, könnte eine Überforderung darstellen, weil der Hoffnungsträger im Klimaschutz eigentlich selbst ein Opfer des Klimawandels ist. Ulrike Hagemann bringt es auf den Punkt: „Der Wald leidet, und wird gleichzeitig als Heilsbringer gehypt, der immer mehr Treibhausgase aufnehmen und die Emissionen anderer Sektoren kompensieren soll. Diese Doppelrolle sehen wir in der Forstwissenschaft sehr kritisch.“ Denn ihre Disziplin hat schon genug damit zu tun, den Wald überhaupt als funktionelles System zu erhalten, das vermutlich in Zukunft ganz anders aussieht bisher.

Klimawandel im Weinbau: Mehr Sonne ist nicht nur eine gute Nachricht

Die Perspektive, Entscheidungen über Jahrhunderte zu treffen, haben die Beschäftigen im Weinbau nicht. Aber auch ihre Reben sind Pflanzen, die sehr alt werden können. Und unter Trockenheit leiden sie ebenso, zum Beispiel in einem der beiden ostdeutschen Weinbaugebiete, der Region Saale-Unstrut. Sie umfasst etwa 850 Hektar Weinberge und liegt vor allem in Sachsen-Anhalt mit einzelnen Lagen in Thüringen und Brandenburg. Die Abhängigkeit von den Mustern des Wetters zeigt schon ein Wahlspruch auf der Webseite des Weinbauverbands: „Der Boden ist der Vater des Weines, der Rebstock die Mutter, und das Klima sein Schicksal.“ Dieses Schicksal war bisher einigermaßen gnädig. Nach Süden zur Sonne gerichtete Hänge vor allem in den Flusstälern erlauben den Anbau, obwohl die Region die nördlichste und – bis auf sächsische Flächen bei Dresden – östlichste in Deutschland ist.

Das Schicksal könnte sich aber auch wenden: Die Region hat in den Jahren seit 2013 sieben mit starker Trockenheit erlebt, davon 2018 bis 2020 am Stück. Der viele Sonnenschein verbesserte zwar zum Teil die Qualität der Jahrgänge, aber die Statistiken der Erträge zeigen die Kehrseite: Die Mosternte in Hektoliter pro Hektar fiel ab dem zweiten Jahr des Zeitraums, als alle Wasserreserven im Boden verbraucht waren, deutlich ab und rutschte auf den letzten Platz im Vergleich der 13 deutschen Weinbau-Regionen. Erst 2022, eigentlich auch ein trockenes Jahr, aber aus dem Vorjahr noch mit Feuchtigkeit im Boden, zogen die Mengen wieder an, und Saale-Unstrut konnte die rote Laterne abgeben. Doch schon 2024 traf die Weinberge gegen Ende April strenger Spätfrost. Der Ertrag ist vor allem deswegen um 72 Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen.

 

„Der Boden ist der Vater des Weines, der Rebstock die Mutter, und das Klima sein Schicksal.“

 

Traditionell sorgen sich Wein- wie Obstbauern bis zu den Eisheiligen Mitte Mai vor Frost. „Wenn die Reben in einem milden Frühjahr wie 2024 sehr früh austreiben, dann verdoppelt sich die Zeit des Risikos von zwei auf vier Wochen“, sagt Andreas Clauß vom Thüringer Weingut Bad Sulza. Der Kurort liegt an der Ilm, die wenig entfernt in die Saale mündet. Clauß selbst hört man die Herkunft aus der Region Stuttgart noch an, er arbeitet inzwischen aber seit 30 Jahren im Osten. Für diese Zeit könne er „aus dem Kopf eine grobe Übersicht über die Jahrgänge und den Wetterverlauf“ geben. Im Lauf der Zeit sei der ergiebige Landregen im Sommer immer seltener geworden. Trockene Winter ließen die Reben mit einem negativen Saldo ins Jahr starten. Er weiß also, wovon er spricht, wenn er sagt: „Durch den Klimawandel kommt inzwischen die Normalität abhanden.“

Als Winzer sei er ja den Umgang mit wechselnden Jahren gewohnt, sagt der Wahl-Thüringer, aber inzwischen werde es auch emotional und mental schwierig. Viele Weingüter müssten Most aus anderen Regionen zukaufen und zu Wein verarbeiten, um wenigstens die Stammkundschaft beliefern zu können. „Wir brauchen 2025 eine gute Ernte.“ Die Aussichten stünden nicht schlecht, weil es 2024 viel geregnet hat. „Der Boden ist gut durchfeuchtet, daher wird es nicht so fatal sein können.“ Strenger Winterfrost, Spätfrost im Frühjahr oder Hagel im Sommer bleiben aber trotzdem möglich.

Wein im Anbaugebiet Saale-Unstrut bei Bad Kösen

Das ostdeutsche Weinbaugebiet Saale-Unstrut hat in den letzten Jahren besonders unter Dürre gelitten; Foto: WikimediaCommons/Stefan Oemisch

Die klimatische Änderung schlägt auch auf die Arbeit in den Weinbergen durch. Bei großer Trockenheit kann es nötig sein, die Reben durch radikale Schnitte zu entlasten, damit sie weniger Grünmasse zu versorgen haben und wenigstens überleben. Die Blätter werden ohnehin vorzeitig gelb, die Trauben verlieren ihre Spannung. Steht aber eine große Lese bevor, womöglich mit Zeitdruck vor einer Schlechtwetterfront, gibt es wie überall in der Landwirtschaft keinen Acht-Stunden-Tag mehr. Und wenn in sehr sonnigen Jahren die Lese schon ungewohnt früh im September beginnt, müssen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen teilweise schon morgens um 5 Uhr anfangen und mittags aufhören, weil die Hitze zu groß wird – für Menschen wie Reben. „Die geernteten Trauben sind dann noch kühl, sie müssten sonst eigentlich gekühlt werden“, erklärt Clauß.

Für manche Beschäftigten der Weingüter wecken diese Schwierigkeiten Sorgen um ihren Arbeitsplatz, und wer sich mit der Tätigkeit und dem Produkt identifiziert, dürfte auch die klimatischen Veränderungen als Krise wahrnehmen. Bisher schlage aber niemand die Hände über dem Kopf zusammen, berichtet Clauß.

„Überall zu bewässern, kann nicht die Lösung sein“

In Freyburg an der Unstrut berichtet Franziska Zobel von den verschiedenen Möglichkeiten, die Reben vorsorglich vor den Ausschlägen des Klimawandels zu bewahren. Sie arbeitet als Hauptrebschutzwärtin für die Winzervereinigung Freyburg, den größten Produzenten der Region – fast die Hälfte der gesamten Fläche wird von Mitgliedern der Genossenschaft bewirtschaftet. Eine Möglichkeit, sich gegen das zunehmende Spätfrost-Risiko zu wappnen, ist es, an der Rebe mehr Knospen stehen zu lassen. „Wenn die Pflanze statt zehn zwischen 30 und 100 Knospen hat, ist die Chance größer, dass einige davon den Frost überleben“, sagt Zobel. „Oder die Rebe ist so damit beschäftigt, die vielen Knospen zu versorgen, dass sie überhaupt erst später austreibt.“ Das führe aber auch dazu, dass später die überzähligen Knospen und womöglich Triebe in mühsamer Zusatzarbeit auch wieder abgeschnitten werden müssen, wenn die Eisheiligen vorbei sind.

Sehr viel zusätzliche Arbeit würde auch das Abdecken des Bodens zwischen den Reb-Reihen bedeuten, um ihn vor Austrocknen zu schützen. Zobels Genossenschaft testet inzwischen auch die Bewässerung eines Weinbergs: Dort hängen Schläuche mit kleinen Tropfern an dem untersten Draht zwischen den Reben, etwa 50 bis 70 Zentimeter über dem Boden, und versorgen so direkt die Wurzelregion mit Wasser.

„Aber überall zu bewässern, das kann auch nicht die Lösung sein“, warnt Zobel. „Dazu gibt es gar nicht genug Wasser in unserer Region.“ Immerhin wollen die Winzer einen Bewässerungsverband gründen, Rückhaltebecken aufbauen und dann zentral entscheiden und steuern, wer wann wieviel Wasser bekommt. „Manche Steillagen werden womöglich auch dann nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sein“, fürchtet die Rebschutzwärtin. „Andererseits sind gerade sie es, die Touristen in die Region locken, und das bringt ehrlich gesagt ein Vielfaches des Umsatzes wie der Weinbau selber.“

Niedrigwasser: keine Handbreit mehr unter dem Kiel

Wenn wenig Wasser auf Wälder und Weinberge fällt, dann kommt auch entsprechend wenig in Bächen, Flüssen und Kanälen an. Niedrigwasser ist daher ein Extremereignis, das sich ebenso langsam aufbaut wie Trockenheit und Dürre. Es trifft wichtige Verkehrswege und damit auch die Firmen, die darauf angewiesen sind, weil ihre Produktion auf Massengütern beruht oder sie sehr große und schwere Bauteile fertigen. Dabei birgt das Verhältnis von Binnenschiffen zum Klimawandel mit seinen Extremwetterereignissen eine fatale Ironie, sagt Moritz Petersen von der Kühne Logistics University in seinem Podcast „Das gleiche in Grün“ (siehe auch Teil 2 dieser Serie). „Der Verkehrsträger, der im Grunde als Lösung gehandelt wird, ist fast am meisten betroffen von den Auswirkungen, die mit ihm bewältigt werden sollen.“ Wie beim Wald liegen also die Rollen von Hoffnungsträger und Opfer sehr nahe beieinander.

Was Niedrigwasser bewirkt, ist am meisten am Beispiel des Rheins diskutiert worden. In der erwähnten Podcast-Folge sagt zum Beispiel Christina Rubach von Duisport, der Hafengesellschaft des größten europäischen Binnenhafens in Duisburg: „Bei der Binnenschifffahrt haben wir mit Blick auf den Klimawandel die Folgen, dass mit dem Niedrigwasser gerade in den Sommermonaten die Zuverlässigkeit dieses Verkehrswegs eingeschränkt ist und damit auch das Vertrauen sinkt.“ Um besser planen zu können, stellt zum Beispiel die Wasserstraßen-Verwaltung des Bundes mit dem ELWIS-System sehr viele Informationen über Flüsse und Kanäle online. Seit 2022 gibt es auch eine Sechs-Wochen-Vorhersage für einzelne Pegelstände am Rhein und an der Elbe.

 

„Der Verkehrsträger, der im Grunde als Lösung gehandelt wird, ist fast am meisten betroffen von den Auswirkungen, die mit ihm bewältigt werden sollen.“

 

Die Unterschiede zwischen den beiden Flüssen sind erheblich: Zwar liegt die Elbe nach Länge und Einzugsgebiet in Deutschland nicht weit hinter dem Rhein. Ihre Wassermenge macht aber nur ein gutes Drittel aus. Und bei den Frachtmengen ist das Missverhältnis zwischen den beiden Strömen und West und Ost noch sehr viel größer: Auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen wurden 2023 gut 85 Prozent aller Güter transportiert, die Binnenschiffe in Deutschland geladen haben – im Elbegebiet sind es knapp acht Prozent.

Darum lohnt es sich auf dem Rhein auch, sich mit speziellen Schiffen auf Extreme vorzubereiten. Zum Beispiel hat der Chemiekonzern BASF in Ludwigshafen, der viele Rohstoffe und Produkte per Schiff über den Rhein transportieren lässt, ein Schiff mit sehr geringem Tiefgang in Dienst genommen. Es liegt für Zeiträume bereit, in denen die Fahrrinne im Fluss aufgrund von Trockenheit und Wassermangel keine konventionellen Binnenschiffe mit Ladung mehr trägt. BASF ist sozusagen durch Schaden klug geworden, nachdem das Unternehmen während der Niedrigwasser-Periode im Sommer 2018 etwa 250 Millionen Euro Verlust gemacht hatte, wie der Werksleiter in Ludwigshafen, Uwe Liebelt, in einem Bericht der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers erklärt.

Im Vergleich zum Rhein ist die Elbe „ein sehr launischer Fluss“, sagt Matthias Roeser vom Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt. Und womöglich ein vernachlässigter. Zu DDR-Zeiten sei sie zwar wie eine Autobahn genutzt worden, und es habe regelrechte Staus gegeben. Doch inzwischen hätten große Reedereien viele Schiffe aufgekauft und abgezogen. „Es gibt also keinen konstant verfügbaren Schiffsraum mehr.“ Dabei spiele die Elbe bei Schwertransporten von Maschinen- oder Betonteilen eine wichtige Rolle, weil die Schiffe meist einen geringeren Tiefgang hätten als etwa bei Schüttgut. Insgesamt, so Roeser, müsse man trotz allen Streits über den Ausbau und Erhaltungszustand des Flusslaufs ehrlich zugeben: „Das Wasser ist einfach nicht da, um größere Fahrrinnentiefen zu garantieren.“

Ein entscheidender Ort für die Schifffahrt auf dem Strom ist dabei Magdeburg. Im Norden der sachsen-anhaltischen Hauptstadt kreuzt der Mittellandkanal die Elbe: Er fließt durch eine Trogbrücke, auf der Binnenschiffe aus Westen in den Elbe-Havel-Kanal weiterfahren können und umgekehrt – und zwar hoch über der Elbe. Der Wasserspiegel des Kanals liegt hier ungefähr 17 Meter über dem des Flusses, und dort bleiben mindestens 6,50 Meter Durchfahrthöhe unter dem Tragwerk der Brücke. Dieses Wasserstraßenkreuz wurde nach der Wiedervereinigung in Angriff genommen und 2013 endgültig fertiggestellt. Bevor es die Elbquerung gab, mussten die Schiffe aus den Kanälen mit Kurs Ost oder West durch Schleusen in den Fluss hinunter, dort zehn Kilometer nach Norden bzw. Süden fahren (wenn es der Wasserstand erlaubte) und dann in den jeweils anderen Kanal abbiegen.

 

In einer Trogbrücke überquert der Mittellandkanal am sogenannten Wasserstraßenkreuz nahe Magdeburg die Elbe; Foto: WikimediaCommons/Michael Barera

Das Kanalsystem ermöglicht es dem Magdeburger Hafen beziehungsweise jenen Teilen, die am Mittellandkanal liegen, sich mit Schleusen gegen die Elbe abzuschotten und mit stabilem Wasserstand zu werben. Und es bietet allen Schiffen, die von der Elbstadt in den Norden unterwegs sind oder von dort kommen, eine zuverlässige Alternative zum launischen Fluss. Der Elbe-Seiten-Kanal führt vom Mittellandkanal nach Geesthacht südlich von Hamburg. Dort zweigt dann der Elbe-Lübeck-Kanal Richtung Trave mit Anschluss zum Skandinavienverkehr über die Ostsee ab.

Von Magdeburg nach Süden hingegen, also stromaufwärts, ist der Fluss die einzige Wasserstraße. Der Frachtverkehr hier ist eingeschränkt, je nach Tiefgang reicht das Wasser aller Erfahrung nach 30 Wochen im Jahr von etwa September bis Mai – oder auch gefühlt nur eine, auf die sich Nutzer des Flusses überhaupt nicht einstellen können. Nach Auskunft des statischen Bundesamts machte der Frachtverkehr auf der Oberelbe auch in den besten Jahren nur zwei Prozent des gesamten Volumens in Deutschland aus und ist zwischen 2014 und 2023 um ein Drittel gefallen: von etwa 4 auf 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr.

Zunehmende Niedrigwasser sind ein Standortnachteil für Unternehmen am Oberlauf der Elbe

Die mangelnde Verlässlichkeit der Binnenschifffahrt auf der Oberelbe ist zum Beispiel deshalb ein Problem, weil im Einzugsbereich des Flusses etliche Industrieunternehmen große Anlagenteile produzieren, die sie über die Elbe nach Norden und dann in die Welt transportieren könnten. Es könnte die Standorte stärken und die Arbeitsplätze sicherer machen. Das französische Unternehmen Alstom zum Beispiel fertigt in Bautzen und Görlitz Straßen- und Eisenbahnzüge. Der dänische Windenergiekonzern Vestas schickte ab 2012 in der Lausitz hergestellte Rotorblätter vom Hafen Mühlberg über die Elbe, hat die Fertigung aber 2022 aufgegeben.

Und Siemens-Energy stellt in Görlitz Dampfturbinen her. Die Pressestelle des Dax-Konzerns bestätigt auf Anfrage allerdings nur, dass die Elbe ein wichtiger Transportweg sei; auf Fragen zur Größe der Bauteile, Routen, möglichen Problemen mit Niedrigwasser oder Plänen für die Zukunft gibt es mit Verweis auf „wettbewerbsrelevante Informationen“ keine Antworten. Das ist durchaus symptomatisch: Falls sich kleine und große Unternehmen intern auf zunehmende Klimawandelfolgen vorbereiten, erfährt zumindest die Öffentlichkeit in der Regel nichts davon.

 

Viele Unternehmen geben sich beim Thema Klimafolgen oft verschlossen: Ob sie Probleme haben, und wie sie sich anpassen, darüber erfährt zumindest die Öffentlichkeit in der Regel wenig

 

Etwas auskunftsfreudiger sind drei Unternehmen mit größeren Standorten in Magdeburg. Die Firma BAT Agrar zum Beispiel handelt dort mit Getreide, das aus einem großen, bis in die Slowakei reichenden Einzugsgebiet flussaufwärts kommt. 600.000 bis 700.000 Tonnen schlägt das Unternehmen jährlich um. „Wir empfangen es hauptsächlich per LKW und laden es dann in 1000-Tonnen-Schiffe für den Weitertransport“, erklärt der zuständige Manager Lutz Morgner. „Jedes von denen nimmt die Ladung von etwa 40 Lastwagen auf.“ Solche Motorgüterschiffe – 80 bis 85 Meter lang und gut acht Meter breit – benötigen seinen Angaben zufolge einen Tiefgang von 2,70 bis 2,90 Meter, um wirtschaftlich fahren zu können.

Das gibt die Elbe zwischen tschechischer Grenze und Hamburg nur selten her. Für die Angestellten in Magdeburg sichert das aber auch den Arbeitsplatz in der sachsen-anhaltischen Hauptstadt, denn BAT Agrar würde sich eigentlich gern weiter südlich an der Elbe ansiedeln. Morgner sagt: „Das wäre auf jeden Fall wirtschaftlicher und letztlich auch umweltfreundlicher, weil die Emissionen pro Tonne beim Schiff viel niedriger sind als bei der LKW-Flotte.“ Allerdings ist auch das Getreide, mit dem BAT handelt, gerade im Osten Deutschlands von zunehmender Trockenheit bedroht. Im sehr trockenen Jahr 2018 blieb die Ernte in ganz Deutschland um 16 Prozent hinter dem Durchschnitt der drei Vorjahre zurück – in Brandenburg waren es minus 27 Prozent, in Sachsen-Anhalt minus 26 Prozent

Für die Vertreter der Binnenschifffahrt ist der – oft niedrige – Wasserstand vor allem eine Frage des Ausbaus und Erhalts der Elbe. Tausende Buhnen entlang des Flusses sollen das Wasser in der Fahrrinne konzentrieren, sind aber seit langem beschädigt (siehe Kasten). Andere Flachstellen zu entschärfen, würde massive Eingriffe erfordern: Ein Problem ist zum Beispiel der Felsen, auf dem der Magdeburger Dom steht und der sich von dort in den Fluss erstreckt. Bei Niedrigwasser feiern die Bürgerinnen und Bürger der Stadt dort Grillfeste.

Doch die Wirtschaft entscheidet auch nicht allein über die Elbe. Seit 2010 debattieren ihre Vertreter mit Politik, Behörden und Naturschutz: Ergebnis ist das Gesamtkonzept Elbe, das eine Fahrrinnentiefe von mindestens 1,60 Meter an 345 Tagen im Jahr als angestrebten Wert ernennt. Der Realität entspricht das allerdings kaum.

Mit stabilen Wasserständen könnten die Gütermengen auf der Elbe deutlich steigen

Zu dem Arbeitskreis, der das Gesamtkonzept Elbe bespricht, gehört eigentlich auch Sebastian Poser von der Dettmer-Reederei in Bremen und Hamburg: Sein Unternehmen schickt vor allem Tankschiffe auf die Elbe. Poser hat sich nach eigenen Angaben frustriert von dem Vorhaben abgeweandt, weil dabei nichts herauskomme. „Man könnte im Prinzip drei bis fünf Millionen Tonnen pro Jahr mehr über den Fluss transportieren, wenn das Konzept endlich umgesetzt wird“, sagt er. Das wäre mehr als eine Verdopplung, und würde seiner Meinung nach auch zur Ansiedlung neuer Industriebetriebe entlang des Flusses und damit zu einer wirtschaftlichen Belebung Ostdeutschlands und der Schaffung neuer Arbeitsplätze beitragen.

Die eigenen Schiffe würden dann auch weiter stromaufwärts auf der Elbe kommen, um Tanklager für Benzin und Diesel zu beliefern. Trotz Verkehrswende und dem Aus für konventionelle Verbrenner-Neuwagen bis 2035 rechnet Poser mit einem stabilen Geschäft für die kommenden 30 Jahre. Gleichzeitig erwartet er, dass der Klimawandel in Zukunft zu häufigeren Niedrig- wie Hochwasserereignissen beitragen könne (letztere behindern die Schifffahrt, wenn die Durchfahrt unter Brücken zu niedrig wird).

Um das Dilemma zu entschärfen, ist Poser überzeugt, müsse das Potential von Ersatzstoffen wie dem aus Pflanzenfett gefertigten HVO-100 viel stärker genutzt werden. Auch einige der Dettmer-Schiffe würden testweise damit betankt. Der Kraftstoff senkt die Emissionen nach Angaben der Hersteller bilanziell um 90 Prozent, weil die Pflanzen beim Wachstum CO2 aus der Atmosphäre entnommen haben. Doch Umweltschützer kritisieren, das Produkt sei aufgrund seiner Stickoxid- und Feinstaub-Werte gesundheitsschädlicher als herkömmlicher Diesel. Und er sei nicht ansatzweise in den erforderlichen Mengen produzierbar, die Branchen Straßen-, Schiffs- und Luftverkehr jeweils für sich einplanen.

Klimaanpassung heißt auch, mehr Lagerflächen vorzuhalten, um Störungen der Logistik abpuffern zu können

Eine weitere Firma mit einem Standort in Magdeburg ist der deutsche Windrad-Hersteller Enercon. In dem Werk nahe des Hafens werden die Generatoren der Anlagen gefertigt und zum Teil auch dort verschifft. Die Aggregate können um die 100 Tonnen wiegen, und im Prinzip ließen sich vier oder fünf davon mit einem Binnenschiff transportieren, sagt Hendrik Peterburs, Logistikchef des Unternehmens.

Doch auf der Elbe sei es oft schon schwierig, den nötigen Schiffsraum so zeitgerecht zu bekommen, dass er zu der eng getakteten Lieferkette der Windpark-Projekte passt. „Wir sind noch nicht der attraktive Partner der Binnenschifffahrt“, räumt Peterburs ein, „darum gibt es dort auch noch keine projektbezogene Planung. Insgesamt sehen wir durchaus Potenzial, dass die Windkraft zunehmend lukrative Fracht für die Binnenschifffahrt wird.“ Um die ambitionierten Ausbauziele für Deutschland zu erreichen, seien verschiedene Transportmittel erforderlich, um jeweils den bestmöglichen Weg zu jedem Projekt zu finden.

 

„Wenn wir ein Schiff haben, und dann mit ungefähr zwei Wochen Vorlauf erfahren, dass es vermutlich wegen Niedrigwassers nicht fahren kann, müssen wir reagieren können.“

 

Binnenschiffe zu nutzen, gehört daher zur Zukunftsplanung des Unternehmens, zumal demnächst für die Genehmigung von Schwertransporten der großen Anlagenteile wohl tatsächlich und nicht nur pro forma nachzuweisen ist, dass die Option geprüft wurde. Wichtig sei dann auch, Lagerflächen in Häfen einzurichten, um Engpässe abpuffern zu können, sagt Peterburs‘ Mitarbeiterin Maren Hofinga. „Wenn wir ein Schiff haben, und dann mit ungefähr zwei Wochen Vorlauf erfahren, dass es vermutlich wegen Niedrigwassers nicht fahren kann, müssen wir reagieren können.“ Stattdessen die Genehmigung für einen Straßentransport einzuholen, dauere mindestens drei Wochen – hat in der Vergangenheit aber auch schon drei Monate in Anspruch genommen. Hofinga weiß: „Wenn mit dem Klimawandel die Wahrscheinlichkeit für Niedrigwasser steigt, wird sich die Problematik weiter verschärfen.“ Die Windkraft-Industrie könnte damit wie der Wald und die Binnenschifffahrt selbst zu den Leidtragenden genau der globalen Veränderungen werden, die sie bremsen sollen.

Der Klimawandel macht nicht so viele Sorgen wie mangelhafte Klimapolitik

Noch überwiegt bei Enercon aber der Stolz, „aktiv etwas gegen den Klimawandel zu tun“, erzählt Peterburs. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten sich bewusst für die Firma entschieden und zögen viel Motivation aus der Arbeit. Das klingt etwas anderes, wenn man mit dem Betriebsratsvorsitzenden des Generatorenwerks in Magdeburg, Lars Böttger, spricht. „Es gibt schon eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen, und vielleicht hat das bei Einzelnen auch etwas damit zu tun, dass die Firma grün ist.“ Zu diesen Angestellten gehört er selbst und empfindet Stolz, wenn er auf dem Weg zur Arbeit an Enercon-Anlagen vorbeifährt. „Aber bei den meisten wäre die Identifikation auch nicht geringer, wenn wir Eisenbahnwagen bauen würden oder andere schwere Metallteile.“ Es ist eher der eigene Arbeitsplatz als das Produkt, das die Leute wertschätzen, und dafür gibt es in der Vergangenheit sehr nachvollziehbare Gründe.

Zum einen hat Enercon einen internen Klimawandel hinter sich. Erst vor einigen Jahren hat die Firmenleitung ihren Widerstand gegen Gewerkschaftsvertreter der IG Metall und Betriebsräte aufgegeben. Das sei Teil einer Neuausrichtung in der Krise und einer neuen Führungskultur gewesen, sagt der Firmensprecher. Das Bemühen um mehr Nachhaltigkeit in den Produktionsprozessen gehöre auch dazu. Für Böttger hat es eher mit Augenhöhe im Betrieb und einem langsamen Aufholen von Lohnrückständen zu tun; einen Tarifvertrag zum Beispiel gebe es immer noch nicht.

Zum anderen aber, und das ist vermutlich für die meisten Enercon-Beschäftigten wichtiger, hat die Windindustrie eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Teilweise sind es Entscheidungen der Firma gewesen, die Unsicherheit brachten, wie die Verlegung der Rotorblattfertigung von Magdeburg nach Portugal und in die Türkei. Dann gab es Kurzarbeit wegen Lieferschwierigkeiten von Material. Vor allem aber haben die Hü-und-Hott-Entscheidungen verschiedener Regierungen der jüngeren Vergangenheit die ganze Windbranche gebeutelt. „Wir wissen ja alle nicht, wie die Ausrichtung der nächsten Bundesregierung und Landesregierung sein wird, wenn es Wahlen gibt“, sagt Böttger. Sprich: Einige der Beschäftigten bei Enercon in Magdeburg sorgt weniger der Klimawandel, der mit Niedrigwasser an der Elbe womöglich den Abtransport ihrer Generatoren behindert, als die Klimapolitik, deren – unzureichende – Entscheidungen die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze gefährden könnten.

Das ist, wie diese Recherche immer wieder zeigt, ein typisches Muster. Vorbereitung auf den Klimawandel in der Wirtschaft und der Arbeitswelt sind verwoben mit vielen anderen Entwicklungen von der Globalisierung über die Weltpolitik mit ihren Folgen für die Energiepreise und Inflation bis zur Regierungsbildung. Die zusätzliche Komplexität erschwert es, Zukunftsentscheidungen zutreffen, sowohl in der Anpassung an den Klimawandel als auch in der Vorbereitung auf den Verzicht auf fossile Energieträger – als auch in allen anderen Unternehmensfragen.

 

Auch mit der besten Kommunikation innerhalb von Firmen, über die Hierarchieebenen hinweg und zwischen den Sozialpartnern können einzelne Betriebe eine klimafreundliche Transformation nicht durchhalten, wenn verlässliche Rahmenbedingungen der Politik dafür fehlen

 

Oft genug erscheinen andere Probleme zwar aktuell drängender, aber der Kopf ist nicht frei, weil die Folgen der Erderhitzung unweigerlich aus dem Rauschen zufälliger Wetterschwankungen heraustreten werden und teilweise schon herausgetreten sind. Die verbreitete Annahme, gelegentliche Extremereignisse ließen sich genauso bewältigen wie Infrastrukturschäden an Autobahnen, Brücken oder Flüssen, könnte indes zu einer Lähmung beitragen, die wichtige Weichenstellungen behindert. Sich darüber nicht wenigstens in den Firmen oder Branchen auszutauschen, verstärkt den Reformstau.

Verschärfend kommt hinzu: Wie vieles andere sind die erwähnten Entscheidungen, die zum Umbau der Wälder, dem Ausbau der Flüsse oder der Windenergie getroffen werden müssen, extrem von einem klaren Kurs der Politik abhängig. Auch mit der besten Kommunikation innerhalb von Firmen, über die Hierarchieebenen hinweg und zwischen den Sozialpartnern können einzelne Betriebe eine klimafreundliche Transformation nicht durchhalten, wenn die äußeren Rahmenbedingungen dafür fehlen.

 

 

#BetriebsKlima – die anderen Teile der Serie:

weitere Teile folgen in den kommenden Wochen