Der Elektrotrucker ist wieder auf Sendung. Er filmt seine Arbeit auf Landstraßen und Autobahnen, auf Rastplätzen und an Verladerampen. Die Kamera läuft, wenn er vor Tagesanbruch seinen Lkw vom Hof der Spedition holt, wenn er ihn nach Dienstschluss abstellt und bevor er auf einer mehrtägigen Tour abends in seine Koje im Fahrerhaus kriecht – alles landet dann auf seinem Kanal bei Youtube. Tobias Wagner heißt der Elektrotrucker im realen Leben, und in seinen Filmen klingt er oft so begeistert von seiner Arbeit, als hätte er sich einen Kindheitstraum erfüllt.
Das mit dem Traum stimmt tatsächlich, wie er im ersten Video seiner Serie erklärt. Aber Wagner ist keinesfalls auf geradem Wege auf den Beruf Fernfahrer zugesteuert. Vorher gründete er noch unter anderem ein Start-Up-Unternehmen für Ladesäulen. Den Lkw-Führerschein hat er dann gemacht und sich einen Job gesucht, weil Elektro-Lkw, wie er sagt „das nächste große Ding“ werden. Aber ein Kindheitstraum war es eher nicht, denn in Wagners Kindheit sprach man noch vom Brummi, wenn man die 40-Tonner in ein halbwegs freundliches Licht rücken wollte. Die Zugmaschinen für Sattelzüge, die Wagner jetzt mit Begeisterung fährt, brummen aber nicht. Sie surren.
Auf einem eigenen YouTube-Kanal gibt "Elektrotrucker" Tobias Wagner Einblicke in seinen Berufsalltag – das Interessse ist offenbar groß, viele der Beiträge haben Zehntausende von Klicks; Foto: Screenshot Elektrotrucker
Wo bei anderen Lastwagen ein großer Dieselmotor dröhnt, arbeitet in seinem Volvo oder Iveco ein Elektroaggregat. Wo sich die Bremsen konventioneller LKW auf Gefällestrecken aufheizen, weil zig Tonnen Fracht im Rücken bergab schieben, speist im E-Lkw der Motor die überschüssige Energie wie ein Dynamo zurück in den Akku. Und statt der Tanks für den Treibstoff und das Zusatzmittel AdBlue hängen am Fahrgestell zwischen den Achsen gewaltige Batterien mit Kapazitäten von 500 Kilowattstunden und mehr. Der Elektrotrucker testet mit seiner Arbeit die Eigenheiten, Vorteile und Grenzen der Elektro-Trucks.
Die Energie für den Transport von Fracht in Batterien statt in Tanks zu speichern, ist nur eine der Veränderungen, die durch Klimawandel und Energiewende auf die Welt der Logistik zukommen. Die Branche versucht damit, wie mit vielen anderen Maßnahmen, ihren Klima-Fußabdruck zu verringern und die Erderhitzung aufzuhalten – angesichts praktisch ungebremst steigender Emissionen in den vergangenen Jahrzehnten sehen sich die Firmen inzwischen aber auch dem Zwang gesetzlicher Maßnahmen wie CO2-Abgaben auf Treibstoffe und Berichtspflichten für Nachhaltigkeit gegenüber. Gleichzeitig müssen sich die Unternehmen und ihre Beschäftigten an die bereits bemerkbaren und unvermeidlichen Folgen der Klimakrise anpassen und davor schützen. Das gilt sowohl für sichere Arbeitsbedingungen als auch für die Geschäftsmodelle und Profitabilität der Unternehmen, von denen wiederum die Sicherheit der Arbeitsplätze abhängt.
„Auch wir haben in den vergangenen Jahren die Auswirkungen von Extremwetterereignissen zu spüren bekommen. Starkregen, Stürme und Überschwemmungen haben teilweise unsere Lieferketten beeinträchtigt“, erklärt zum Beispiel Kathrin Caro Pulido, die beim Lebensmittel-Logistik-Konzern Transgourmet Deutschland für die Nachhaltigkeit zuständig ist. „Diese Erfahrungen haben uns noch stärker sensibilisiert und verdeutlichen, wie wichtig Klimaschutzmaßnahmen sind, um langfristig die Widerstandsfähigkeit unseres Unternehmens zu sichern.“
Dieser Text gehört zu einer Reihe von Themendossiers bei Klimafakten, die unter dem Gesamttitel #Betriebsklima das Verhältnis von Klimakrise und Zukunft der Arbeit journalistisch beleuchten. Die Serie hat mit einer Einführung und einem Artikel über Hitze und UV-Strahlung begonnen; in den kommenden Wochen folgen noch Texte über Dürre und Waldbrandgefahr sowie über indirekte Risiken und die Bedrohung der mentalen Gesundheit. Jedesmal geht es darum, wie die Akteure der Arbeitswelt die Klimakrise bewältigen können und wie sie darüber kommunizieren. Den äußeren Rahmen dieser Reihe bildet das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) initiierte und finanzierte Projekt „Arbeit sicher und gesund“, bei dem Klimafakten mit dem Centre for Planetary Health Policy (CPHP) und der Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG) zusammenarbeitet. Dieser Artikel wurde unter redaktioneller Unabhängigkeit nach journalistischen Kriterien recherchiert und verfasst.
Schon seit mindestens zehn Jahren warnen Fachleute davor, dass zunehmende Extremwetter die Verkehrsinfrastruktur treffen werden: Stürme, Starkregen, Überschwemmungen, aber auch Niedrig- oder Hochwasser der Flüsse (dazu mehr in Teil 3 unserer #BetriebsKlima-Serie). Die Risikokarten für eine extreme Sturmflut in Hamburg zeigen zum Beispiel, wie bei einem solchen „Jahrhundertereignis“ weite Bereiche südlich der Elbe überflutet würden, darunter Hafenanlagen, aber auch die Elbinsel Wilhelmsburg mit ihren Gewerbegebieten und den dort angesiedelten Logistikfirmen (und etwa 55.000 Einwohnern). Beide Autobahnen aus Süden, die A1 Richtung Elbbrücken und die A7 Richtung Elbtunnel, würden dann durch Überschwemmungsgebiete führen und stünden laut Karte teilweise unter Wasser.
In einem Arbeitspapier des Umweltbundesamts von 2013 heißt es dazu: „Für Logistik und Supply Chain entstehen die wesentlichen Herausforderungen des Klimawandels durch zukünftig veränderte Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit von Transportinfrastruktur, welche zu Verzögerungen und Ausfällen in Logistikprozessen führen kann.“ Eine Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) von 2020 spricht zudem die veränderten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen an: „Neben den physischen Gefahren führen insbesondere auch regulatorische Entwicklungen, neue Technologien sowie Markt- und Kundenanforderungen zu tiefgreifenden Veränderungen.“ Wer versäume, seine Arbeitsweise rechtzeitig zu ändern, setze bis zu 20 Prozent seiner Gewinnmarge aufs Spiel. Das betrifft nach Zahlen des Bundesverbands Logistik eine Branche mit etwa drei Millionen Beschäftigen in Deutschland und einem Jahresumsatz von mehr als 300 Milliarden Euro.
Im Gegensatz zu Hitzewellen liegt bei Extremereignissen wie Starkregen, den resultierenden Überschwemmungen, Stürmen sowie Sturmfluten der Einfluss der allgemeinen Erderhitzung nicht unbedingt auf der Hand. Sicher ist aber: Je wärmer die Luft, desto mehr Feuchtigkeit kann sie aufnehmen. Regenfälle werden also potentiell stärker, doch die Muster sind kompliziert. Zwei wichtige Faktoren müssen hinzukommen, damit es für Menschen gefährlich wird.
Erstens müssen Wetterfronten und -gebiete stehenbleiben oder nur langsam weiterziehen, damit sich etwa ein Tief über einer Region abregnet und die erhöhte Flüssigkeitsmenge sich dort ansammelt. In der Tat diskutiert die Klimaforschung seit langem, ob sich die Höhenwinde und die Zirkulation verändern und abschwächen; es gibt inzwischen viele Anzeichen dafür. Oft gehen die großen Überschwemmungen mit einer sogenannten Vb-Wetterlage einher, wie etwa im September 2024. Sie selbst ist kein Produkt des Klimawandels, aber ihr Effekt kann von diesem gesteigert werden.
Zweitens trägt immer weiter fortschreitende Bodenversiegelung dazu bei, dass Wasser auf der Oberfläche in tiefer liegende Gebiete strömt, anstatt mindestens teilweise zu versickern. Dort, zum Beispiel in Bachtälern, leben viele Menschen; es sind oft traditionelle oder bevorzugte Wohnlagen. Das heißt, die Anwohner sind nicht nur stärker gefährdet, sondern auch der Gefahr ausgesetzt; beides zusammen trägt zu katastrophalen Auswirkungen bei.
Um solche komplexen Lagen zu analysieren und auch die immer wieder gestellte Frage zu beantworten: „War das schon der Klimawandel?“, ist die sogenannte Attributions- oder Zuordnungsforschung entstanden. Sie vergleicht mit der Hilfe leistungsfähiger Computermodelle die reale Wetterentwicklung mit einer fiktiven Welt, in der die zusätzlichen Treibhausgase in der Atmosphäre „ausgeschaltet“ worden sind. Die Arbeitsgruppen haben die Fingerabdrücke des Klimawandels inzwischen für viele Extremwetterlagen nachgewiesen, darunter die Ahrflut, den extremen Niederschlag über Weihnachten 2023 in Niedersachsen und die Überschwemmungen in Polen, Tschechien, Österreich und Bayern im Herbst 2024.
Bei Stürmen ist das Bild noch etwas komplizierter: Von tropischen Wirbelstürmen weiß man, dass sie stärker, aber nicht unbedingt häufiger werden: Sie saugen mehr Energie aus dem immer wärmeren Wasser, bevor sie an Land treffen: Bleiben sie dann dort hängen, weil die Höhenwinde schwächeln, kann der viele Regen zusätzlich zum starken Wind große Zerstörungen auf relativ kleinem Raum auslösen.
Einen Teil ihrer vermehrten Kraft können solche Sturmgebiete aus den USA und der Karibik über den Atlantik tragen, und so Europa treffen, wie beim ehemaligen Hurrikan Kirk im Oktober 2024. Die üblichen Herbst- und Winterstürme in Deutschland entstehen aber anders: aus den Temperaturgegensätzen zwischen der Polarzone und wärmeren Regionen. Auch für sie gilt vermutlich: stärker, nicht häufiger.
Sturmfluten an den Küsten schließlich werden schon durch den eingetretenen und anhaltenden Anstieg des Meeresspiegels gefährlicher. Stärkere Stürme könnten den Effekt potenzieren, aber sie müssen dann zur richtigen Phase der Tide in die richtige Richtung wehen, um das Wasser etwa tief in Elbe, Weser, Jadebusen oder Ems und Dollart zu pressen. An der deutschen Ostseeküste müssen die Winde den Badewannen-Effekt auslösen: das Wasser erst nach Osten schieben, dann umschlagen und das zurückschwappende Wasser an die Strände, in die Häfen und tief in Förden und Schlei drücken.
Zum Weiterlesen: Was haben Extremwetter mit dem Klimawandel zu tun?
Dieser von Klimafakten und der Initiative World Weather Attribution veröffentlichte Leitfaden gibt Orientierung für eine korrekte und präzise Berichterstattung.
Sich an den Klimawandel anpassen, auf Extremwetter und Klimapolitik reagieren, müssen neben den Unternehmen und Beschäftigten in der Logistik auch die Menschen in den sogenannten Blaulichtberufen, also bei Feuerwehren und Rettungsdiensten (Details im zweiten Teil des Artikels). Sie haben gerade dann mehr und gefährlichere Arbeit, wenn die anderen Branchen womöglich den Kopf einziehen und auf Wetterberuhigung warten.
Logistik und Blaulichtberufe - von diesen beiden Arbeitsfeldern soll dieser Artikel berichten. Beide stehen wie alle anderen Branchen vor der Aufgabe, Klimaschutz zu betreiben, also Emissionen zu reduzieren und den eigenen Fußabdruck zu verkleinern. Beide müssten aber eigentlich auch angesichts zunehmend bedrohlicher Extremwetterereignisse Klimaanpassung betreiben – und beide gehen mit diesen Anforderungen sehr unterschiedlich um. Der geographische Schwerpunkt liegt auf dem Norden Deutschlands, soweit das möglich ist bei einer Branche wie der Logistik, deren inneres Wesen die Bewegung ist. Aber auch die Rettungsdienste sind nicht mehr so ortsgebunden, wie man erwarten könnte: Bei Großeinsätzen wie der Ahrflut 2021 oder den Überschwemmungen in Polen, Tschechien, Österreich und Bayern im September 2024 wird schnell Verstärkung auch über die Grenzen der Regionen oder Bundesländer angefordert und Hilfe geleistet.
In all diesen Fällen verändern sich auch die Arbeitsbedingungen; innerhalb der Branchen und Betriebe ist verstärkte Kommunikation über Ideen, Initiativen und Vorbilder nötig. Neben dem vom Elektrotrucker genutzten Medium YouTube werden auch ungewöhnliche Kommunikationsmittel wie Planspiele, Podcasts oder ein Kinderbuch eine Rolle in diesem Artikel spielen, aber natürlich auch die Gespräche in den Betrieben zwischen Kollegen und Kolleginnen sowie mit ihren Vorgesetzten.
Logistik steht vor einer radikalen Trendwende
Das Kinderbuch, um damit anzufangen, geht auf eine Idee von Moritz Petersen zurück, der an der Kühne Logistics University (KLU) in Hamburg zu nachhaltiger Logistik forscht und lehrt (Meine Welt der Logistik, Bachem Verlag). Es ist ein Wimmelbuch ohne Text, die Seiten sind aus dickem Karton und die Illustrationen so groß, dass die Zielgruppe im Kindergartenalter sich strecken muss, um ihren Eltern die immer wieder auftauchenden Papierflieger, Teddybären oder Windradflügel zu zeigen. „Ursprünglich war es für meine Kinder gedacht, auch wenn die schon zu groß waren, als es fertig wurde“, sagt Petersen. Eltern in der Branche könnten damit ihrem Nachwuchs zeigen, was sie eigentlich beruflich machen. „Aber gleichzeitig“, ergänzt er, „findet man darin auch einige der Ideen zur Nachhaltigkeit in der Logistik.“ Es ist die stark verdichtete Version einer nahen Zukunft, in der Digitalisierung und die Nutzung erneuerbarer Energiequellen schon weit fortgeschritten sind.
„Richtig auffallen tut Logistik eigentlich nur dann, wenn etwas nicht funktioniert“, ergänzt der Hamburger Professor. Doch für eine nachhaltige Ökonomie, die sich auf eine Kreislaufwirtschaft zubewegt, sei effiziente Logistik ein Schlüsselfaktor, die ganz andere Herausforderungen bewältigen muss als heute. „Die Branche hat noch nicht ganz verstanden, dass das wichtig ist.“
Wer die Arbeit von Tobias Wagner in seinen Videos auf dem Youtube-Kanal Elektrotrucker verfolgt, gewinnt schnell einen Eindruck, was schon gut funktioniert und was noch verbesserungsbedürftig ist, damit der LKW-Transport mit Energie aus Batterien funktioniert. Besonders auffällig ist: Die Bedeutung des Worts „laden“ hängt nun extrem vom Kontext ab. Geht es um die Fracht oder um die Batterien?
Ersteres, also die Transportleistung und der Umgang mit dem Transportgut, sind im Wesentlichen auch bei elektrisch betriebenen LKW unverändert. Oft folgt im Alltag eines Fernfahrers auf das Warten die Hetze, auf die körperliche Plackerei dann stundenlanges Geradeausfahren. Und dies alles für einen meist unterdurchschnittlichen Lohn. Viele Kollegen des Elektrotruckers stammen aus Osteuropa, sind von dortigen Firmen oder Niederlassungen großer Konzerne angestellt und haben in ihrem stressigen Alltag weit weg von Zuhause nach Aussage von Fachleuten wenig Zeit für Gedanken an den Klimawandel.
Zweiteres aber, also das Strom-Laden, spielt in Wagners Videos eine dominierende Rolle. Immer wieder berichtet er minutenlang über physikalische Details wie Ladeleistung, -spannung und -strom, und bekommt von seinen Abonnenten dazu auch viele Kommentare. Er spricht von gekühlten Kabeln und vorgewärmten Akkus, von Ladekarten und Stromtarifen. Die Bilder zeigen, wie er statt standardisierte Tanksäulen für Diesel-LKW elektrische Ladeparks mit vielen lokalen Besonderheiten ansteuert: Da sie häufig noch nicht für Sattelzüge ausgelegt sind, stellt er sich manchmal quer vor die Stellplätze für PKW, wenn diese die Ladebuchten noch auf der gegenüberliegenden Seite verlassen können. Oder er fährt die Zugmaschine im scharfen Winkel zum Auflieger in eine der Buchten hinein. Im schlimmsten Fall muss er vorher „absatteln“, also den Auflieger abstellen. Und fragt sich stets, ob der Tesla nebenan nicht die Hälfte der Ladeleistung abzweigt, wenn sich die Fahrzeuge eine Säule teilen.
Damit sich die elektrische Art des Transports durchsetzt, vor allem im Fernverkehr, muss die Komplexität schnell und deutlich sinken, diesen Eindruck gewinnt der Zuschauer schnell. Es müssen Standards für eine weitere Generation Elektrotrucker her. Tobias Wagner mag von der Herausforderung begeistert sein, vom ostfriesischen Leer nach Regensburg mit einem Volvo-LKW zu fahren, der eigentlich von seiner Batteriekapazität her für den Regionalverkehr und Tagestouren ausgelegt ist. Aber seine künftigen Kollegen möchten sich vermutlich das eine oder andere Drama doch gern schenken. Beim ersten Mal mag eine überwundene Schwierigkeit beflügeln, aber beim 20. Mal verflucht man doch eher, dass sich die Verhältnisse noch immer nicht geändert haben...
Fachleute sprechen inzwischen von einer radikalen Trendwende, die der Branche bevorsteht. Die Recherche für diesen Artikel zeigt, dass diese Umkehr immerhin begonnen hat, auch wenn sie in mancherlei Hinsicht einseitig ist. Viele Unternehmen der Logistik nehmen die Reduktion des Fußabdrucks inzwischen ernst, aber der Schutz vor Klimawandelfolgen und Extremwetter, der doch eigentlich näherliegen sollte, bekommt weniger Aufmerksamkeit. Oft wird die radikale Trendwende praktisch auf ersteres reduziert: „Mit reinen Effizienzsteigerungen ohne Verkehrsverlagerung und den Übergang zu alternativen Antrieben und Kraftstoffen ist diese nicht zu bewältigen", so die Einschätzung von Nicole Röttmer von PwC Deutschland. Daher ist das Austesten eines alternativen Antriebs für LKW, dem sich der Elektrotrucker Tobias Wagner widmet, tatsächlich Pionierarbeit. Etliche der neuen Routinen, Handgriffe und Begriffe, die er sich erarbeitet, dürften bald zum Alltag der Fernfahrer gehören (der Frauen-Anteil in dem Beruf liegt übrigens bei drei Prozent).
Um die elektrischen Trucks zu fördern, setzt der Bund die Maut aus
Für Wagners Chef Nanno Janssen, Besitzer der gleichnamigen Spedition in Leer, sind die Elektro-LKW schon gesetzt als Zukunft seines Betriebs (hier kann man ihn in einem Podcast hören). Er hat – auch aufgrund von Förderzusagen – nicht nur einen Ladepark auf dem Hof und Photovoltaik auf dem Dach installiert, sondern auch gleich 20 der E-Laster in verschiedenen Größen bestellt. Innerhalb der kommenden drei Jahre will er fast seinen ganzen Fuhrpark von 60 Fahrzeugen auf Batteriebetrieb umstellen. Das rechnet sich für ihn vor allem, weil die LKW-Maut von zurzeit 36 Cent pro Kilometer wegfällt. Und wenn der Strom weniger als 40 Cent pro Kilowattstunde kostet, fahren die Sattelzüge auch preiswerter als mit Diesel. Große Hindernisse im Einsatz sieht er nicht. „Die Fahrzeuge sind absolut fernverkehrstauglich, das hätte ich vor einem Vierteljahr auch nicht gedacht“, sagt Janssen. Inzwischen zeige sich nämlich, dass eher die Lenk- und Ruhezeiten der begrenzende Faktor sind, nicht die Reichweite der Trucks. „Wenn die Fahrer Pause machen und der LKW lädt, dann passt das.“
Seine Leute seien bis auf den Quereinsteiger Tobias Wagner anfangs eher skeptisch gewesen. „Aber wenn die mal 14 Tage drin saßen, dann geben die den Elektro-LKW nicht mehr her.“ Janssen hat inzwischen auch trotz allgemeinem Fahrermangel neue Mitarbeiter gefunden, die von Konkurrenz-Unternehmen zu ihm wechselten, eben weil sie elektrisch fahren wollten. „Das hat schon einen Schub in der Mitarbeiterschaft ausgelöst, und alle gehen mit.“ Dazu trägt natürlich bei, dass der Elektrotrucker nicht nur in seinen Videos seine Geschichten erzählt, sondern auch in der Firma im direkten Gespräch die Fragen der Kollegen beantwortet.
„Die Fahrzeuge sind absolut fernverkehrstauglich. Wenn die Fahrer Pause machen und der LKW lädt, dann passt das. Wenn die mal 14 Tage drin saßen, dann geben sie den Elektro-LKW nicht mehr her.“
Derart in die Kommunikation und die Entwicklungsperspektiven des Unternehmens eingebunden zu sein, steigert die Motivation und Zufriedenheit der Mitarbeiter. Eine Studie aus Bayern, die Berufskraftfahrer in Nah- und Lieferverkehr zum Thema hatte, bestätigt einmal mehr diese an sich nicht sonderlich überraschende These. „Aufrichtig und ehrlich miteinander zu sprechen, hilft auf jeden Fall, damit das Wohlbefinden besser ist“, sagt Nicole Lubecki-Weschke vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Nürnberg über das Projekt Leitfahr3. Derart eingebunden und informiert könnten die Männer und Frauen am Lenkrad zum Beispiel auch eher Assistenz-Systeme als hilfreich und nicht als Gängelung empfinden, die sie zum energie-effizienten Bremsen und Gasgeben animieren: „Die Fahrer wissen um den Klimawandel und die Rolle der Emissionen und wollen nicht als die ,Bösen‘ gelten.“
Elektro-LKW können vermutlich genauso zu einem gewandelten Selbstbild ihrer Fahrer beitragen. Angesichts des allgemeinen Fachkräftemangels, der auch die Logistik betrifft, müssen die Fahrer wenig Sorgen haben, ihren Job zu verlieren – auch wenn sie sich an Versuchen beteiligen, andere Transportmittel als ihre gewohnten LKW einzusetzen. Eine Initiative wäre, Teile der Transporte von der Straße auf die Schiene zu verlegen, im sogenannten Kombiverkehr. Ein Beispiel dafür ist der Autozulieferer Schaeffler, der regelmäßig Getriebeteile und Antriebskomponenten von einem Werk in Baden zu einem anderen Standort in Ungarn verschickt. In einem erfolgreichen Pilotversuch, den die Fachzeitschrift trans aktuell mit angestoßen hat, werden die Auflieger der Sattelschlepper jetzt auf dem Großteil der Strecke per Frachtzug transportiert. LKW, teilweise auch bereits mit Elektromotoren und Batterien, übernehmen nur noch die Anfangs- und Endstrecken zwischen den Werken und den Bahnhöfen.
Lastenräder ersetzen Autos im innerstädtischen Lieferdienst – und sind besser
Dazu könnte im Prinzip auch der Umstieg auf kleinere Fahrzeuge mit weniger Rädern dienen, den unter anderem der Textil-Dienstleister Mewa erprobt. Das Unternehmen hat sogenannte City-Hubs in den Innenstädten von Berlin und Hamburg angelegt, von denen aus die frisch gewaschene Mietkleidung etwa für Hotels oder Handel nicht mehr per Kleinlaster, sondern per Lastenrad transportiert wird. Deren Fahrer:innen hängen die Textilien auf Kundenwunsch auch gleich in die Schränke der Umkleideräume. Darüber hat 2022 der damals zuständige Manager Kay Simon ausführlich in einer Episode des Podcasts „Das Gleiche in Grün“ berichtet, in dem der KLU-Professor Moritz Petersen Nachhaltigkeits-Initiativen in der Logistik-Branche vorstellt.
Dafür hat Mewa eine Fläche im Parkhaus des Einkaufszentrums Mall of Berlin nicht weit vom Potsdamer Platz gemietet. Hier wird die Wäsche von der Wäscherei am Stadtrand angeliefert und dann auf elektrische Lastenräder umgeladen. „Wir haben in Berlin gelernt, dass wir die gleiche Menge, die wir bisher mit einem 5,5-Tonnen-Sprinter transportieren, auch mit dem Lastenrad transportieren können“, erzählte Simon. „Natürlich müssen wir immer wieder ins Hub zurückkommen und dort nachladen.“ Die Lastenräder kämen in der City aber oft schneller ans Ziel, auch das Parken sei viel einfacher. Eine intelligente Tourenplanung und eine Art Kleeblattsystem minimierten die Fahrzeiten, und der planmäßige Austausch von Reserve-Akkus unterwegs verleihe den Rädern praktisch unbegrenzte Reichweite. Laut Mewa soll das Konzept 2025 auf weitere Städte übertragen werden.
Kay Simon berichtet im Jahr 2022 über ein Konzept, Mietkleidung in der Berliner Innenstadt mit Lastenfahrrädern auszuliefern. Damals war er Mitarbeiter der Firma Mewa-Textilservice. Er äußert sich speziell zur Frage, wie das die Beschäftigten fanden, die zuvor Kleinlaster gesteuert hatten:
„Wenn man als Strategie-Abteilung plötzlich mit einem Lastenfahrrad ankommt, hat man es am Anfang nicht unbedingt leicht, wie man sich vorstellen kann. Natürlich wird man da so ein bisschen beäugt: Was hat sich denn die Zentrale dort schon wieder ausgedacht?
Und dementsprechend war uns wichtig, ganz am Anfang unter Beweis zu stellen, dass Lastenfahrräder ein wirklich sinnvolles Verkehrsmittel sind. Und wir haben […] gesagt, komm, lass uns einfach mal unter Beweis stellen, […] dass das funktioniert. Wir haben uns in Berlin eine Strecke ausgesucht, die am Sony-Center [am Potsdamer Platz, d. Red.] geendet ist und haben gesagt, wir lassen jetzt mal das neue Lastenfahrrad gegen unseren Berliner Service-Fahrer, der sich in Berlin quasi perfekt auskennt, mit seinem 5,5-Tonnen-Sprinter antreten.
Um dann möglichst faire Bedingungen zu haben, haben wir […] den möglichst ungeübtesten, unerfahrensten Lastenradfahrer bei uns in der Mewa-Distribution gesucht. Das bin ich am Ende des Tages leider selber gewesen. […] Und trotz nur touristischer Stadtkenntnisse von Berlin war ich dann tatsächlich auch vor unserem Sprinter am Ziel. Das hat natürlich ein bisschen geholfen, einmal wirklich unter Beweis zu stellen, auch wenn man sonst der Anzugträger ist, das Operative kann man auch. […]
Und was wir aber auch sagen müssen: Natürlich wird von uns jetzt kein LKW-Fahrer das Lastenrad fahren. Wir sind dort in einer komplett neuen Berufsgruppe unterwegs. Denn auch wir haben natürlich die große Herausforderung des Fachkräftemangels, gerade in der Logistik, in der Distribution. Wir haben viel, viel weniger Fahrer, als wir eigentlich brauchen würden, wie alle in der Branche. Und a) hilft uns das Lastenfahrrad dort, jetzt eine ganz neue Berufsgruppe oder Arbeitenden-Gruppe anzusprechen. Und [b)] natürlich hat jetzt auch kein Mewa-Fahrer Angst, dass er durch Lastenfahrradfahrer ersetzt wird. […] Der größte Erfolg war eigentlich, der schönste Moment, als gestandene LKW-Fahrer in Berlin vor mir standen und gesagt haben, ich finde das richtig cool, ich will das jetzt auch mal eine Woche fahren.”
(Quelle: Podcast „Das Gleiche in Grün – Episode 2“. Die Frage des Moderators Moritz Petersen beginnt bei 14:05 Minuten.)
Ein ähnliches System mit Mikrodepots und Lastenrädern als Ergänzung zu batteriebetrieben Kleinlastern baut zurzeit auch der Paketdienstleister Hermes in etlichen deutschen Städten auf. Bis Ende 2025 soll die Logistik in insgesamt 80 Kommunen ohne lokalen Ausstoß von CO2 funktionieren; Zweiräder sind dort Teil des Konzepts, wo die Bedingungen passen. „Wir hören von vielen Zustellern, dass die gar nicht mehr vom Rad in ein Auto zurückwollen“, erklärt Florian Abel, der als Nachhaltigkeitsbeauftragter in einer Stabstelle der Geschäftsführung arbeitet. „Es gibt so viele positive Eigenschaften im Verkehr, im Stau, beim Parken. Außerdem sind die Räder angenehm zu fahren, und die Kollegen bekommen viel positiven Zuspruch von den Kunden, oder sogar einfach auf der Straße.“
Abels Arbeitgeber, Hermes Germany, gehört zur Otto-Group und wickelt darum unter anderem die Bestellungen des Online-Versandhauses ab. Wie der Mutterkonzern hat sich Hermes darum feste Nachhaltigkeitsziele gegeben. Und das Unternehmen muss aufgrund einer EU-Richtlinie, meist nach dem englischen Begriff CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) genannt, ab dem 2025 beginnenden Geschäftsjahr regelmäßig über den Einfluss der eigenen Geschäftstätigkeit etwa auf das Klima oder die Artenvielfalt berichten. Diese Reports müssen zusammen mit dem wirtschaftlichen Jahresabschluss zertifiziert werden; viele Unternehmen arbeiten daher gerade daran, die nötigen Zahlen zusammen zu bekommen und dabei ein System zu entwickeln, damit das in Zukunft routinemäßig und reibungslos funktioniert.
Hinter der Abkürzung verbirgt sich eine Vorschrift der EU, mit der sie Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit in ihren Geschäften bringen will. Die Corporate Sustainability Reporting Directive von 2023 verpflichtet ab 2025 immer mehr Firmen, zusammen mit den Jahresabschlüssen Berichte vorzulegen, wie ihre Geschäftstätigkeit mit Blick auf Anforderungen zur Nachhaltigkeit zu bewerten ist. Anfangs betrifft es im Wesentlichen Firmen mit mehr als 250 Beschäftigten. Sie listen sowohl die Folgen der eigenen Produktion, des Handels oder der Dienstleistungen für Menschen und Umwelt auf, als auch die Rückwirkung von veränderten Bedingungen und Standards auf das Unternehmen („doppelte Wesentlichkeit“).
Diese Berichte werden zunehmend vereinheitlicht und quantifiziert; sie müssen zudem von externen Prüfern abgenommen werden. Sie enthalten dann zum Beispiel Zahlen zum CO2-Fußabdruck, die in drei Bereiche unterteilt sind: Scope 1 sind die direkten Emissionen, die zum Beispiel aus verbrauchtem Erdgas oder dem Diesel-Kraftstoff der Lastwagen entstehen. Scope 2 betrifft Treibhausgase, die etwa bei der Erzeugung von Strom oder Fernwärme frei werden, die das Unternehmen bezieht. Und Scope 3 erfasst vielerlei im Umfeld von den Geschäftsreisen der eigenen Beschäftigten bis zu Emissionen bei Zulieferern und Dienstleistern. Auf diese Weise bindet die CSRD auch kleinere Firmen ein, die von den größeren um Zahlen gebeten werden – oder dazu verpflichtet, sie zu liefern.
Unternehmen, die schon lange vor der EU-Vorschrift begonnen haben, sich über Nachhaltigkeit und Klimaschutz Gedanken zu machen, besitzen darüber hinaus oft ein sogenanntes Science Based Target. Sie wollen dann ihre Geschäftstätigkeit im Rahmen eines gegebenen Zeitraums in Einklang mit den Zielen des Pariser Abkommens bringen, das die Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad und möglichst sogar auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzen will. Für die Unternehmen kann das bedeuten, die eigenen Emissionen bis 2030 zu halbieren und bis 2050 auf Netto-Null zu kommen. Diesen Plan muss sich jede Firma einzeln von der Science-Based-Targets-Initiative validieren lassen und regelmäßig öffentlich über die Fortschritte berichten.
Ein Beispiel für ein solches Unternehmen in Deutschland ist der Online-Versandhändler Otto. Dort tragen nach Auskunft des zuständigen Pressesprechers auch viele Beschäftigte die Unternehmensziele mit und schlagen zum Beispiel mehr vegetarische oder vegane Gerichte in der Kantine vor oder versuchen, Treibhausgase auf dem Weg zur und von der Arbeit zu sparen. Eine positive Nebenwirkung für den Arbeitgeber: Die Fluktuation sinkt, die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit der auf diese Weise eingebundenen Angestellten ist für deutsche Verhältnisse sehr hoch. Das lindert den Effekt des Fachkräftemangels.
Ähnliches berichtet der Lebensmittel-Logistiker Transgourmet, der sich ebenfalls ein Science Based Target gegeben hat. Laut der für Nachhaltigkeit zuständigen Managerin Kathrin Caro Pulido empfinde das Unternehmen „Verantwortung gegenüber der Umwelt und zukünftigen Generationen“, es sehe sich aber auch den „wachsenden Erwartungen unserer Kunden und Partner“ gegenüber. Viele der Beschäftigten begrüßten die Chance, selbst etwas zu bewirken. „Auch wenn es in manchen Bereichen natürlich Herausforderungen gibt, wird Nachhaltigkeit nicht als ‚lästige Pflicht‘ empfunden, sondern als integraler Bestandteil unserer Unternehmensstrategie.“
Alles, was in diesem Artikel bisher über Unternehmen der Logistik-Branche berichtet worden ist, fällt in den Bereich Klimaschutz durch Emissionsminderung. Die Klimaanpassung im Sinne einer Vorbereitung auf jene akuten Extremwetterereignisse, die hier im Mittelpunkt stehen sollten, wurde aber bisher nicht thematisiert.
Klimaschutz in der Logistik ja, Klimaanpassung eher nicht?
Das liegt darin, dass diese Vorbereitung bei vielen Unternehmen noch kaum eine Rolle spielt oder dass sie einfach nicht darüber reden möchten. Dabei gehört die Auseinandersetzung mit den Folgen etwa von Starkregen und Stürmen laut der erwähnten Studie der Unternehmensberater von PwC zu einer ganzheitlichen Strategie, bei der Unternehmen den eigenen Einfluss auf den Klimawandel genauso analysieren wie die Risiken, die daraus für das Geschäftsmodell und den Betrieb resultieren – um beide dann möglichst zu senken. In der Begrifflichkeit der Berichterstattung über Nachhaltigkeit heißt das „doppelte Wesentlichkeitsanalyse“. Sie betrifft vordergründig die Wirtschaftlichkeit der Firmen, aber indirekt auch die Arbeitswelt ihrer Beschäftigten.
In der Realität aber sind für viele Unternehmen Extremwetter-Ereignisse nur eine weitere Ursache für Verzögerungen neben Baustellen, Verkehrsunfällen, maroden Brücken, Streiks, Pandemien oder nicht zu beeinflussenden Ereignissen in weit entfernten Regionen – etwa wenn der Suezkanal wegen eines querliegenden Containerschiffs oder nach Angriffen jemenitischer Rebellen nicht zu nutzen ist.
Dabei herrscht oft ein Fokus auf Vergangenheit und Gegenwart vor; die Zukunft, in der der Faktor Klimawandelfolgen deutlich wachsen dürfte, spielt noch keine große Rolle. Auf die Journalisten-Frage, warum sich Unternehmen nicht stärker auf Extremwetterereignisse vorbereiten, folgt zum Beispiel oft der Hinweis, man könne ja auch bisher schon mit schlechtem Wetter umgehen. In der Tat: Wenn zum Beispiel ein Lieferdienst vor Weihnachten den jährlichen Höhepunkt im Paketvolumen hat, muss der Betrieb auch für viel Regen, Schnee und Wind gewappnet sein. Aber Extremwetter-Ereignisse wie die Ahrflut 2021, die Sturmflut an der Ostseeküste im Herbst 2023 und die Überschwemmungen im Saarland und anderen Regionen im Frühjahr 2024 haben doch ganz andere Größenordnungen als ein früher Wintereinbruch.
Offenbar sprechen viele Unternehmen ungern über Extremwetter, zumindest öffentlich oder mit der Presse. Womöglich sorgen sie sich, bei Geschäftspartnern könne der Eindruck entstehen, die Firma könne ihre angebotenen Leistungen im Zweifel nicht hundertprozentig erfüllen
Dass sich der Blick meist noch nicht in die Zukunft richtet, zeigt sich auch bei Gefährdungsbeurteilungen im Rahmen des Arbeitsschutzes, in denen mögliche Risiken für Beschäftigte vermerkt werden (siehe auch Teil 1 dieser Serie). Die Frage, ob darin Starkregen, Überschwemmungen oder Stürme eine Rolle spielen, beantworten Pressestellen mit Sätzen wie diesem: „Im Zuge unserer Gefährdungsbeurteilungen setzen wir uns mit aktuell, also konkret auftretenden Gefährdungen auseinander und ergreifen geeignete Maßnahmen.“ Das bedeutet, der jeweilige Arbeitgeber setzt sich mit den Erfahrungen auseinander, was heute die Beschäftigten betrifft, aber berücksichtigt noch nicht die Erwartungen dessen, was ihnen demnächst passieren dürfte.
Damit Arbeitgeber dieses wichtige Instrument weiterentwickeln und nicht nur als lästige Pflicht betrachten und mit minimalem Aufwand abarbeiten, vernetzt die Gewerkschaft Verdi die Betriebsräte verschiedener Unternehmen der Branche, damit die sich über Ideen, Argumente und Erfolge austauschen können.
Hinzu kommt, dass offenbar viele Firmen ungern über Extremwetter sprechen, zumindest öffentlich oder mit der Presse– auch das zeigt die Recherche, genauer: das zeigen die Schwierigkeiten bei der immerhin wochenlangen Recherche. Ungewöhnlich viele Firmen wimmelten den Reporter mit dem Verweis auf „Terminschwierigkeiten“ ab, andere ließen jeweils mehrfache Kontaktversuche unbeantwortet. Die Sorge der Unternehmen ist womöglich, dass in ihrem geschäftlichen Umfeld der Eindruck entsteht, die Firma könne ihre angebotenen Leistungen im Zweifel nicht zu einhundert Prozent erfüllen. So entsteht aber eine Schweigespirale, in der die Beschäftigung mit Extremwettergefahren unter eine Art Tabu gerät und zum Betriebsgeheimnis wird, während nach außen eine womöglich falsche Gewissheit projiziert wird.
Exemplarisch für den Unwillen mancher Unternehmen, über Risiken durch Extremwetter zu sprechen, ist das Verhalten der Hafengesellschaft Lübeck (LHG). Sie ist eine 100-prozentige Tochter der Hansestadt Lübeck. Dort wurde nach einem Rechercheinterview für diesen Text explizit der Wunsch ausgesprochen, es dürfe nicht so wirken, als könnten Extremwetterlagen den Hafenbetrieb beeinträchtigen. Das konkrete Thema war in diesem Fall unter anderem die vor kurzem veröffentlichte Starkregenkarte des Bundeslands Schleswig-Holstein. Sie enthält zwei Szenarien von außergewöhnlichem (35 bis 40 Millimeter in einer Stunde) oder extremem Starkregen (100 Millimeter in einer Stunde). Ersteres entspricht dem sogenannten hundertjährigen Ereignis – also einem Starkregen, der einer statistischen Schätzung zufolge nur alle hundert Jahre vorkommt.
Laut der Starkregen-Karte könnte es im extremen Szenario unter anderem für große Teil des Skandinavienkais des Lübecker Hafens mögliche Überflutungen mit Wasserständen von typischerweise 40 bzw. 70 Zentimeter geben. Auch die Zufahrtsrampen zu den Fähren wären womöglich betroffen. Einzelne Teile der großen Parkflächen für LKW könnten den digitalen Daten zufolge Wasserstände über einem Meter aufweisen. Allerdings ist offen, ob der Karte überall korrekte Informationen über Entwässerungs- und Pumpanlagen zugrundeliegen.
Nach dem Interview zog die Firma Aussagen zum Umgang mit der Starkregenkarte zurück, die in diesem Artikel verwendet werden sollten. Allerdings muss sie als Verwalterin einer öffentlichen, kritischen Infrastruktur Auskunft auf offizielle Presseanfragen geben. Der Geschäftsführer Sebastian Jürgens vermeidet in seinem Statement, die neue Datenbasis überhaupt zu erwähnen: „Die Hafenflächen unserer Anlage Skandinavienkai in Lübeck-Travemünde und die dazugehörigen Entwässerungssysteme sind im Rahmen der Entwässerungsgenehmigung auf das ‚hundertjährige Regenereignis‘ ausgelegt.“ Insofern seien die „dargestellten Regenmengen bereits planerisch und bautechnisch berücksichtigt.“ Bei früheren Starkregenereignissen sei es nicht zu Überflutungen gekommen, ergänzt ein weiterer LHG-Vertreter.
Diese Antwort blendet allerdings aus, dass die Starkregenkarte für das extreme Szenario von einer Regenmenge ausgeht, die mehr als doppelt so groß wie beim hundertjährigen Ereignis ist. Starkregenfälle, die lokal stärker als das „hundertjährige Ereignis“ waren, hat es in Schleswig-Holstein in den Jahren 2001 bis 2023 laut Starkregenportal knapp 80-mal gegeben. Die größte per Radar gemessene Regenmenge übertraf im Juni 2020 sogar die Annahme des Extremszenarios: Damals fielen in einer Stunde 104,4 mm Niederschlag auf ein Dorf in Ostholstein, etwa 45 Kilometer nördlich des Lübecker Hafens.
Woanders werden mögliche Behinderungen im Verkehrsfluss, die bei Extremwetter auftreten können, immerhin durch Veränderungen der Infrastruktur abgefangen. Zum Beispiel an der Rader Hochbrücke, die an der A7 über den Nord-Ostsee-Kanal führt. Damit sie nicht mehr so oft bei starkem Wind für LKW gesperrt werden muss, bekommt der momentan errichtete Neubau auf Druck der Logistik-Branche drei Meter hohe Windschutzwände.
Solche Vorsorge soll zum Beispiel die LKW-Fahrer davor bewahren, in überschwemmte Gebiete zu geraten oder mitten in einen Sturm. Oder in einem viel häufigeren Falle davor, dass Verzögerungen den Routenplan zur Makulatur machen, und unerwartete Stopps erzwingen, weil die erlaubte Lenkzeit abläuft, bevor das Ziel erreicht ist. In diesem Fall riskiert der Fahrer bei einer Kontrolle erhebliche Strafen, wenn er trotzdem weiterfährt. Lösen muss solche Probleme dann die sogenannte Disposition, also die Abteilung, die Transportaufträge den einzelnen Fahrern und Sattelzügen zuordnet. Aber bisher, sagt Ralf Fiedler vom Fraunhofer-Center für maritime Logistik, „sind der Klimawandel und Extremwettereignisse in ihrer täglichen Bedeutung für die Disposition vernachlässigbar“. Es ist einfach sonst zu viel los.
Draußen schien die Sonne, aber drinnen wurde über eine Vorstufe zum Weltuntergang verhandelt – jedenfalls aus Bremer Sicht. Ein Wissenschaftsteam vom Berliner Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) hatte im Juni 2022 zu einem Planspiel gebeten, und eines der vorgestellten Szenarien war heftiger Starkregen in Bremen und Bremerhaven. Das viele Wasser überflutete Rechenzentren, Umspannstationen und Lagerhallen, ließ eine Solaranlage vom Hang einer ehemaligen Mülldeponie rutschen und die Weser so stark ansteigen, dass Binnenschiffe nicht mehr unter den Brücken durchpassten.
30 Personen an zwei großen Tischen diskutierten, was nun zu tun sei. Sie kamen aus dem Handel, der Logistik, der Wissenschaft und der Politik. Sie waren in Rollen geschlüpft und hatten sinnfällige Namen bekommen: Herr oder Frau Bohne vertrat den gleichnamigen Importeur von Kaffee und Ölfrüchten, die Vertreterin einer Finanz- und Versicherungsagentur hieß Sicher, und eine Person namens Kreislauf stand für das Unternehmen, das Müll entsorgt und Strom erzeugt. In einem früheren Workshop 2019 mit einem engeren Fokus auf Logistik hatte es auch noch eine Bahnmanagerin mit Nachnamen Gleis gegeben.
Die beiden Workshops und Planspiele waren Teil des Projekts „Bresilient“ und sollten Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel und Extremereignisse für die Bremer Wirtschaft ausloten und diese so widerstandsfähiger, also resilienter machen. Neben Starkregen ging es unter anderem auch um Hitzewellen, den kommenden Meeresspiegelanstieg oder die Unterbrechung globaler Lieferketten durch Taifune in Asien.
An den Tischen habe dabei eine Atmosphäre der Kooperation und des guten Willens geherrscht, erinnert sich Esther Hoffmann, eine der beteiligten Mitarbeiterinnen des IÖW. Trotz der bedrohlichen Szenarien waren die Teilnehmenden zuversichtlich, etwas tun zu können und überlegten, wie sie die Herausforderungen gemeinsam bewältigen, Prioritäten festlegen und Interessen ausgleichen könnten. Die vorgeschlagenen Maßnahmen waren manchen in der Rückschau zu unrealistisch, weil Umsetzungskosten und -dauer nicht berücksichtigt wurden – aber gleichzeitig hatte genau das die Kreativität der Ideen befördert, so der Ergebnisbericht.
Einige besondere Aussagen von Teilnehmenden sind Hoffmann noch im Gedächtnis. Beim im Jahr 2035 verankerten Szenario Meeresspiegelanstieg hörte sie zum Beispiel ein erstauntes: „Da ist mir so richtig bewusst geworden: Wir müssen ja heute schon anfangen, uns vorzubereiten.“
Planspiele als Instrument der Kommunikation sind aufwändige, aber oft sehr wirksame Mittel, Zusammenhänge auf neue Weise zu erfassen und Wege der Zusammenarbeit zu erkunden. Ähnliche Workshops hatten zuvor zum Beispiel schon das Umweltministerium zum Thema Umwelt-Verträglichkeitsprüfung und das Umweltbundesamt zum Thema Flächenverbrauch veranstaltet. Die Universität Halle-Wittenberg und der RKW-Bayern, ein Zusammenschluss von mittelständischen Unternehmen im Freistaat, bieten solche Veranstaltungen jeweils zum Thema Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung an. Die Organisation Climate Interactive offeriert ein ganzes Spektrum von Spielen, mit denen Einzelpersonen oder Gruppen die Komplexität der internationalen Klimaverhandlungen nachempfinden können.
In der Logistikbranche, ergänzt Moritz Petersen, betrachteten sich viele der Verantwortlichen, die Routen planen oder Ressourcen disponieren, „als Feuerwehrleute: dass es Aussetzer im System gibt, ist für sie eher die Regel als die Ausnahme.“ Eine Quelle von Problemen mehr oder weniger bringt sie nicht dazu, ihre ganze Arbeitsweise zu überdenken.
Für Blaulichtberufe gilt: Klimaanpassung ist einfacher als Klimaschutz
Richtige Feuerwehrleute sind für gefährliche, teils lebensbedrohliche Ausnahmesituationen ausgebildet, haben damit Erfahrung und werden – im Fall der gut 110 Berufsfeuerwehren in Großstädten mit insgesamt etwa 36.000 Beschäftigten – auch dafür bezahlt. Daneben gibt es in Deutschland ein ziemlich einzigartiges, dichtes Netz von fast 24.000 Freiwilligen Feuerwehren mit gut einer Million Ehrenamtlichen. Sie sind für die Bereitschaft und die Einsätze von den Dörfern bis zu den Städten von etwa 50.000 Einwohnern zuständig. Alle Feuerwehren sind vernetzt über Leitstellen, die Verstärkung organisieren, Ersatz von abgekämpften Einheiten sowie Spezialgerät und -kräfte.
Um auch hier ein Ergebnis der Recherche vorwegzunehmen: In einer entscheidenden Kategorie sind die Verhältnisse bei den Blaulichtberufen praktisch umgekehrt wie bei der Logistik. Für Klimawandelanpassung wird viel getan, oder zumindest dafür geplant, aber Klimaschutz im Sinne eines reduzierten CO2-Fußabdrucks ist schwieriger – er darf vor allem die Einsatzbereitschaft nicht gefährden.
In die Kategorie Blaulichtberufe fallen etliche Sparten und Berufsgruppen. Die Zuständigkeiten sind im föderalen Deutschland eher verwirrend geregelt: Für die Feuerwehren sind die Kommunen zuständig; für Rettungsdienste die Landkreise und kreisfreien Städte; für Katastrophenschutz und Polizei die Bundesländer; für den Zivilschutz, THW, Bundespolizei und die bisher selten gerufene Bundeswehr der Bund.
All diese Organisationen müssen sich darauf vorbereiten, dass die Einsätze bei Extremereignissen durch den Klimawandel häufiger, länger und anstrengender werden. Oder schon geworden sind. Details etwa für die medizinische Notfallversorgung trägt zurzeit das Projekt KlimaNot der Unikliniken Magdeburg und Aachen zusammen. Es geht letztlich darum, in Zukunft mit dem Blick auf die Wetterprognosen sagen zu können, ob sich das Personal in Notaufnahmen auf mehr Patient:innen mit Hitzeschäden oder Verletzungen durch Überschwemmungen vorbereiten sollte.
Extremereignisse gefährden auch die Einsatzbereitschaft der Helfer
Die Extremereignisse, in denen es auf die Blaulichtberufe besonders und immer mehr ankommen wird, könnten allerdings auch die Möglichkeiten der Helfer beschneiden, überhaupt tätig zu werden: „Die Erfahrungen aus den zurückliegenden Starkregenereignissen zeigen, dass die Einsatzfähigkeit der Feuerwehr und von Rettungsdiensten, zum Beispiel durch nicht passierbare zentrale Unterführungen, stark eingeschränkt sein kann“, warnen zwei leitende Feuerwehrleute aus Berlin auf dem Portal crisis-prevention.de. Damit sie nicht von Wassermassen direkt vor den Toren der Fahrzeughalle überrascht werden, müssen auch die jeweils Verantwortlichen der Berufs- und freiwilligen Feuerwehren sowie der Rettungswachen Starkregenkarten und andere Informationsquellen studieren.
Auf dem Land können größere Schadensereignisse zudem ganze Regionen gleichzeitig betreffen, mahnen Experten. Benachbarte freiwillige Feuerwehren vermögen sich dann nicht mehr wie gewohnt gegenseitig zu helfen – viele Mitglieder sind selbst betroffen und müssen sich erst einmal um die eigene Familie und das eigene Haus kümmern. Und wenn durch den Klimawandel Löschteiche austrocknen und Brunnen versiegen, fehlt den Helfern womöglich das Wasser zum Löschen von Bränden. Sie werden also, wie auch für zunehmend häufige Vegetationsbrände, Wasser in Tankwagen mitbringen müssen.
Im Zuge des Klimawandels werden Einsätze der Feuerwehren häufiger und anspruchsvoller; Foto: Christine Hepner/DFV
Die erhöhten Anforderungen treffen Berufsgruppen, die teils schon heute sozusagen auf dem Zahnfleisch gehen. Eine Umfrage der Gewerkschaft Verdi aus dem Jahr 2022 zeigte die „normalen“ Verhältnisse und Arbeitsbedingungen der etwa 85.000 Beschäftigten in den Rettungsdiensten: Schon ohne Klimawandel ist der Alltag gekennzeichnet von ungünstigen Arbeitszeiten, unsicheren Dienstplänen, Zeitdruck, den häufig eingeschränkten Gelegenheiten, Pausen zu machen sowie von hoher emotionaler Belastung. Nur elf Prozent der Befragten konnten es sich damals vorstellen, bis zur Rente in dem Beruf zu bleiben.
Um die noch anwachsenden Anforderungen besser zu bewältigen, die Extremwetter unter anderem für den Rettungsdienst bedeuten, arbeitet das Deutsche Rote Kreuz inzwischen an einem Konzept für vorausschauenden Katastrophenschutz, der schneller und entschiedener auf Wetterprognose reagiert und sich besser vorbereitet. Dabei fließen auch die Erfahrungen als Teil der in der Bewältigung von Klimawandelfolgen sehr engagierten Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung ein.
Nach der Hochwasserkatastrophe in und um das Ahrtal 2021 nahm sich das Deutsche Rotes Kreuz (DRK) vor, etwas von Bangladesch und Mozambik zu lernen. Genauer: Von der eigenen Arbeit dort, wo das DRK unter anderem zusammen mit ihren lokalen Partnern im internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Verbund versuchen, die Vorwarnzeit vor Extremwetterereignissen besser zu nutzen – vor allem, um die Auswirkungen zu reduzieren und rechtzeitig Geld für Hilfe bereitzustellen. Auch für Deutschland müsse es nun einen „vorausschauenden Katastrophenschutz“ geben, war man beim DRK überzeugt, um zunehmend häufige und zunehmend große Notlagen bewältigen zu können.
„Wir wollten hin zu öfter einem proaktiven, vorausschauenden Handeln“, sagt Moritz Krüger vom Generalsekretariat der Organisation in Berlin. „Es geht darum, Wetterdaten und Vorhersagen besser einzubinden und Schwellen zu definieren, bei deren Erreichen automatisch Maßnahmen ausgelöst werden und die Finanzierung dafür bereitgestellt wird.“ Diese Schwellen können zum Beispiel vorausgesagte Temperaturen einer Hitzewelle oder Pegelstände eines Hochwassers sein.
Diese Idee kann das DRK indes nicht allein umsetzen – es wäre auch nicht sinnvoll. Darum laufen Gespräche mit anderen Hilfsorganisationen, den Feuerwehren und dem Technischen Hilfswerk, Behörden, dem Deutschen Wetterdienst (DWD) und der Politik. Die nötige Diskussion läuft zudem durch die föderalen Ebenen der Organisation mit ihren 450.000 Ehrenamtlichen, sagt Krüger. „Es geht darum, das Konzept im Verband zu bewerben und davon zu überzeugen. Das ist ein sehr reger Austausch und er setzt viel Kreativität frei, zum Beispiel kommen von den Ehrenamtlichen Vorschläge zum Einsatz von Apps, von Drohnen oder für die Mobilisierung von Spontanhelfenden.“
Der vorausschauende Katastrophenschutz könne nicht bedeuten, auf Verdacht Rettungswagen an Orte zu verlegen, an denen Sie gebraucht werden könnten. Einheiten aus dem Katastrophenschutz wie die Bereitschaften oder Wasserwacht können aber durchaus Schutzmaßnahmen vor dem Ereignis umsetzen, so Krüger. Und wenn von Vornherein weniger Menschen in Not geraten, sinke auch die Belastung etwa im Rettungsdienst des DRK und für die dort beschäftigten Notärztinnen und Rettungssanitäter.
Bei Rettungsdiensten und Feuerwehrleuten ist das Bewusstsein für Extremwetter und Klimawandel schon groß. „Unsere Einsatzzahlen werden wahrscheinlich steigen, und wenn wir es nicht schaffen, uns vorzubereiten, werden die jetzigen Probleme der Abstimmung in den verschiedenen Zuständigkeiten noch größer“, sagt Ulrich Cimolino, der lange in leitender Funktion bei der Feuerwehr Düsseldorf tätig war. Er leitet zudem seit der Ahrflut 2021unter anderem eine Experten-Kommission zum Thema Starkregen .
Die Möglichkeit, bei Not zu helfen, stärkt das Selbstbild der Feuerwehrleute
Bei solchen Großereignissen ist es den Helfern vermutlich zunächst einmal egal, wie groß der Einfluss des Klimawandels war (siehe auch Kasten „Klimawandel und Extremwetter“). Zu erfahren oder zu vermuten, dass die Klimakrise die Notlage verschärft hat, belastet die Feuerwehrleute nach solchen Einsätzen nur selten psychisch, zumindest nicht stärker als der normale Dienst, hat Cimolino beobachtet. Viele ziehen aus der erfolgreichen Bewältigung auch positive Bestärkung: „In Großlagen kompetent helfen zu können, stärkt deren Selbstbild.“
Probleme könne es jedoch bei den Freiwilligen Feuerwehren geben, wenn zu viele lange Einsätze hintereinander notwendig werden, zum Beispiel durch Wald- und Vegetationsbrände. „Da kann es schon vorkommen, dass die Arbeitgeber der Leute protestieren, weil sie die nicht immer wieder längere Zeit entbehren können.“ Selbst wenn die Kommunen die Ausfallzeiten nach einem Einsatz erstatten.
„Wir müssen darauf achten, dass sich die Feuerwehren auf den Klimawandel vorbereiten und nicht sehenden Auges hineinstolpern.“
Gerade die Ehrenamtlichen müssten bei der Vorbereitung auf Extremereignisse, ob nun klimabedingt oder nicht, im Fokus stehen, stellte auch die Starkregen-Kommission fest: 90 Prozent der Einsatzkräfte bei der Ahrflut stammten von Freiwilligen Feuerwehren, die zum großen Teil auch aus anderen Bundesländern wie Schleswig-Holstein stammten. Für diese ist als gesetzlicher Unfallversicherungsträger die Hanseatische Feuerwehr-Unfallkasse Nord zuständig. Auch hier sagt deren stellvertretender Geschäftsführer, Christian Heinz: „Wir müssen darauf achten, dass sich die Feuerwehren auf den Klimawandel vorbereiten und nicht sehenden Auges hineinstolpern.“
Die Feuerwehr-Unfallkassen mehrerer Regionen haben darum bereits Alarm in eigener Sache geschlagen. „Einsatzszenarien und Gesundheitsgefährdungen verändern sich dramatisch“, heißt es in einer Resolution vom Mai 2023. „In den Feuerwehr-Unfallkassen nehmen Unfallanzeigen, die im Zusammenhang stehen mit Einsätzen, die im weitesten Sinne auf Klimaveränderungen zurückzuführen sind, beständig zu.“ Im Jahr 2022 hatte zum Beispiel eine Serie von Winterstürmen die Unfallzahlen deutlich ansteigen lassen, die der HFUK-Nord gemeldet wurden.
Gibt es vermehrt längere Einsätze im Freien, ob nun bei Überschwemmungen oder Waldbränden, brauchen die Feuerwehrleute auch eine größere körperliche Fitness und Ausdauer. Fehlt diese, warnen Fachleute, leidet auch die Konzentration im Einsatz. Darüber hinaus müssen Einheiten, die zur Verstärkung bei großen, katastrophalen Ereignissen ausrücken, 100-prozentig autark sein können, also vom Trinkwasser und Lebensmitteln sowie mobiler Küche bis zum Duschzelt, der Stromversorgung und nötigen Medikamenten alles mitbringen. Auch das hat sich bei der Ahrflut gezeigt. Der Impfschutz gegen Tetanus, gegen Hepatitis in überfluteten Regionen und gegen Zeckenenzephalitis (FSME) in brennenden Landschaften muss aktuell sein; die Feuerwehrleute müssen sich gegen stechende Insekten sowie Eichen- und Kieferprozessionsspinner schützen können.
Feuerwehren, auch das vermerkt der Starkregen-Bericht, brauchen zudem Boote und Geräte für die Wasserrettung sowie vor allem mehr geländegängige Fahrzeuge, um Einsatzorte überhaupt zu erreichen. Auf den ersten Blick merkwürdig ist die Forderung nach Außenmarkisen, doch sie werden gebraucht, damit Helferinnen und Helfer in Pausen im Schatten sitzen können.
Ein besonders wichtiges Thema ist die persönliche Schutzausrüstung (PSA). Die meisten Feuerwehrleute haben als häufig einzige Schutzkleidung die schwere Ausführung für den sogenannten Innenangriff: also das Betreten brennender Häuser unter Atemschutz. Die ist aber ungeeignet, um sie draußen länger zu tragen. „Ist die Kleidung zu dick, wird sie ausgezogen“, sagt Dirk Rixen, der bei der gesetzlichen Unfallversicherung der Freiwilligen Feuerwehren in drei norddeutschen Bundesländern (HFUK-Nord) für Prävention zuständig ist. „Dann hängt die Jacke am Außenspiegel des Fahrzeugs, wenn zum Beispiel eine mobile Pumpe aufgetankt wird. Die braucht meist Superbenzin. Und wenn sie heiß ist, und was von dem Treibstoff daneben geht, kann es eine Stichflamme geben, vor der die Jacke geschützt hätte.“
Verschärfend kommt hinzu: Von einer zusätzlichen, leichteren Schutzkleidung bräuchten Feuerwehrleute eigentlich auch mehrere Hosen und Jacken und ein zweites Paar Stiefel für tagelange Einsätze. „Da kommt es dann schon vor, dass der Gemeinderat fragt: Wie oft brauchen wir das?“, sagt Rixen. „Situationsgerechte PSA ist eines der dicksten Bretter, die wir bohren.“
Der Versicherugsträger plant darum, die Erderhitzung und die daraus folgenden Extremwetterereignisse „offensiv zum Thema zu machen, bevor uns die Unfallzahlen um die Ohren fliegen“. Als erstes sei eine Befragung geplant, um eine Datenbasis zu bekommen. Für diese Initiative werde man vielleicht „nicht überall mit hochgerissenen Armen begrüßt“, sagt Heinz, „aber wir können es ja mit dem Ansprechen von psychischen Belastungen nach Einsätzen vergleichen. Da gab es anfangs Widerwillen, sich damit zu beschäftigen, aber inzwischen ist das nirgendwo mehr umstritten. Es hat einige Jahre gedauert, bis das bei allen Führungskräften im Kopf drin war.“
Im Einsatz gegen ein Extremereignis
Ein aktiver Feuerwehrmann, der erst vor kurzem ein Extremwetter-Ereignis bewältigen musste, ist Carsten Herzog: Chef der Berufsfeuerwehr Flensburg, wo im Herbst 2023 eine Sturmflut große Teile der Innenstadt nahe der Förde unter Wasser setzte. Solche Hochwasserlagen sind an der Ostsee seltener als etwa in Küstenstädten an der Nordsee und Häfen wie Emden, Bremen und Hamburg. Das Wasser des Binnenmeeres muss erst von starkem Westwind nach Osten geschoben werden, dann mithilfe eines umgesprungenen Windes in einer Art Badewannen-Effekt zurückschwappen. Der Klimawandel kann solche Hochwasser allein wegen des steigenden Meeresspiegels gefährlicher machen. Eine Wiederholung der Ereignisse von 2023 ist also wahrscheinlicher geworden als historische Daten allein es vermuten lassen.
Die speziellen meteorologischen Verhältnisse waren vor und am 20. und 21. Oktober 2023 gegeben; die Flut in Flensburg stieg so hoch wie seit mehr als hundert Jahren nicht. „Es war das erste Mal seit dem zweiten Weltkrieg, dass wir auswärtige Hilfe brauchten und bekamen“, sagt Herzog. Das Hochwasser war von den Wetterdiensten zwar einige Tage vorher angekündigt worden, aber die Feuerwehr konnte trotzdem die betroffenen Straßenzüge nicht vor der Überschwemmung bewahren. Schutzbauwerke wie Fluttore oder vorbereitete Spundwände, die bei Gefahr geschlossen beziehungsweise aufgebaut werden, gebe es in Flensburg nämlich nicht, so Herzog. „Wir können nur Lücken schließen, aber nicht innerhalb weniger Tage Vorwarnzeit für fünf Kilometer Küstenlinie einen Sandsackdamm bauen. Dafür bräuchte ich 2000 Leute, ich habe aber nur 300.“
Das Hochwasser in Flensburg am 20. und 21. Oktober 2023 war angekündigt. Allerdings traf es dann aber deutlich höher ein. 2,27 Meter über dem mittleren Wasserstand zeigte der Pegel am Scheitelpunkt, das Wasser stand 1,20 bis 1,50 Meter oberhalb der Kaimauern. Zuletzt hatte es 1904 ein annähernd so hohes Sturmhochwasser gegeben. Betroffen waren diesmal etwa 30 Straßenzüge der Flensburger Innenstadt. Die Feuerwehr leistete 280 Einsätze.
An ersten Tag hatte Malte Suchsdorf 24-Stunden-Dienst und erinnert sich: „Es kam döller als gedacht und schneller als gedacht. Der erste Einsatz war ein brennender Trafo an der überfluteten Hafenkante. Das Wasser stieg da so schnell, dass noch viele Autos im Wasser standen, die die Anwohner nicht mehr wegfahren konnten. Wir kamen deswegen auch nicht an den Trafo ran, darum mussten die Stadtwerke den Strom abschalten. Das war schlecht für die Anwohner, die sich vorbereitet und Pumpen besorgt hatten, weil die nicht mehr funktionierten. Danach sind wir nur noch von Einsatz zu Einsatz gefahren.“
Zu den betroffenen Gebäuden gehörte auch das Polizeipräsidium Flensburg: Dort bestand das Risiko, dass das Wasser in den Keller läuft, wo die IT-Infrastruktur der Polizei untergebracht war. Hiergegen musste die Feuerwehr anpumpen.
„Bei meinem letzten Einsatz“, erzählt Suchsdorf weiter, „waren wir mitten in der Nacht zu einer Tiefgarage gerufen worden, die wir auspumpen sollten. Aber die Leute haben nicht verstanden, dass das sinnlos gewesen wäre, weil das Wasser von der anderen Seite nachlief. Danach hatte ich Schichtende und war ziemlich fertig. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte niemandem mehr helfen können.“
Der einzige medizinische Notruf an dem Tag kam von einer hochschwangeren Frau, die im ersten Stock wohnte und vom Wasser eingeschlossen war. Sie machte sich Sorgen, dass ihre Wehen während der Überschwemmung einsetzen könnten. Darum wurde sie vom Technischen Hilfswerk geborgen.
Am nächsten Tag war Alexander Thews als sogenannter Erkunder im Einsatz. Er hatte sich einen Überlebensanzug angezogen und watete vorsichtig durch überflutete Straßen. „Da hingen die Leute an den Fenstern und riefen: Kommen Sie hierher! Niemand hatte mehr Strom, die konnten nicht einmal mehr die Handys aufladen. Ich musste den Menschen aber sagen, ich bin allein hier, und nur, um mir ein Bild zu machen. Ich kann Ihnen nicht helfen, aber ich gebe es natürlich weiter. Meine Aufgabe war es nämlich, die Augen für den Einsatzstab zu sein, damit die Kollegen die Prioritäten für die Einsätze festlegen konnten.“ Gerade bei großen Gefahrenlagen hat eine Leitstelle nämlich weniger Informationen als an ruhigeren Tagen: Kommen viele Notrufe gleichzeitig, dann ist typischerweise schon der nächste Anrufer in der Leitung, wenn beim Vorigen gerade Name, Adresse und Art der Notlage abgefragt sind, aber noch Details fehlen.
Thews‘ Einsatz als Erkunder war nicht ungefährlich: „Normalerweise machen wir so etwas zu zweit, zur gegenseitigen Eigensicherung. Bei der Wasserhöhe sieht man ja nicht mehr, was genau vor den Füßen liegt. Aber der Kollege wurde in anderen Straßen gebraucht, und mehr Personal hatten wir nicht. Ich hab‘ mich also wirklich mit den Zehen langsam vorangetastet. Darum auch der Überlebensanzug und nicht nur die Wat-Hose. Die hätte beim Hinfallen ja volllaufen können. Und zum Kontakt mit der Leitstelle habe ich mein eigenes Handy und WhatsApp benutzt – auch nicht ganz so, wie es sein soll.“
280 Einsätze hatten die Feuerwehr Flensburg und andere Einheiten dann über anderthalb Tage. Im Rückblick darauf ist Herzog insgesamt zufrieden, allerdings ist die Anschaffung von mehr Wat-Hosen und Diensthandys für die Kommunikation nötig. Mit Blick auf die weitere Entwicklung ist dem Feuerwehrchef nicht bange. Flensburg diskutiere, welche Aspekte eines kurz vor der Sturmflut beschlossenen Klimaanpassungs-Konzepts vorgezogen werden sollten. Das Papier sieht nun unter anderem vor, die Installation von Spundwänden zu prüfen, aber auch die Beschaffung von Pumpen, um bei Starkregen und gleichzeitig hohem Pegelstand in der Förde auch das Wasser zu bewältigen, das von der Landseite und höher gelegenen Teilen der Stadt herabfließt. Die unter dem Notruf 112 erreichbaren Helfer haben in dem Konzept ihre Aufgaben und können sich vorbereiten: „Alle denkbaren Szenarien von Extremereignissen sind für die Arbeit der Feuerwehren nicht untypisch“, sagt Herzog, „sie werden aber stärker und intensiver.“
Wie geht Klimaschutz im Feuerwehrdienst?
Auch Katastrophenhelfer, Rettungsdienste und Feuerwehren stehen vor der Aufgabe, neben Klimawandelanpassung auch etwas zum Klimaschutz beizutragen, also weniger Emissionen mit ihrer Arbeit zu erzeugen. Vieles davon liegt in der Hand der jeweils zuständigen Träger, wenn es etwa um die genutzten Gebäude geht. Flensburg zum Beispiel plane gerade, so Herzog, die Hauptfeuerwache aus den 1950er-Jahren durch zwei neue und etwas höher gelegene Wachen zu ersetzen, die dann nach aktuellen Standards gebaut und gedämmt und mit Photovoltaik auf den Dächern ausgestattet sind.
Sorgen macht Herzog sich allerdings in einem Punkt, der den Klimafußabdruck der Feuerwehr-Arbeit senken soll. „Wir beobachten die Umstellung auf E-Mobilität für unsere Fahrzeuge sehr kritisch: Das funktioniert nur, wenn die Infrastruktur noch funktioniert. Unser Job beginnt aber oft gerade dann, wenn die Infrastruktur ausfällt. Wir müssen dann trotzdem fahren und könnten nicht wie bisher auch im Feld mit Kanistern nachtanken.“ Ein entsprechend gesichertes, überall verfügbares System zum schnellen Aufladen der Batterien von Drehleitern oder Gerätewagen aufzubauen, würde dagegen sehr aufwendig sein.
Für Einsätze bei Waldbränden wird leichtere Schutzkleidung gebraucht: „Situationsgerechte Ausrüstung ist eines der dicksten Bretter, die wir bohren“; Foto: Matthias Oestreicher/DFV
Insgesamt ist der Flensburger Feuerwehrchef aber zuversichtlich, was seine Arbeit angeht: „Irgendwo auf der Welt gibt es schon Feuerwehren, die in den Verhältnissen funktionieren, die wir bekommen.“ Von denen könne man lernen. „Ich muss also keine Angst haben, meinen Job nicht mehr machen zu können.“
Und dem werden mit Blick auf den Elektrotrucker und andere Vorbilder sicherlich auch die Beschäftigten in der Logistik zustimmen.
Entscheidend wird es in beiden Branchen sein, die Veränderungen und die nötigen Anpassungen und Umstellungen breit zu diskutieren. Wenn dabei YouTube, Kinderbücher, Wettrennen oder Umfragen helfen, umso besser. Aber zentral sind die Gespräche mit Vorgesetzten und unter Kolleg:innen, bei denen alle Beteiligten die Scheu verlieren, ein unbequemes, vermeintlich polarisierendes, aber notwendiges Thema auch im Rahmen der Arbeitswelt anzusprechen. Damit Betriebe und Beschäftige den Weg in die Zukunft gestalten können, statt nach zu langem Schweigen von der Zukunft überrollt zu werden.