"Vor ziemlich genau einem Jahr begann die Zukunft". So lautet der erste Satz eines ausführlichen Artikels in der Pfingstausgabe der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der Wissenschaftsjournalist Andreas Frey geht darin der verbreiteten Verwunderung darüber nach, dass der Klimawandel derzeit ein so großes Thema in der Öffentlichkeit ist und die Bündnisgrünen in Wählerbefragungen fast gleichauf liegen mit CDU/CSU. "Am Anfang des Sommers 2019 erkennt man Politik und Gesellschaft kaum wieder", konstatiert Frey.
Bei der Suche nach Erklärungen hierfür spielt - natürlich - das Wetter des vergangenen Sommers eine zentrale Rolle. Zwar habe es in der Bevölkerung auch schon vor der starken Dürre eine große grundsätzliche Zustimmung zu Umwelt- und Klimaschutz gegeben, sagt Michael Brüggemann, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Hamburg (und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von klimafakten.de) der FAZ. Allerdings habe es zusätzlich noch einer "körperlichen Erfahrung" bedurft, einer fühlbaren Vorahnung auf das künftig drohende Klima. "Dafür war der Dürresommer ganz entscheidend."
"Der Dürresommer 2018 hat etwas verändert"
Auch Birgit Schneider, Professorin für Medienökologie an der Universität Potsdam, meint: "Der Dürresommer hat etwas verändert." Die Leute hätten plötzlich nicht mehr nur Fotos von Eisbären oder wissenschaftliche Diagramme gesehen, die bisher weithin übliche Bildsprache in Medienberichten oder anderen Veröffentlichungen zum Klimawandel. Stattdessen gab es erstmals Bilder zum Klimawandel, die "vor der eigenen Haustür" spielten. Der Sommer sei "vielen Leuten unheimlich geworden", so Schneider.
Die Wissenschaftlerin hat auch eine Erklärung dafür, warum die junge Schwedin Greta Thunberg etwas schaffte, was jahrzehntelangen Kampagnen von Umweltverbänden nicht gelang: eine Massenbewegung fürs Klima anzuschieben, die die Politik erfolgreich unter Druck setzt. Natürlich, der Extremsommer war wichtig. Aber daneben habe Thunberg eine neue Aktionsform gewählt: "Die Schulstreiks waren ziviler Ungehorsam, nachmittags oder am Wochenende hätte das nichts bewirkt", sagt Schneider. Und Thunberg habe ihren Appell direkt an die gewählten Politiker gerichtet, eine einfache Frage gestellt: "Warum macht ihr nichts?"
Dem stimmt der Ethnologe Werner Krauß von der Universität Hamburg ebenso zu wie Kommunikationsforscher Brüggemann: Appelle an das Gewissen oder an das individuelle Handeln von Bürgern brächten wenig. Brüggemann wird in dem FAZ-Artikel mit den Worten zitiert: "In einer Gesellschaft, in der Fliegen billiger ist als Bahnfahren und Käse teurer als Fleisch, lässt sich nicht so einfach das Klima retten."
"Wer die Katastrophe zeichnet, unterdrückt das Handeln"
In dem Artikel blickt Autor Andreas Frey auch auf Medien und Journalisten und ihre Fehler und Dilemmata beim Klimawandel. "Das Thema bleibt, wird sogar immer wichtiger, aber das große Ganze ist verstanden, die Geschichte auserzählt. Und eine Veränderung irgendeiner Kennzahl von 97 auf 98 oder noch eine alarmierende Studie über das Korallensterben ist einfach keine News mehr. Außer natürlich, wenn das Wetter 'verrückt spielt', wie es in Chef- und Politikredaktionen heißt." Doch dann drohe ein Umschlag ins andere Extrem, dann könnte jede Wetteranomalie "als düsteres Zeichen des Klimawandel" gewertet werden - was ebenso falsch sei wie die vorherige Abstumpfung. Denn natürlich gibt es weiterhin auch natürliche Wetter-Schwankungen, nicht für jeden Taifun ist allein der Klimawandel verantwortlich.
Medienökologin Birgit Schneider empfiehlt ausdrücklich, in der Klimakommunikation auf apokalyptische Drohungen zu verzichten. "Wer die Katastrophe zeichnet, unterdrückt das Handeln", sagt sie, dies hätten zahlreiche Studien gezeigt. Viele Menschen würden angesichts solcher Kommunikation vor der Größe des Problems kapitulieren. "Im Ergebnis ändern die Konsumenten ihr Verhalten nicht", bringt Frey den psychologischen Mechanismus auf den Punkt: "Sie denken, alles sei eh schon zu spät. Und fliegen schnell noch mal nach Kiribati, bevor das Meer die Inseln schluckt."
Der Artikel ist (bisher) nicht online verfügbar, er findet sich in der FAZ vom 9. Juni 2019 auf Seite 53.
tst