Andreas Rödder, 52, ist seit 2005 Professor für Neueste Geschichte an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Vorstandsmitglied der Konrad-Adenauer-Stiftung und veröffentlichte unter anderem das Buch Konservativ 21.0 - Eine Agenda für Deutschland (Verlag C.H.Beck), in dem er "einen neuen und zeitgemäßen Konservatismus" zu entwickeln sucht
Sind Umweltschützer für die Konservativen automatisch Linke?
Nein, das müssen sie überhaupt nicht sein. Umweltschutz ist grundsätzlich auch ein konservatives Anliegen.
Wissen das die deutschen Konservativen?
Umweltschutz und Christdemokratie haben in den späten 1970er-Jahren den Draht zueinander verloren . Das geschah während der seinerzeit von beiden Seiten völlig ideologisierten Debatte über die Kernenergie.
Und das schwappt in die Klimadebatte hinüber?
Ja, weil die Klimadebatte in Deutschland natürlich grundiert ist von der Kernenergie-Frage, durch den rot-grünen Atomausstieg im Jahr 2000 und die Energiewende von 2011. Und die Klimadebatte wird von Seiten der Klimabewegung mit denselben Mechanismen geführt wie in den 1980er-Jahren die um das Waldsterben, nämlich mit einer Haltung von Unbedingtheit.
Da herrscht die Vorstellung, es sei fünf vor zwölf oder eigentlich schon fünf nach zwölf, und es müsse sofort so und kein bisschen anders gehandelt werden. Diese habituellen Unterschiede kommen wieder zum Vorschein. Wobei ja der CSU-Chef Markus Söder sehr deutlich dokumentiert, dass Klimafrage und christdemokratische Politik keinen Widerspruch darstellen müssen.
Dass er wirklich überzeugt ist, nimmt ihm aber auch nicht jeder ab.
Ja, das ist die große Frage: ob das Ganze als Opportunismus dastehen wird oder als kühnes Ausgreifen einer konservativen Politik, die sich keine ideologischen Scheuklappen aufsetzt. Sie können es ja in zwei Richtungen auslegen.
Ganz allgemein: Wie müsste man heute konservative Klimapolitik machen?
Eine konservative Grundhaltung setzt auf Maß und Mitte und beruht auf einer Skepsis gegenüber der Unbedingtheit, mit der viele in der Klimadebatte auftreten. Zugleich wird der Konservative sofort erkennen, dass wir über die Frage des Klimawandels an sich nicht diskutieren müssen. Es gibt hinreichend Evidenz über den anthropogenen Klimawandel, den muss man nicht in Frage stellen. Also zieht man daraus entsprechende Schlussfolgerungen. Aber es ist wichtig, auf die Vereinbarkeit von unterschiedlichen Zielen zu achten, denn Klimaschutz, der den gesamten Sozialstaat oder den ganzen Industriestandort ruinieren und ein Volk in Massenverarmung stürzen würde, wäre ja auch keine sinnvolle Lösung.
Als Landwirtschaftsministerin ist die CDU-Politikerin Julia Klöckner auch für den Wald zuständig, im März 2019 besichtigte sie Baumschäden in Brandenburg. "Wir müssen unsere Wälder aufforsten und langfristig an den Klimawandel anpassen", erklärte sie hinterher; Foto: BMEL
Das beschreibt, was Konservative nicht wollen. Können Sie auch sagen, was sie wollen würden?
Eine liberal-konservative Politik wird insbesondere auf Markt und Innovation setzen und versuchen, unterschiedliche Politikziele von Klimaschutz und Standortsicherung und Sozialstaat und allgemeiner Wohlfahrt miteinander zu verbinden. Es gibt ja gute Gründe, über Tempolimits oder über die maximale Größe von Autos nachzudenken. Aber es ist wahrscheinlich klüger, Dinge über Preise und technologische Entwicklungen zu regeln als über direkte Verbote.
Beim Kohleausstieg kommt aber die Ordnungspolitik zum Zuge, weil man den Regionen und den Beschäftigten dort nicht zumuten will, wegen höherer CO2-Preise von Markt gedrängt zu werden. Eigentlich nicht das Mittel der Wahl bei einer konservativen Haltung.
Ja, aber wenn Sie sich an der klassischen deutschen Ordnungspolitik orientieren, ist immer klar, dass der Staat den Rahmen setzen muss, innerhalb dessen der Markt sich entfalten kann. Diese Verbindung von Rahmen und Markt, das ist das Balance-Problem der deutschen Ordnungspolitik.
Können Sie allgemeine Kriterien formulieren, wo Konservative dem Markt noch vertrauen und wo sie sagen, nee, das klappt nicht mehr, da muss der Staat ran?
Das kann man so allgemein und theoretisch nicht sagen. Konservatives Denken setzt ja auf Alltagsvernunft und praktische Erfahrung statt auf abstrakte Theorie. Man wird die Lösung jeweils neu aushandeln und schauen, wo funktioniert's und wo funktioniert's nicht. Und im Grunde permanent nachjustieren, "piecemeal engineering" ist durchaus ein konservatives Instrument.
Man könnte auch sagen, Konservative stoppeln sich ihre Politik zurecht.
Der Konservative weiß, dass er ohne die treibenden Kräfte des Fortschritts nicht auskommt. Und es wäre für die treibenden Kräfte des Fortschritts gut, wenn sie wüssten, dass ihrer Unbedingtheit die Methoden des Konservativen auch ganz guttun.
Sehen Sie denn, dass die Konservativen in Deutschland, also die Unionsparteien, jetzt ernsthaft Klimapolitik betreiben und ihre Ideen in die politische Debatte einbringen?
Ich habe insgesamt den Eindruck, ja. Soweit ich das beurteilen kann, ist die CDU tatsächlich auf dem Weg – und das gilt für die CSU noch mehr.
Mit einem Besuch auf der Zugspitze und dem dortigen Umweltforschungsstation Schneefernerhaus signalisierte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Markus Söder im September 2019, das Klimathema ernstzunehmen; Foto: Bayerische Staatskanzlei
"Ohne ideologische Scheuklappen" haben Sie eben gesagt. Ideologie mögen die Konservativen nicht, aber was ist Konservatismus dann?
Ich würde sagen, es ist eine Welthaltung. Konservative sind skeptisch gegenüber Ideologien in Form von geschlossenen Theorien, weil Konservative wissen, wie widersprüchlich die Dinge in sich sind – und auch, wie wandelbar sie sind.
Wie wehrt man sich als Konservativer gegen den Vorwurf, beliebig zu sein, wenn man seine Position im Lauf der Zeit immer mal wieder ändert?
Indem man sagt, ja, das stimmt. Aber die Positionen immer wieder an veränderte Realitäten anzupassen – und damit wird umgekehrt ein Schuh draus –, bewahrt Konservative vor Rigorismus und Unbedingtheit. Wer heute noch dasselbe denkt wie vor 50 Jahren, egal ob als Sozialist oder Konservativer, ist nicht mehr à jour. Und ich finde, dass in dieser Gelassenheit auch den eigenen Positionen gegenüber letztlich sogar der Kern der Menschenfreundlichkeit von konservativem Denken steckt.
Die CDU betont in ihrem Grundsatzprogramm eine wertkonservative Haltung. Diese Werte müssen doch einen gewissen Ewigkeitscharakter haben.
Ich sage es immer so: Es gibt ewige Werte, aber die sind nicht spezifisch konservativ, und es gibt konservative Inhalte, die sind aber nicht ewig. Die Werte sind zum Beispiel Anstand, Berechenbarkeit, Zuverlässigkeit, Nächstenliebe. Das Menschenbild der Person oder die Vorstellung des Menschen als Person mit Menschenwürde.
"Es gibt ewige Werte, aber die sind nicht spezifisch konservativ, und es gibt konservative Inhalte, die sind aber nicht ewig"
Am Ende des Tages können Sie auch sagen, es sind der kategorische Imperativ oder die goldene Regel. Alles das ist überzeitlich – und überparteilich. Anstand und Nächstenliebe, das können Sie ja nun beim besten Willen auch dem vehementesten Verfechter der Willkommenskultur von 2015 nicht absprechen.
Wie konnte eine konservative Partei, die Ideologien ablehnt, in den 1970er-Jahren in eine "völlig ideologisierte Debatte über die Kernenergie" geraten? Und dann aus ihrer Ferne zu den Umweltthemen bis heute nicht herausfinden?
Vonseiten der Anti-Atomkraft-Bewegung ist die Debatte als Auseinandersetzung gegen die moderne Industriegesellschaft geführt worden. Und die CDU hat in diesem Protest einen Anschlag auf die Grundlagen der Bundesrepublik mit ihrer Wirtschaftsordnung als Industriegesellschaft gesehen.
Zumindest in der Analyse, worum es ging, waren beide Seiten dann ja fast einig. Es wurde vielleicht jeweils ein wenig hoch gehängt.
Deswegen ist diese eigentlich sehr technische Frage der Energiegewinnung zu einer Diskussion geworden, die mit aller gesellschaftlichen und auch physischen Härte ausgetragen worden ist, wenn sie an die gewaltsamen Demonstrationen in Brokdorf oder in Gorleben denken.
Und an die Polizeieinsätze mit Wasserwerfern und Schlagstöcken.
Richtig. Was die CDU darüber verloren hat, ist der Zugang zu demjenigen Teil der Umweltbewegung, der grundsätzlich christdemokratisch ansprechbar ist. Das begann bei den badischen Winzern in Wyhl. Dort wollte die CDU in der Zeit von Hans Filbinger mit einem technokratischen Konservatismus unbedingt ein Atomkraftwerk durchsetzen, und hat den bürgerlichen Protest dagegen gar nicht verstanden.
In den 1980er Jahren verkörperte Klaus Töpfer den grünen Teil der CDU; Foto: Konrad-Adenauer-Stiftung
Und darüber ist der CDU eine Klientel verloren gegangen, die heute repräsentiert wird in einer Person wie Winfried Kretschmann, dem grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg. Wenn Sie Kretschmann erleben, der wäre Eins zu Eins kompatibel mit einer christdemokratischen Politik. Hinter ihm und der CDU liegt die Geschichte dieser Auseinander-Entwicklung seit den späten 1970er-Jahren.
Wenn jemand von links auf die Konservativen schaut, dann kommt oft der vielleicht naive, vielleicht auch hämische Gedanke, dass Konservatismus doch etwas mit dem Erhalten der natürlichen Lebensgrundlagen zu tun haben müsse, und dass das evidenterweise nicht passiere. Das ist natürlich polemisch. Aber was genau ist daran falsch?
Diese Kritik und diese Problem-Diagnose treffen schon zu. Wenn man sagt, dass Konservative sich beim Thema Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen – christlich formuliert: der Schöpfung – eigentlich ein bisschen nonchalant zurückgehalten und keine zukunftsorientierten Lösungsansätze entwickelt haben, ist das schon richtig.
Gehört zur Skepsis gegenüber Unbedingtheit auch der als politische Waffe vorgetragene Zweifel an den Feststellungen der Wissenschaft? Ist das eine Perversion des Gedankens, den Sie geäußert haben, oder eine notwendige Folge?
Konservatives Denken setzt auf Skepsis und Realismus, aber weder auf Unbedingtheit noch auf Ignoranz. Es gibt die Ignoranz derer, die sagen, das sind alles Fake News der Wissenschaft. Mit dieser Ignoranz kann man sich verantwortungsvollerweise nicht gemein machen. Es gibt auf der anderen Seite aber auch die Unbedingtheit, die Sie am deutlichsten manifestiert finden in Greta Thunbergs Ausspruch: Ich will, dass ihr in Panik geratet. Das kann eine 16-jährige Aktivistin sagen, aber dass man sich das zum politischen Motto macht, werden Sie als Konservativer für politisch verantwortungslos halten.
Dieses Zitat mit der Panik wird ja gern genommen, aber die ganze Bewegung und Greta Thunberg selbst sagen auch: Nehmt die Wissenschaft ernst, und gebt euch Regeln, die damit im Einklang stehen.
Wissen Sie, von der Wissenschaft zu sprechen, macht mich als Historiker und als Wissenschaftler – ich bin ja auch einer – sehr skeptisch. Ich bin weit entfernt von jeder Ignoranz, und die Plausibilität des anthropogenen Klimawandels erscheint mir absolut hoch genug, um daraufhin entschieden zu reagieren. Aber die Rede von der Wissenschaft unterschätzt die Vielfältigkeit von Wissenschaften ganz eminent. Das ist eine Anmaßung von Wahrheit, die der Komplexität von Wissenschaften selbst im Bereich des Klimas widerspricht.
"Es gibt die Ignoranz derer, die sagen, das sind alles Fake News der Wissenschaft. Mit dieser Ignoranz kann man sich verantwortungsvollerweise nicht gemein machen"
Man muss sich ja mal die Vorgeschichte anschauen. Die Wissenschaftler in der Klimaforschung sind vor allem in den USA und in Großbritannien sehr stark unter Druck geraten, teilweise gemobbt worden, und haben sich unter diesem Druck andere Kommunikationsstrategien zurechtgelegt. Sie haben formuliert, dass es einen Konsens über die Grundfragen ihrer Disziplin gibt. Diese Sprechweise ist also eine Folge der ständigen Angriffe, die auf Wissenschaftler niedergegangen sind aus dem vermeintlich konservativen, in Wirklichkeit aber libertären Lager in den USA. Und dafür werden Forscher und Aktivisten nun wieder von den ehrlichen Konservativen kritisiert.
Das ist eine Frage von Henne und Ei. Hat sich die Klimaforschung radikalisiert, weil sie so kritisiert worden ist, oder hat sich die Kritik radikalisiert, weil die Klimawissenschaft immer absoluter aufgetreten ist?
Die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes von der Harvard University hat genau dieses Muster von Angriffen gegen die Wissenschaft als wiederkehrendes Element durch die Jahrzehnte verfolgt, angefangen beim Passivrauchen in den 1960er-Jahren.
Und umgekehrt ist das 20. Jahrhundert voll von verabsolutierten Geltungsbehauptungen von Wissenschaftlern und Experten, von der Eugenik bis zur autogerechten Innenstadt, bei denen einen im Rückblick schaudert.
Jetzt relativieren Sie aber.
Ich würde sagen: das ist erfahrungsbasierter Pragmatismus. Und tiefe Skepsis gegenüber der Anmaßung von Wahrheit. Schauen Sie, die Debatte um das Waldsterben in den Achtzigern hatte eine völlig überzogene wissenschaftliche Kommunikation zur Voraussetzung. Zugleich hat man mit Katalysatoren und Entschwefelungs-Anlagen reagiert. In den 1990er-Jahren stand der Wald dann wieder deutlich besser da als ursprünglich erwartet, und man wusste hinterher nicht, ob die Prognosen falsch gewesen waren oder die Maßnahmen gegriffen hatten.
Ich finde, es ist eine interessante Analogie zur heutigen Situation, weil man sagen kann: Egal, es war richtig diese Maßnahmen zu ergreifen. Und heute: Wir lassen uns nicht auf diese Fünf-vor-zwölf-Panik ein. Aber es gibt allen guten Grund, klimapolitisch sehr viel aktiver zu werden, als wir es bisher waren.
Das Gespräch führte Christopher Schrader
Der Text erschien zuerst im Online-Magazin KlimaSocial auf riffreporter.de und wurde hier leicht gekürzt
Porträtfoto Andreas Rödder: Verlag C.H. Beck/Christoph Mukherjee