Wenn jeweils im November oder Dezember irgendwo auf der Welt der jährliche UN-Klimagipfel stattfindet, dann schauen die Medien hin: Großerereignisse generieren generell Medienaufmerksamkeit, das gilt für den Klimawandel wie für andere Themen. Und die Gipfeltreffen der UN-Klimadiplomatie schaffen es - wie auch andere politische Ereignisse - besonders erfolgreich, die Aufmerksamkeit von Journalistinnen und Journalisten auf den Klimawandel zu lenken. So sorgte der Kopenhagener Klimagipfel 2009 für ein Allzeithoch, ergab eine Analyse von Forschern der US-amerikanischen University of Colorado, auch der Gipfel von Paris 2015 führte zu breiter Berichterstattung.
Die Inhalte von Berichten zum Pariser Gipfel hat jetzt ein Team aus drei Politikwissenschaftlerinnen der Brown University in Providence im US-Bundesstaat Rhode Island untersucht - und ihr Urteil ist nicht sehr schmeichelhaft: "Ein Großteil der Berichterstattung ließ das Publikum mit wenig Verständnis der zahlreichen Themen der Konferenz zurück. Dies gilt insbesondere für Themen, die eine hohe Priorität für Entwicklungsländer besitzen", so das Fazit der Arbeit, die im Fachjournal Climatic Change erschienen ist.
Fast 2600 Artikel von Medien aus 13 Ländern ausgewertet
Für seine Untersuchung wertete das Team um Sonya Gurwitt vom Climate and Development Lab der Brown University fast 2.600 Artikel aus, die während der Paris-Konferenz Ende 2015 in führenden Printmedien oder ihren Online-Ausgaben in 13 Ländern erschienen. Die Stichprobe umfasste Medien aus vier Industriestaaten (Australien, Frankreich, Großbritannien, USA) und neun Schwellen- oder Entwicklungsländern (Bangladesh, Bolivien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Nigeria, Südafrika und Vereinigte Arabische Emirate). Einbezogen wurden Nachrichten und Berichte, nicht jedoch Leitartikel oder Kommentare. Alle Texte wurden sodann danach ausgewertet, welche Themen und Aspekte sie im Einzelnen behandelten.
Mit Abstand die meisten der fast 2.600 ausgewerteten Berichte konzentrierten sich auf den Stand der Verhandlungen ("Updates") - die vier nächsthäufigen Themen waren Folgen des Klimawandels, Aktivitäten der Zivilgesellschaft (etwa Proteste großer Umweltverbände wie Greenpeace oder WWF), Minderung von Treibhausgasen und Aktivitäten von Prominenten (z.B. wichtigen Politikern); Grafik: Gurwitt et al. 2017
Die meisten Texte befassten sich - wenig überraschend für Berichte zu einer Konferenz - mit dem Fortgang der Verhandlungen, also beispielsweise den verschiedenen Entwürfen für das Abschlussdokument. Dabei habe es jedoch, kritisierten die Forscherinnen, an tiefergehenden Analysen gefehlt; zum Beispiel seien häufig nur Statements von bekannten Spitzenpolitikern referiert worden. Etliche Medien berichteten über Themen mit Bezug zu ihren Heimatländern, also beispielsweise brasilianische Zeitungen über den Schwund tropischer Regenwälder. Solche Ergebnisse bestätigen den bekannten Befund der Kommunikationsforschung, dass journalistiche Berichte stark von "Nachrichtenfaktoren" wie Nähe geprägt werden, dass also beispielsweise solche Ereignisse eine Nachricht für Medien sind, die nah an ihrem Publikum stattfinden. Auch frühere Studien schon, etwa von Maxwell und Jules Boykoff (2007) hatten ergeben, dass sich problematische journalistische Tendenzen zu Dramatisierung, Personalisierung oder einer unangemessenen Aufwertung von Außenseiter-Positionen ("false balance") auch in Klimaberichten fanden oder finden - mit teils schwerwiegenden Folgen.
Auch Medien aus Entwicklungsländern folgen jenen der Industriestaaten
Auffällig sei jedoch, dass generell solche Themen die Berichterstattung dominierten, in denen sich die Perspektive der Industriestaaten spiegelte. So waren Emissionsminderungen ("mitigation"), die vor allem in den reichen Ländern stattfinden sollen, das vierthäufigste Thema überhaupt - Verhandlungen über Finanzhilfen hingegen, die den Entwicklungsländern besonders wichtig sind, rangierten mit Rang 10 relativ weit hinten. Interessanterweise fand sich diese Schwerpunktsetzung nicht nur für die Medien der Industrie-, sondern auch der meisten anderen Staaten (nur in Bangladesh und Nigeria schaffte es das Thema Finanzen in die Top 5). Anscheinend orientieren sich selbst Journalisten aus Schwellen- und Entwicklungsländern an Themenprioriäten der Industriestaaten und ihrer (Leit-)Medien - und missachten damit beispielsweise den Nachrichtenfaktor "Nähe".
Dieses Muster fand sich auch bei anderen Themen: Die Anpassung an den Klimawandel, für viele Entwicklungsländer extrem wichtig, schaffte es nicht in die Gesamt-Top-10 (lediglich in Bangladesh und Indien waren sie unter den zehn wichtigsten Themen). Auch die Grundidee der Klimagerechtigkeit - also dass Industriestaaten wegen ihrer historisch höheren Emissionen heute eine höhere Verantwortung fürs Klima haben - rangierte nur auf Rang 9 der Gesamtliste (größeren Raum nahm sie nur in Medien in Indien, China und den Vereinigten Arabischen Emiraten ein). Oder: Spitzenpolitiker aus Industriestaaten wurden von auch in Medien der anderen Länder zitiert, Politiker aus Entwicklungsländern hingegen fast nie von Medien der Industriestaaten.
Wie international war der Blick der verschiedenen Medien? Wie sehr schauten sie auch in andere Länder? Berichte über Industriestaaten, Schwellen- und Entwicklungsländern nahmen in den einzelnen Ländern sehr ungleichen Raum ein - am ausgewogensten war das Verhältnis in den untersuchten französischen Medien (sechster Balken von links). Die farbigen Balken geben die Prozentwerte an, die Ziffern in den Balken die jeweils absolute Zahl der Berichte; Grafik: Gurwitt et al. 2017
Und auf noch eine bemerkenswerte Diskrepanz in der Berichterstattung weist das Forschungsteam hin: Wenn über Folgen des Klimawandels geschrieben wurde, dann meist über Auswirkungen auf die Umwelt (etwa steigende Meeresspiegel). "Wenig ging es darum, wie solche Umweltveränderungen sich auf Menschen auswirken werden (etwa auf Ernteerträge)", so die Autorinnen - die existenzielle Bedrohung, die der Klimawandel in den Entwicklungsländern darstellt (etwa durch das Risiko von Hungerkrisen), komme dadurch insgesamt zu kurz.
Die Berichterstattung zum Pariser Gipfel, so das Fazit der Studie, "beschränkte sich auf ein begrenztes Spektrum von Themen und spiegelte die Tiefe, Breite und Komplexität der Verhandlungen nicht wieder". Artikel seien "simplifizierend und sensationalisierend" gewesen, die gesamte Konferenz "reduziert auf wenige Reden und Ereignisse". Prioritäten der Schwellen- und Entwicklungsländer waren grundsätzlich unterrepräsentiert. "Anpassung [an den Klimawandel] ist ein zentrales Thema des Paris-Abkommens, und seine Feinheiten wurden während der Konferenz heiß debattiert - trotzdem fanden wir weniger als zehn von mehr als 2500 Artikeln, die sich auf dieses Thema konzentrierten."
Toralf Staud