Lisa Badum, 35, hat in Bamberg Politikwissenschaften studiert, danach arbeitete sie als Referentin für einen bündnisgrünen Bundestagsabgeordneten sowie fünf Jahre für den Öko-Energieversorger Naturstrom. Seit langem engagiert sie sich in der Kommunalpolitik, ist unter anderem Kreistagsabgeordnete im oberfränkischen Forchheim. Seit 2017 sitzt sie für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und ist klimapolitische Sprecherin ihrer Fraktion.

 

"Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt" - dieser Slogan zierte das Wahlplakat der GRÜNEN zur Bundestagswahl 1983. Im selben Jahr bin ich geboren, und die Aussage ist für mich noch heute aktuell. Der Kerngedanke des umfassenden Umweltschutzes basierend auf dem Grundwert einer globalen Generationsgerechtigkeit prägt mein politisches Handeln. An diesen urgrünen Werten hat sich auch nichts geändert - ebenso wenig an der Bedeutung des Themas.

Andere Dinge jedoch haben sich seit dem Plakat von 1983 grundlegend verändert: Die wissenschaftliche Faktenlage zur menschengemachten Klimakrise heute ungleich breiter, zahlreiche Menschen spüren bereits die Folgen der Erderhitzung, und die Bevölkerung räumt dem Thema Klimaschutz eine hohe Relevanz ein. Fakt ist, dass es nicht an Forschungserkenntnissen mangelt, wenn es um die Entstehung und Auswirkungen der Klimakrise geht. In den vergangenen Jahren ist auch klargeworden: Der Eisbär stirbt am fernen Nordpol – vor unseren Augen aber sterben die Bienen, und die Rote Liste der gefährdeten Pflanzen und Tierarten wird auch durch heimische Arten immer länger.

"Die Klimakrise ist nicht mehr unsichtbar und vermeintlich weit entfernt – das Weggucken wird schwieriger und der Appell an unsere moralische Verantwortung lauter"

Ganz konkret spüren die Menschen seit etwa 20 Jahren die ersten Vorboten der Klimakrise. Die sich häufenden Unwetterkatastrophen, wie die Orkane Xavier (2016) und Friederike (2018), die "Jahrhundertfluten" (2002 und 2013) und unzählige Starkregenereignisse oder etwa der Dürresommer in diesem Jahr, sind nur einige Beispiele für ein globales Phänomen. Gesellschaften und politische Systeme werden weltweit durch die Klimakrise unter Druck geraten, was bestehende soziale Ungleichheiten und Spannungen verschärft und Verteilungskonflikte, bewaffnete Auseinandersetzungen und Fluchtdynamiken befeuert. Die Klimakrise ist nicht mehr unsichtbar und vermeintlich weit entfernt – das Weggucken wird schwieriger und der Appell an unsere moralische Verantwortung lauter.

Eines der Plakate, mit denen die Bündnisgrünen 2017 in den Bundestagswahlkampf zogen; Quelle: Bündnis 90/Die Grünen

Ganz klar zeigt sich nun ein weiterer Grundwert grüner Politik: die vorausschauende Ehrlichkeit und standhafte Glaubwürdigkeit. Nicht erst seit dem Hitzesommer 2018 verweisen Grüne auf die weitreichenden Folgen des Klimawandels für unsere Landwirtschaft und Ernährungsgrundlage (welche durch eine nachhaltige Agrarpolitik immerhin begrenzt werden könnten). Nicht erst seit Fukushima sprechen wir von der gefährlichen Atomtechnologie und fordern den konsequenten Umstieg auf saubere Energiequellen wie Sonne und Wind. Und nicht erst seit dem "Dieselgate"-Skandal vor drei Jahren sind wir Lobbyist*innen für grüne, lebenswerte Städte mit einem nachhaltigen Mobilitätskonzept, welches die Gesundheit und die Bedürfnisse aller Stadtbewohner*innen in den Blick nimmt und die Lebensqualität durch stressfreie, klimaschonende und leise urbane Mobilität erhöht.

Wir Bündnisgrüne benennen die klimapolitische Wirklichkeit und die weitreichenden Folgen. Mit der derzeitigen Klimapolitik  - in Deutschland und weltweit - sieht es hingegen düster aus. Gemeinsam steuern wir auf eine "Heißzeit" zu. Die menschenbedingte Erderhitzung um mehr als zwei Grad Celsius würde eine selbstverstärkende Kettenreaktion der globalen Erhitzung in Gang setzen, deren Folgen nicht mehr vorhersehbar sind, geschweige denn kontrollierbar. Was wir indes noch kontrollieren und damit beeinflussen können, ist der Ausstoß von Treibhausgasen insgesamt. In dieser Situation hilft es allerdings auch nicht, den moralischen Zeigefinger zu erheben und mit Verhaltenstipps um sich zu werfen. Dies löst bei den Adressat*innen zumeist nur Schuldgefühle und Abwehrreflexe aus, die wir für einen ambitionierten Klimaschutz nicht gebrauchen können. Das gilt für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für Abgeordnete anderer Parteien.

Darum bin ich der Überzeugung, dass wir neben Moral und Vernunft auch eine Vision brauchen. In der heutigen Zeit ist es wichtiger denn je, klar Kante gegen rückwärtsgewandte, rechtsnationale, faktenverweigernde Populist*innen zu zeigen. Die Antwort darauf darf nicht sein, die liberalen, demokratischen Grundwerte in Frage zu stellen und sich im populistischen Netz zu verfangen, welches rechte Kräfte auswerfen.

"Neben Moral und Vernunft brauchen wir auch eine Vision. Heute ist es wichtiger denn je, klar Kante zu zeigen gegen rückwärtsgewandte, rechtsnationale, faktenverweigernde Populist*innen"

Die Antwort muss ein Gegenmodell sein – eine Vision, die Zuversicht, Kreativität und vor allem Mut abverlangt. Dazu zählt, die politische Wirklichkeit zu benennen und diese kritisch zu hinterfragen. Sich dabei selbst zu reflektieren und die eigenen Positionen auf den Prüfstand zu stellen, gehört für mich ebenfalls für eine lebendige demokratische Partei dazu. Darum erarbeiten wir gerade ein neues Grundsatzprogramm für eine Vision von morgen. Zugleich ist dieser Prozess mit einer Einladung verbunden. Eine Einladung an Andere zu partizipieren, Ideen einzubringen und die Last der Klimawende auf viele Schultern zu verteilen.

Indem die Menschen mitgestalten und Teil des Projekts "CO2-neutrale Gesellschaft" sind, schaffen wir mehr und mehr Leute von ambitioniertem Klimaschutz zu überzeugen. Denn Klimaschutz verbessert den Alltag der Menschen dauerhaft, und bereits durch kleine Veränderungen werden die Vorteile spürbar. Die Luftqualität in Städten beispielsweise wirkt sich auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen in den urbanen Zentren aus - Grünflächen und bautechnische Luftschneisen tragen hier zu Verbesserungen bei. Der Öffentliche Nahverkehr wird auch für den ländlichen Raum ein Erlebnis, wenn er durch eine dichte Taktung mit der individuellen Mobilität verbunden ist und eine preiswerte Alternative zum Auto darstellt.

"Klimaschutz verbessert den Alltag der Menschen dauerhaft, und bereits durch kleine Veränderungen werden die Vorteile spürbar"

In dieser Verbindung des klimapolitisch Notwendigen mit Maßnahmen, die spürbar die Lebensqualität verbessern, sehe ich die Chance den unabwendbaren, tiefgreifenden Transformationsprozess gemeinsam zu gestalten, anstatt diesen zu verwalten. Denn das Klimaziel ist spätestens seit Paris 2015 klar. Allein über den Weg dahin lässt sich streiten. Doch die Zeit drängt. Denn zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass wir die erste Generation sind, welche die Klimakrise hautnah spürt und zugleich die letzte sein werden, die aktiv etwas dagegen tun kann.

Unsere Gesellschaft steht vor der historischen Herausforderung, die Erderhitzung weit unter zwei Grad zu stoppen, und wir halten eine immense Verantwortung in unseren Händen. Es muss klar sein, dass wir mit kleinen Einschränkungen heute die Handlungsoptionen von morgen bewahren. So werde ich, vertrauend auf die urgrünen Grundwerte der ökologischen Gerechtigkeit, der vorausschauenden Ehrlichkeit, der glaubhaften Standfestigkeit, umrahmt von einer vernunftbasierten Vision und ausgehend von einer mutigen und demokratischen Partizipation im Hier und Jetzt dafür kämpfen, dass in 30 Jahren auf den Grünen Wahlplakaten steht: "Zielgerade Paris - mit Grün die letzten Meter der Klimaschutzziele erreichen".

Außerdem ist in dieser Artikel-Serie erschienen:
Teil 1 - Lukas Köhler (FDP)
Teil 3 - Georg Nüßlein (CDU/CSU)
Teil 4 - Carsten Träger (SPD)
Teil 5 - Anja Weisgerber (CDU/CSU)