Wie können Informationen zur Erderhitzung ansprechend, allgemeinverständlich und zugleich innovativ visualisiert werden? Diese Frage stellte der Wettbewerb "Vis for Future", den kürzlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des "Urban Complexity Lab" (UCLAB) der Fachhochschule Potsdam ausgerufen haben. Anlass für die Aktion war die globale Klima-Aktionswoche Ende September. Die meisten der rund 50 Einreichungen kamen aus Großbritannien, Deutschland und der Schweiz, am Ende bewertete eine 20-köpfige internationale Jury die eingereichten Arbeiten.
Das UCLAB befasst sich mit der Entwicklung neuartiger Darstellungen und Visualisierungen von Städten und urbanen Räumen und kooperiert unter anderem mit dem Geodatendienst HERE, einem Gemeinschaftsunternehmen deutscher Automobilhersteller. "Wir wollten mit unserem Wettbewerb die ganze Bandbreite an aktuellen Visualisierungsprojekten zeigen", erklärt Jonas Parnow, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am UCLAB unter anderem zu Datenvisualisierung forscht. "So können Wissenschaftler, Grafiker, Journalisten und Künstler voneinander lernen und in Dialog kommen." Jede Einreichung, betont er, habe von der Jury ein persönliches Feedback mit konstruktiver Kritik erhalten.
Viele wissenschaftliche Grafiken sind abstrakt und wenig einladend
Visualisierungen von Wissenschaftlern, sagt Parnow, seien oftmals abstrakt geblieben und weniger einladend gestaltet. Gleichzeitig jedoch verfügten Forscherinnen und Forscher über Erkenntnisse, die an die Öffentlichkeit gebracht werden müssten. Für die Kulturwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des UCLAB Viktoria Brüggemann ist deshalb klar: "Die größte Arbeit, die vor uns liegt, ist es, uns Gedanken zu machen, wie wissenschaftliche Erkenntnisse veranschaulicht werden können." Eine zentrale Frage sei zum Beispiel, ob und wie man mit Daten einen persönlichen, lokalen Bezug zum Klimawandel herstellen könne.
Brüggemann hat ein paar Ratschläge für bessere Grafiken: Wichtig sei beispielsweise, sich schon bei der Konzeption einer Grafik zu überlegen, was bestimmte Visualisierungen bei den Betrachtern auslösen können. So könne die Farbkodierung bestimmte Assoziationen oder Emotionen auslösen: Rot etwa als Signalfarbe habe auch eine symbolische Bedeutung. Werde es ständig in Klimagrafiken verwendet, könne als Dramatisierung wahrgenommen werden - und beim Betrachten eventuell Resignation auslösen.
Wir zeigen im Folgenden die drei Gewinner-Grafiken und zwei weitere eindrucksvolle Visualisierungen, das gesamte Teilnehmerfeld finden Sie hier. Dort kann man auf eine spannende visuelle Erkundungstour gehen - auf denen es unter anderem ein (nicht mehr sehr) eisbedecktes Europa, eine Temperaturkurve aus Lego-Steinen und kriechende Schleimschnecken zu entdecken gibt.
Das Team des UCLAB hat bereits angekündigt, im kommenden Jahr eine neue Runde des Wettbewerbs zu starten.
Gewinner 1: Ein Infografik-Ausmalbuch
Das Ausmalbuch The Infographic Energy Transition Coloring Book des Ellery Studio ist in Zusammenarbeit mit dem Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität entstanden. Es enthält Infografiken, die Kinder (aber auch Erwachsene!) dazu einladen, sich spielerisch mit der Energiewende zu beschäftigen - und beim Ausmalen sich besonders intensiv mit den Inhalten zu beschäftigen. Gezeigt wird unter anderem, wie die Energiewende funktioniert und wie jede/r darauf Einfluss nehmen kann. Die Design-Agentur Ellery Studio mit Schwerpunkt auf visuelle Gestaltung und kreatives Lernen wurde in New York gegründet und zog 2013 nach Berlin. Sie gewann in der Wettbewerbskategorie "Unabhängige Projekte".
Zitat aus der Jurybewertung: "Es gibt keinen besseren Weg, um Kinder für den Klimawandel zu engagieren, als sie in den Grafiken zeichnen zu lassen."
Gewinner 2: Versinkende Städte
Sieger in der Kategorie "Journalismus" wurde der Artikel The three-degree world: the cities that will be drowned by global warming von Josh Holder, Niko Kommenda und Jonathan Watts. Er erschien im November 2017 in der britischen Tageszeitung The Guardian und schildert eindrücklich die Folgen steigender Meeresspiegel für Städte. Illustriert wurde der Beitrag mit mehreren Visualisierungen für die am stärksten bedrohten Mega-Cities.
Zitat aus der Jurybewertung: "Sehr effektiv und persönlich, sehr animierend. Die Visualisierungen sind spezifisch, werden von verständlichen Fragen geleitet und mit Quellen und Berichten klar belegt."
Gewinner 3: Ed Hawkins' "Warming Stripes"
Die sogenannten "Erwärmungsstreifen" des britischen Klimaforschers Ed Hawkins sind den Leserinnen und Lesern von klimafakten.de bereits bekannt, wir haben mehrfach darüber berichtet und im Juli 2018 gemeinsam mit Hawkins die ersten "Warming Stripes" für Deutschland erstellt. Die Grafiken zeigen, wie sich die Jahresdurchschnittstemperaturen - im globalen Durchschnitt, für Kontinente oder Länder oder auch einzelne Orte - verändert haben: Jeder Streifen repräsentiert ein Jahr, mit Blautönen für kühlere Jahre und Rottönen für heißere Jahre. Auf einer simpel zu bedienenden Website kann man sich inzwischen Klimastreifen in Sekundenschnelle generieren, die Streifengrafiken sind längst zu einer Ikone geworden, zieren Pullis, Schals, Krawatten und viele andere Utensilien.
Zitat aus der Jurybewertung: "Ob global oder lokal - die Klimastreifen haben es geschafft, durch ihr innovatives, minimalistisches Design eine Wirkung zu entfalten und eine immer noch dringende Botschaft anschaulich zu vermitteln."
Die Flut der Kaffeebecher
Rund 2,8 Milliarden Einwegbecher landen jedes Jahr in Deutschland im Müll. Diese Visualisierung zeigt anschaulich mit Hilfe eines einfachen Zählers und fliegenden Plastikbechern, wie viele Becher in Deutschland weggeworfen wurden, seit man die Webseite mit der Grafik aufgerufen hat. Die Grafik von Paul Blickle und Julian Stahnke illustrierte im Februar 2019 einen Zeit Online-Artikel mit dem Titel Die Psychologie des Kaffeebechers.
Energiewende auf Britisch
Zu den politischen Infografiken aus dem journalistischen Bereich gehört "The Power Switch". Sie zeigt, welchen Anteil die Kohle an der britischen Stromerzeugung hat. Die Grafik stammt ebenfalls aus dem Guardian und wurde im Mai 2019 veröffentlicht, um den bis dahin längsten "kohlefreien Lauf" des Landes seit der industriellen Revolution zu zeigen. Seither wird sie fortlaufend mit Zahlen des ehrenamtlich betriebenen Projekts Gridwatch aktualisiert.
Die Zahl der "kohlefreien Tage" erwies sich als effektives Mittel, eine Debatte über die größeren Veränderungen im Energiesektor und die Dekarbonisierung in hoch entwickelten Volkswirtschaften anzustoßen. Die Grafik ist unübersehbar von Ed Hawkins' "Warming Stripes" inspiriert.
Christiane Schulzki-Haddouti