Cedric Röhrich ist Schüler, aktiv bei  #FridaysForFuture und Mitglied der Christlich Demokratischen Union Deutschlands im Kreisverband Kleve und im Gemeindeverband Kerken (Nordrhein-Westfalen). Seit Dezember 2019 ist er zudem im Landesvorstand NRW der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen aktiv und leitet das Team der UNICEF-Jugend am linken Niederrhein.

 

Abrupt kam der glänzende Fahrstuhl des Düsseldorfer Polizeipräsidiums zum Stillstand. Die Türen öffneten sich wie eine polarisierte Gesellschaft: die eine Hälfte nach links, die andere nach rechts. Ich mühte mich, selbstsicher auszusehen – trotzdem schritt ich mit einem Hauch von Nervosität aus dem Aufzug, durch einen viel zu kleinen Flur, direkt hinein in das größte Besprechungszimmer, das ich bisher von innen sehen durfte. Während ich meinen Schulrucksack absetzte und konzentriert darauf achtete, keinen Schusselfehler zu begehen, nahmen mir gegenüber auf der anderen Seite des ellenlangen Tisches vier Polizisten Platz.

Auf meiner Seite des Tisches war: nur ich. An diesem Nachmittag im Frühsommer 2019 – also vor gut einem Jahr – wollte ich als Vertreter der damals noch sehr jungen #FridaysForFuture-Bewegung eine Demonstration in der Landeshauptstadt des bevölkerungsreichsten Bundeslandes anmelden.

"Fridays for Future sensibilisiert mich – und die Massen"

Klimawandel und Klimaschutz stünden doch schon ausreichend im Fokus der Öffentlichkeit, hatte damals ein mir bekannter Kreisverband der Jungen Liberalen geurteilt. Die Realität sah meines Erachtens deutlich anders aus: Erst die Bewegung der aufgewühlten, politisch interessierten Schülerinnen und Schüler war es, die zu Tausenden die Klima-Thematik in die unmittelbare Wahrnehmung der Gesellschaft brachte – und vor Zeiten der COVID-19-Pandemie sogar als aktuell wichtigstes Thema schlechthin. Das Verdienst von #FridaysForFuture darf folglich auf keinen Fall diskreditiert werden – auch nicht durch einzelne radikale Taten oder mit Verweis auf angeblich ähnliche Bewegungen. Ich bin froh darüber, Teil dieser friedlichen Bewegung sein zu dürfen – und zwar seit dem Februar 2019 an durchaus verantwortlicher Stelle. Damals initiierte ich die allererste #FFF-Demonstration am gesamten Niederrhein und damit auch die Ortsgruppe Kleve.

Zum Beginn des Sommers 2019 kam mir dann die Idee eines größeren Die-In [Anm. d. Red.: darunter versteh man ein plötzliches Hinlegen von Personen in der Öffentlichkeit zum Symbolisieren eines lebensgefährlichen Sachverhaltes]. Die Aktion sollte landesweit stattfinden, und ein Knotenpunkt in Nordrhein-Westfalen musste her: Düsseldorf lautete die Antwort. In enger Kooperation mit den Aktiven vor Ort meldete ich die Aktion letztlich an – jedoch war ich zum Großteil auf mich allein gestellt, denn auch in Düsseldorf hatte #FridaysForFuture alle Hände voll zu tun.

Die Polizei in Düsseldorf erlebte ich an diesem Tag exakt wie zuvor schon in meiner Heimatstadt Kleve: freundlich und strikt professionell (der einzige kleine Makel in dieser strikten Professionalität bestand vielleicht in ihrer überaus großen Hilfsbereitschaft). Letztlich verhandelten wir – ein 16-jähriger Schüler und die Polizei der Landeshauptstadt Düsseldorf – auf scheinbarer Augenhöhe über den Schauplatz der Demonstration und die behördlichen Auflagen, etwa zu Mindestabständen und maximal erlaubter Teilnehmerzahl (in diesem Fall hundert Personen).

Das Ergebnis ließ sich sehen, etwa zwei Wochen später fand ein Die-In von hundert Menschen vor dem Düsseldorfer Hauptbahnhof statt – wobei selbstverständlich darauf geachtet wurde, dass kein Fahrgast von den Demonstranten am Erreichen seinen Zuges gehindert wurde.

Monate vorher wäre für mich eine solche Aktion noch undenkbar gewesen. Natürlich, die Umwelt war mir schon immer wichtig – aber faktisch passierte es mir durchaus mal, dass ich zum Beispiel die Verpackung eines Schokoriegels achtlos auf einer Wiese liegenließ. Auch Klimaschutz war mir selbstverständlich stets ein Begriff – doch ich gebe zu, wirklich präsent ins Bewusstsein rückte er erst Anfang vergangenen Jahres.

"'Christdemokratischer Klimaschutz' ist eigentlich ein Pleonasmus"

Bei meiner ersten #FridaysForFuture-Demo im Februar 2019 (der zweiten Aktion der Bewegung überhaupt in Nordrhein-Westfalen), hätte ich mich selbst weder als Aktivist noch als Klimaschützer bezeichnet. Eher war ich ein Neugieriger, der interessiert die Transparente anderer Demonstranten anschaute, sich von den Sprechchören der Masse gern mitreißen ließ – allerdings beim leisesten Aufkommen einer auch nur kleinen, einzelnen, den Anarchismus beschwörenden Stimme, sofort verstummte. Ein Neugieriger, der gern sein eher untalentiert gemaltes Plakat für einen Wechsel in der Klimapolitik hochhielt – aber in politischen Debatten ansonsten christliche, manchmal konservative, manchmal soziale und manchmal liberale Werte vertrat.

Mobilisierungsplakat der F4F-Ortsgruppe Kleve vom März 2019; Foto: F4F-Kleve

"Ansonsten"? Das Wort klingt, als passe ein Demonstrieren für stärkeren Klimaschutz nicht zum Bild eines Christdemokraten …

Dabei ist es in Wahrheit genau andersherum: Gerade der Klimaschutz trägt wichtige Linien und Farben zu besagtem Bild bei und vollendet es so: Von der Bewahrung unserer Lebensgrundlagen (unter Helmut Kohl als Bundeskanzler wurde dies 1994 als Staatsziel im Grundgesetz verankert) über die christliche Verantwortung gegenüber der Schöpfung bis hin zum Prinzip der Chancenwahrung für spätere Generationen – CDU und Klimaschutz sind eng verwachsen.

Kritiker stellen den Klimaschutz mittels Vernunft oft negativ dar im Vergleich zu einem durch Ideologie motivierten Klimaschutz. Doch ersterer ist wirklich nachhaltig, während letzterer es nur vorgibt. Christdemokratisches Handeln und Klimaschutz lassen sich also nicht voneinander trennen. Christdemokratischer Klimaschutz ist daher ein Pleonasmus: Der Sinn des einen Wortes befindet sich schon im vorherigen.

Die Splitter und Balken der Klischees

Voreingenommene Blicke gibt es auf beiden Seiten: So wie Politische Aktive aus dem bürgerlichen Spektrum oft nicht das Bild eines gemäßigten Schülers im Kopf haben, wenn sie an #FridaysForFuture-Aktivisten denken, so haben umgekehrt manche Klima-Aktivisten auch häufig nicht das Bild eines ökologischen, klimabewussten Menschen vor ihrem geistigen Auge, wenn sie sich Mitglieder der CDU vorstellen. Oft wird bei diesen Bildern pauschalisiert, Klischees entstehen, Urteile werden oberflächlich gefällt, und einzelnen auffälligen Vertreterinnen und Vertretern einer Gruppe wird von der jeweils anderen ein viel zu hoher Wert beigemessen.

Vielleicht fühlt sich ja auch manch Leserin oder Leser dieses Textes angesprochen? Um vorsichtig und respektvoll aus Matthäus Kapitel sieben, Vers drei und vier, zu zitieren: "Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge? Oder wie darfst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und siehe, ein Balken ist in deinem Auge?" Beide Seiten sollten also eigene Vorurteile zurücknehmen und Offenheit lernen.

Mir gefallen die friedlichen Demonstrationen und die stets polizeilich angemeldeten, kreativen Protest-Aktionen zusammen mit anderen Schülern und dem ein oder anderen Studenten oder Auszubildenden. Sie zeigen Wirkung – gleichzeitig aber auch nicht. #FridaysForFuture richtet sich mit dem Ruf nach mehr Klimabewusstsein ja nicht nur an die Politik, sondern ebenso an die gesamte Gesellschaft. Gemeint sind auch alle, die selbst bei #FridaysForFuture aktiv sind. Und manchmal sind Protest-Aktionen der Klimaschutzbewegung auch kontraproduktiv. Ich kann zum Beispiel bis heute nicht verstehen, warum der große Demonstrationszug in Neuss im Sommer 2019 – eine Aktion von #FridaysForFuture Niederrhein – von einem Pkw mit Verbrennungsmotor angeführt wurde...

"Unser Lebensraum muss gerettet werden – egal durch wen"

Für mich persönlich musste deshalb neben solchen Aktionen immer ein weiteres Ventil des (konkreten) Umweltschutzes her – und ich fand es am Rhein: Wo der Rhein einen Bogen zieht und den Hafen von Krefeld-Uerdingen von den Wiesen der Duisburg-Süd-Landschaft teilt, sammelt sich am Ufer auf magische Art und Weise ständig neuer Müll: Plastiktüten und -becher, Zigaretten und Kronkorken, außerdem wirklich kafkaesker Kram, zum Beispiel unangetastete, fabrikfrisch verpackte Lebensmittel oder komplett verrostete Zäune. Genau hier haben Freunde und ich einen Platz gefunden, an dem man durch kleine Reinigungseinsätze aktiv der Umwelt helfen kann – und zwar neben und ergänzend zu politischen Maßnahmen, neben sensibilisierenden Aktionen und einer Reduzierung des eigenen Konsums.

"Stehst du dann eigentlich auch mit Megafon vorn und rufst Parolen?", fragte mich mal ein anderer Christdemokrat. In seinem Gesicht zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab mit einer Mischung aus Verwirrung, Belustigung und Respekt. Eine derart aktive Teilnahme an einer Demonstration scheint für viele Christdemokraten – gerade auch konservativeren – nicht vorstellbar. Das muss es aber auch gar nicht; denn Klimaschutz hat, wie oben beschrieben, viele Gesichter. Und Protest-Aktionen sind für mich nicht das Effektivste.

F4F-Demonstration in Kleve im März 2019 - ganz links am Megaphon Cedric Roehrich; Foto: F4F-Kleve

Doch ob es nun die eine Gruppe ist oder die andere, die am meisten tut, um für uns alle den Lebensraum zu bewahren – dies sollte in der Debatte keine Rolle spielen. Im Endeffekt arbeiten wir alle zusammen bei dieser Problematik, und es wird nicht den einen einzigen "Retter" geben.

Klimaschutzpolitik in CDU-Verbänden – alt und zugleich neu

Ich konnte hautnah miterleben und deutlich bemerken, wie sich ab Frühjahr 2019 die Auslegung in Sachen Klimaschutz bei der CDU änderte. Was vor allem überdacht wurde, war die Kommunikation. Eine Volkspartei, die thematisch so breit aufgestellt ist wie die CDU, trifft beim Klimathema auf einen Adressatenkreis, der kurze, prägnante und klare Stellungnahmen sehen möchte. Doch genauso wenig, wie ich einen älteren Herrn per Brieftaube erreichen oder gar überzeugen könnte, so verfehlt eine seitenlange PDF-Datei bei den Wählerinnen und Wählern der Zukunft ihr Ziel. Aber spätestens im Sommer 2019 kam der Moment, als fast täglich neue Konten von CDU-Gliederungen auf den Social-Media-Plattformen entstanden, um neue Zielgruppen besser ansprechen zu können.

Politik ist nicht nur Bundespolitik. Politik fängt in der kleinsten Verwaltungseinheit an, unseren Kommunen. Dort, wo mein CDU-Gemeindeverband erst seit dem vergangenen Jahr stolz darauf verweist, schon immer eine nachhaltige, starke und vernünftige Umwelt- und Klimapolitik betrieben zu haben – zum Beispiel, indem schon lange Radschnellwege, E-Auto-Ladesäulen und Photovoltaik gefördert wurden. All diese Anträge und Anregungen kamen übrigens lange vor dem Aufschwung der Klimaschutz-Thematik in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Und sie entsprangen teils ganz anderen Motivationen, etwa dem Ziel einer effizienteren Energie-Nutzung. (Aber natürlich wurden unsere klimaschutz-förderlichen Initiativen seit dem vergangenen Sommer zahlreicher.)

Schaut man sich deutschlandweit um, dann sieht man sehr viele ökologisch orientierte Christdemokraten. Viele von ihnen betonten auch explizit die Wichtigkeit der Klima-Thematik (ehrlich gesagt: alle Christdemokraten, die ich kenne) – vorausgesetzt man fragt sie danach.

"Klimapolitik mit Rückgrat - die britischen Tories haben's vorgemacht"

Auch in der Bundespolitik tut sich eine Chance auf: Wenn die Phase vorbei ist, in der die Covid-19-Pandemie täglich und unausweichlich präsent ist, kann es einen Neustart in der öffentlichen Wahrnehmung geben. Als Regierungspartei könnte die CDU endlich den Ton in Sachen Klimapolitik vorgeben – und endlich regieren statt nur auf Vorschläge anderer Parteien zu reagieren. Vor anderthalb Jahren, als konstruktive Antworten auf die ersten #FridaysForFuture-Demonstrationen ausblieben, wurden viele Chancen verspielt. Es wäre töricht, den gleichen Fehler noch einmal zu begehen.

Die damalige britische Premierministern Margaret Thatcher spricht im November 1990 auf der Zweiten Weltklima-Konferenz der UN in Genf. Hinter ihr König Hussein von Jordanien (links) und der Schweizer Bundespräsident, Arnold Koller;
Foto: Keystone Pictures USA/Alamy Stock Photo

Dabei muss es kein Nachteil sein, dass Christdemokraten keine realitätsfernen Vorschläge wie die Oppositionsparteien bringen können. Die mündigen Bürgerinnen und Bürger realisieren meist schnell, ob hinter einem Vorschlag echte Nachhaltigkeit steht oder nur scheinbare. Die britischen Tories und auch einzelne CDU-Landesverbände haben an verschiedenen Stellen vorgemacht, wie eine christdemokratische Klimapolitik mit Rückgrat aussehen kann. Margaret Thatcher, die Eiserne Lady, brachte das Thema bei ihrer Wahl 1979 erst auf die nationale Bühne, und ein Jahrzehnt später donnerte sie es der Generalversammlung der Vereinten Nationen entgegen.

Was in Englands Konservativer Partei erst strittig erarbeitet wurde, später zum Beispiel von David Cameron als beachtliche Chance identifiziert wurde und dann strahlend aufging, könnten sich konservative Kräfte in Deutschland als Orientierung nehmen: Mit der Verankerung verbindlicher, jährlicher Emissionsziele oder der Idee von Flugreisen-Rationierungen (erstmals 2007 als engagiertere Option aus dem Vorschlag der erhöhten Flugverkehrssteuer hervorgegangen, stellte es das von der damaligen Labour-Regierung erarbeitete Klimaschutzgesetz in den Schatten) konnten die Tories das Thema der Klimapolitik eindrucksvoll für sich besetzen – und gewannen schließlich die britische Unterhauswahl 2010.

"Es wäre Unfug, sich beim Klima auf individuelles Handeln zu verlassen"

Da der Schutz der Umwelt auch ein gesellschaftliches Thema ist, werde ich mich jetzt wieder zum Müllsammeln aufmachen. Der Abfall muss wohl solange von den Nicht-Verursachern aus Wiese und Wasser gezogen werden, bis die wahren Erzeuger des verirrten Mülls die Bedrohung unseres Lebensraums realisiert haben. Ich selbst bin der lebende Beweis dafür, dass eine solche Einsicht möglich ist. Die gesamte Gesellschaft dorthin zu bringen, ist ein Anliegen von #FridaysForFuture.

Daraus könnte man ableiten, dass die CDU die #FridaysForFuture-Bewegung braucht – sie ihr jedenfalls nützt. Denn aktives Richtungsweisen seitens der Politik wird einfacher, wenn die Gesellschaft stärker sensibilisiert wird – sei es beim Verzicht auf Inlandsflüge, der Minderung des Fleisch-Konsums oder dem Pflanzen von Bäumen auf dem eigenen Grundstück. So gern ich es als #FridaysForFuture-Aktivist auch hätte, dass die Gesellschaft allein das Klimaproblem löst – so großer Unfug ist diese Vorstellung leider. Entscheidend ist, dass beim Klimaschutz die Industrien in die Verantwortung genommen werden. So schön das Engagement jedes Einzelnen auch ist, bringt es nämlich aus nüchtern-objektiver Perspektive herzlichst wenig.

Doch das Handeln jedes Einzelnen ist aus anderem Grunde eminent wichtig: für das Absehen der Handlungsfolgen. Jede und jeder muss in seiner ganz eigenen Lebenswelt überprüfen, ob sein Verhalten tatsächlich die gewünschten Konsequenzen erreicht – also überprüfen, ob man mehr hat als eine bloße Gesinnung, die plakatiert auf Schildern im Demonstrationszug nach oben gehalten wird und sich wohlklingend beim Brüllen und Aussprechen anhört.

Porträtfoto: Daniel Carreno