Professor Gerold Wefer steht im "Bohrkernlager" des MARUM. Das ist ein auf vier Grad Celsius klimatisierter Keller im Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen. Hinter Wefer türmen sich Tausende Schubladen. In jeder liegt wertvolles Sedimentgestein, aus Ablagerungen am Meeresboden gebohrt in jahrzehntelanger Arbeit, bei unzähligen Expeditionen – würde man die einzelnen Bohrkerne aneinanderlegen, käme man auf sagenhafte 140 Kilometer. Während der ältere Herr fast schüchtern am unteren Bildrand steht, wirkt das Ergebnis seiner Arbeit und der seiner Kolleginnen und Kollegen überwältigend. Ohne Worte versteht der Betrachter die Botschaft des Fotografen Andreas Pohlmann: Der einzelne Mensch wirkt klein neben der Wissenschaft – aber hinter jedem Stück Wissenschaft steckt immer ein Mensch.
Gerold Wefer, Meeresgeologe und Gründer des MARUM (Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen) im klimatisierten Bohrkernlager des Instituts. Es ist das größte der weltweit drei Bohrkernlager des internationalen IODP-Forschungsprogramms (Integrated Ocean Drilling Program). "Aus der Geschichte lernen", erklärt Wefer den Sinn dieser gigantischen Probensammlung. Sedimente aus den Ozeanen liefern wertvolle Informationen über klimatische Bedingungen der Vergangenheit - in den Resten von kalkigen und kieseligen Mikrofossilien und mineralischen sowie organischen Komponenten sind sie überliefert und helfen Klimaforschern, das Klimasystem und seine Reaktion auf menschengemachten Treibhausgase besser zu verstehen; Foto: Andreas Pohlmann
Die Fotografie des Meeresgeologen aus Bremen ist eines von 20 Porträts deutscher Klimaforscherinnen und Forscher, die der Kölner Künstler Pohlmann vergangene Woche bei einem Tag der Offenen Tür des Futuriums vorstellte – einem frisch eingeweihten Neubau im Berliner Regierungsviertel, nur einen Steinwurf entfernt vom Hauptbahnhof. Er soll ein "Ort für Präsentation und Dialog zu Wissenschaft, Forschung und Entwicklung" werden, Träger sind das Bundesforschungsministeriums, führende Wissenschaftsorganisationen und einige Großunternehmen.
"Ich will Forschung von der menschlichen Seite zeigen, denn Menschen reagieren viel eher auf Emotionen als auf Fakten", sagt Pohlmann. Mit der Geschichte über die Leute, die hinter Studien und peer-reviewten Fachaufsätzen stecken, will er die "Blackbox Wissenschaft" für alle öffnen und Interesse wecken.
"Mir geht es darum, die Forschung zu demokratisieren."
Geboren wurde das ganze Projekt in einer Unterhaltung mit dem prominenten Klimaforscher Mojib Latif vom Kieler Meeresforschungszentrum Geomar." Ich habe ihn gefragt, ob ich mal sein Labor sehen dürfte", so Pohlmann. Daraufhin habe Latif geschmunzelt: Er habe kein Labor, sondern nur einen Schreibtisch – seine Daten schicke er immer in ein Hamburger Rechenzentrum. Dort entstand dann schließlich Pohlmanns Latif-Porträt – und viele weitere folgten.
Unter die Panoramafotos hat der Künstler jeweils ein Zitat der Abgebildeten gedruckt und eine kurze Biografie. Darin wird erklärt, warum Künstler und Forscher den jeweiligen Ort für die Aufnahme gewählt haben und welchen Ausschnitt "im großen Puzzle" der Klimaforschung die Arbeit des Wissenschaftlers oder der Wissenschaftlerin darstellt. Als Pohlmann auf der Vernissage im Futurium gefragt wird, warum er so viele Leute fotografiert habe, die gar keine Klimaforscher im engeren Sinne seien, antwortet er: "Genau das zeigt, wie komplex der Klimawandel ist: Mittlerweile ist er in alle Forschungsbereiche vorgedrungen."
Antje Boetius, Meeresbiologin und Direktorin des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung, in der Werft der Tauchgeräte und Roboter des Zentrums für Marine Umweltwissenschaften (MARUM) der Universität Bremen. Die abgebildeten Geräte können in bis zu 5.000 Metern Meerestiefe operieren. "Unsere Ozeane sind bis heute weitgehend unerforscht", sagt Boetius. "Gerade die Tiefsee fühlt sich an, als wäre man auf einem fremden Planeten unterwegs." Doch auch dort wirke der Klimawandel, die Erwärmung und Versauerung der Ozeane und der Rückgang des Meereseises verändern das Plankton und damit die ganze Nahrungskette der Ozeane. "Der Wandel geht schneller voran als wir die Meere erforschen können."; Foto: Andreas Pohlmann
Tatsächlich hat Kunsthistoriker Pohlmann die Protagonisten seiner Porträts mit Bedacht ausgewählt: Paläobotaniker, Biologen, Meeresbiologen, Vogelkundler, Ozeanografen und viele mehr schauten in Pohlmanns Objektiv – mal vor einem Forschungsschiff in der Arktis, auf einem Gletscher, vor einer Wand voller ausgestopfter Tiere oder im eigenen Garten. "Ich wollte mich vom klassischen Gelehrtenfoto entfernen und auch keine trockene Faktenvermittlung betreiben", so Pohlmann. "Mir geht es darum, die Forschung zu demokratisieren." Je mehr Menschen eine persönliche Nähe zur Arbeit der Forscher fühlten, desto mehr könne auch das Interesse für die komplexen Veränderungen des Klimawandels geweckt werden, ist der Künstler überzeugt. "Kunst ist der Begleiter in den gesellschaftlichen Wandel."
Die 20 im Futurium ausgestellten Fotografien sind nur ein erster Schritt. Pohlmann plant eine multimediale Ausstellung, die ein echter "Kommunikationsort des Klimas" werden soll. Die Geschichten hinter den Forschern sollen durch zusätzliche Medien noch greifbarer werden und der Zuschauer dadurch in die Gedankenwelt der Wissenschaft "hineingezogen" werden, hofft der Künstler. Noch ist die Finanzierung dieses Großprojektes nicht gesichert – doch Pohlmann ist überzeugt, dass seine Ausstellung schon bald auf 50 Porträts anwächst.
Susanne Götze