Sebastian Herrmann, Jahrgang 1974, ist Wissenschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung und schreibt dort regelmäßig über psychologische Themen. Er hat Politikwissenschaft, Geschichte und Psychologie in München und Edinburgh studiert. 2013 veröffentlichte er im Rowohlt-Verlag das Buch "Starrköpfe überzeugen. Psychotricks für den Umgang mit Verschwörungs-Theoretikern, Fundamentalisten, Partnern und Ihrem Chef"
Herr Herrmann, was tun Sie, damit Weihnachten harmonisch wird?
In der Familie kennt man sich ja – und kennt auch die heißen Themen. Wenn man seine Ruhe haben will, sollte man diese Themen meiden. Daher würde ich nicht unbedingt über den Klimawandel sprechen, falls Sie darauf hinauswollen.
Der Klimawandel ist aber bei Weitem nicht so strittig wie die Flüchtlingspolitik oder die Koalitionsfindung. Die meisten halten ihn für eine ernste Bedrohung…
… und sie wissen, dass ihr Lebensstil weiter dazu beiträgt: das dicke Auto, die Fernreise… Wir empfinden alle eine Schuld, und das lässt uns oft weghören. So wie Raucher, die natürlich wissen, wie riskant ihr Laster ist. Manche Leute behaupten sogar, dass es keinen Klimawandel gebe, um nicht zugeben zu müssen, Teil des Problems zu sein. Ich bin zwar nicht christlich erzogen worden, aber ich finde, dass im Vater unser eine wichtige Botschaft steckt: "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern."
Wäre es nicht besser, miteinander zu reden, wenn man von seinen Sünden erlöst werden möchte?
Wenn man das Thema anschneidet, dann sollte man vor allem Vorwürfe vermeiden. Also lieber nicht die Klimabilanz des Rinderbratens zitieren - denn dann wird sich die Köchin oder der Koch gleich angegriffen fühlen und verteidigen.
Es ist besser, von sich selbst auszugehen und vielleicht auch seine eigene Ambivalenz zu thematisieren. Man kann zum Beispiel erzählen, dass man seine CO2-Bilanz ausgerechnet hat und nun überlegt, wie man diesen Fußabdruck verkleinern kann. "Wie seht Ihr das?", ist eine offene Frage, mit der man vermeidet, sich moralisch über andere zu erheben. Darüber hinaus ist es sinnvoll, nach Gemeinsamkeiten zu suchen und sie zu betonen – und sei es nur festzustellen, dass man sich machtlos fühlt.
Steigert man sich dann nicht in einen Fatalismus hinein?
Das ist eine Gefahr. Aber man kann ihr vorbeugen, indem man sich mit hoffnungsvollen Ideen wappnet. Es gibt viele inspirierende Geschichten von Menschen, die gegen den Klimawandel kämpfen. Warum bringt man nicht eine an Weihnachten mit? In unserer Familie haben wir die Tradition, dass einer vor der Bescherung etwas vorliest – das wäre eine Gelegenheit für eine solche Geschichte.
Was passiert, wenn eine Familie es sich "so richtig gemütlich" machen will, kann man sich seit fast 40 Jahren im Loriot-Sketch "Weihnachten bei Hoppenstedts" anschauen. Der Klimawandel war damals noch kein Thema, wohl aber die Atomkraft... (Nächste Ausstrahlung am 27. Dezember in der ARD); Foto: Das Erste/Radio Bremen
Geschichten überzeugen mehr als Statistiken, und positive Beispiele sind wirkungsvoller als negative. Am Bahnhofskiosk werben nicht umsonst viele Magazine mit der schnellen Diät und dem gesunden Leben ohne Anstrengung und Verzicht. Solche positiven Versprechen sind mächtig – auch wenn wir wissen, dass sie sich nicht halten lassen. Beim Klima versuchen wir aber immer noch, die Menschen mit Schreckensszenarien wachzurütteln.
Was wäre Ihre Alternative?
Wir müssen endlich über eine bessere Idee einer guten Zukunft sprechen. Wir brauchen positive Visionen – auch wenn ich selbst nicht sicher bin, wie sie aussähen. Als erstes müssten wir diesen Bedarf deutlich formulieren und den Diskussionen darüber Raum geben. Beim Klimawandel geht es zwar letztlich darum, etwas Schreckliches zu verhindern, doch müssen wir es anders verpacken: Wir müssen die Leute begeistern, statt sie zu ängstigen. Sie müssen sich als Teil einer großen Sache fühlen, auf die sie stolz sein können.
Also an Weihnachten lieber gemeinsam vegetarische Gerichte ausprobieren statt den Verzicht auf Rindfleisch zu predigen?
Das wäre ein Anfang im Kleinen. Wir brauchen aber auch im Großen einen anderen Geist – das sollte Thema auf den jährlichen Klimagipfeln sein. Übrigens sehe ich diesen Bedarf nicht nur beim Klimaschutz: Bei der EU wirkt zum Beispiel die ursprüngliche Idee des Zusammenhalts gegen den Krieg nicht mehr. Spätestens nach dem Brexit hatte ich gehofft, dass eine neue Vision formuliert wird. Ich bin fassungslos, dass hier nichts geschieht.
Zurück zum Fest: Wie sollte man reagieren, wenn Onkel Herbert provoziert? "Du immer mit deinem Klimawandel: Schau mal, wie kalt es draußen ist!"
Vielleicht kann man ihn einfangen, indem man selbst die Witze macht, statt den Finger zu heben und über den Unterschied von Wetter und Klima zu dozieren. Das versuche ich jedenfalls, wenn ich – was leider nie ausbleibt – darauf angesprochen werde, dass ich kein Fleisch esse.
Und wenn es Onkel Herbert am Ende ernst meint?
Menschen, die von etwas felsenfest überzeugt sind, können wir nicht ändern – und schon gar nicht, wenn wir ihnen direkt widersprechen. Ich würde Onkel Herbert erklären, dass wir vermutlich auch bei diesem Fest nicht zusammenkommen werden. Wichtiger wären mir im übrigen seine Kinder: Wenn sie dazu neigen sollten, sich ihrem Vater anzuschließen, dann würde ich versuchen, sie vom Gegenteil zu überzeugen. An Betonköpfen beißen wir uns die Zähne aus, aber bei anderen haben wir eine Chance.
Das Gespräch führte Alexander Mäder;
Porträtfoto: Christian Schmid/fuenffichten