Einerseits ist der IPCC das wohl größte Kooperationsprojekt in der Geschichte der Wissenschaften: Seit seiner Gründung vor fast 30 Jahren sammeln und bewerten Abertausende von Klimaforscherinnen und -forschern in einer gigantischen Community die Erkenntnisse ihrer Disziplin. Weitgehend ehrenamtlich erarbeiten sie regelmäßig vieltausendseitige Berichte. 2007 erhielt die Organisation dafür den Friedensnobelpreis.
Andererseits ist der sogenannte Weltklimarat ein Zwerg: Gerade einmal zwölf hauptamtliche Mitarbeiter seien sie, die in ein paar Zimmern im Gebäude der Weltmeteorologie-Organisation (WMO) in Genf sitzen, erzählte Renate Christ, die ehemalige Chefin des IPCC-Sekretatiats auf einem Workshop der K3-Konferenz Ende September in Salzburg. "Wir sind 13", unterbrach sie der gegenwärtige IPCC-Pressesprecher, Jonathan Lynn, und konnte sich dabei ein Lächeln nicht verkneifen.
Denn in jedem Falle sind die Mittel des IPCC bescheiden - und verglichen damit seine Wirkung immens: Wenn die IPCC-Reports veröffentlicht werden, sorgt das fast immer für globale Schlagzeilen. Rund um die Welt werden die Berichte sorgfältig gelesen und von Behörden und Regierungen für Entscheidungen rund um Klimawandel und Klimaschutz herangezogen. Und auch die fortwährenden Attacken, die Leugnisten des menschengemachten Klimawandels gegen den IPCC richten, lassen sich ja als Beleg für seine große Bedeutung lesen.
Auch nach Jahren sind IPCC-Übersetzungen noch nicht komplett
"Was können wir vom IPCC lernen?", fragte deshalb einer der Workshops auf der Salzburger Konferenz, der ersten großen Tagung im deutschsprachigen Raum zur Klimakommunikation. "Wie können der IPCC und die IPCC-Berichte für die Kommunikation genutzt werden?" Und: "Was kann der IPCC verbessern, um diese Nutzung zu unterstützen?"
Neben Renate Christ stellten zu Beginn des Workshops zwei weitere "Insider" die Arbeit des IPCC vor: Carola Best von der Deutschen IPCC-Koordinierungsstelle und Gian-Kasper Plattner, ehemaliger Leiter der "Technical Support Unit" der IPCC-Arbeitsgruppe 1 - diese temporären Sekretariate unterstützen bei der Erstellung und Redaktion der großen Sachstandsberichte die ehrenamtlich arbeitenden Forscher. Bei den Vorträgen kamen (neben Lob) auch schon Mängel und Schwierigkeiten der Organisation zur Sprache. So sind Aussagen des IPCC häufig nicht sehr griffig - aber seine Priorität liegt eben auf medialer Verwertbarkeit, sondern auf der wissenschaftlichen Korrektheit seiner Aussagen. Schnelle Reaktionen auf öffentlich interessierende Ereignisse, die einige Workshop-Zuhörer empfahlen, gehören schlicht nicht zum offiziellen Auftrag des IPCC. Und für etwas gequältes Kichern sorgte die Bemerkung, dass mehr als drei Jahre nach Erscheinen des Fünften IPCC-Sachstandsberichts von 2013/14 immer noch nicht alle geplanten Übersetzungen ins Deutsche vorliegen.
So spannend sieht es aus, wenn der IPCC arbeitet - Blick in den Sitzungssaal, in dem 2014 die Schlussberatung der Arbeitsgruppe 3 des Weltklimarates über seinen Teilband des Fünften Sachstandsberichts stattfand; Foto: IPCC
Danach kamen zwei (sympathisierende) Kritiker des IPCC zu Wort. Thomas Nocke vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) stellte die Ergebnisse einer Untersuchung vor, in der er Grafiken aus IPCC-Reports Probanden vorgelegt hat. "Vieles wird nicht verstanden", resümierte er. Grafiken seien häufig mit Informationen überladen, die Bildunterzeilen allenfalls für Fachexperten verständlich. Doch auch eine bessere Erklärung der Grafiken würde wohl wenig bringen - denn in der Studie zeigte sich, dass die Probanden nach einer Erläuterung, was auf den vorgelegten Grafiken zu sehen ist, noch weniger angaben, sie hätten den Inhalt verstanden. Nocke empfahl, Abbildungen weniger komplex zu gestalten (was wohl zu insgesamt mehr Grafiken führen würde) und mehr interaktive Grafiken. Vor allem sollten die Abbildungen im Erstellungsprozess der Reports von Anfang an mitgedacht werden statt sie erst relativ am Schluss einzufügen.
Dies werde teilweise bereits getan, berichtete IPCC-Sprecher Lynn, beim nächsten Sachstandsbericht stehen Grafikexperten den wissenschaftlichen Autoren zur Seite. Und er zitierte ein Bonmot aus dem IPCC: Während es gemeinhin ja heißt, ein Bild sage mehr als tausend Worte, "scherzen wir manchmal, dass ein IPCC-Bild tausend Worte braucht". Dass die Grafiken und Bildunterzeilen besser werden sollten, ist der Organisation also sehr bewusst.
Forscher-Jargon zu Wahrscheinlichkeits-Graden verwirrt Laien
Auch der Journalist Martin Läubli, der für den Zürcher Tages-Anzeiger seit vielen Jahren über Klimaforschung und damit auch den IPCC berichtet, kritisierte die zu hohe Komplexität. Wenn bei der Pressekonferenz zur Vorstellung eines IPCC-Reports ein Papier mit 19 sogenannte Kernbotschaften verteilt werde, "dann sind das schlichtweg zu viele". Kein Bericht etwa einer Nachrichtenagentur könne die alle wiedergeben, weshalb Läubli eine stärkere Priorisierung von IPCC-Botschaften empfahl.
Ein großes Problem seien zudem die Formulierungen, mit denen der IPCC in seinen Reports die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen und die Verlässlichkeit von Aussagen kennzeichnet. Auf diesen Punkt hatte schon 2014 eine Studie von US-Psychologen um David Budescu hingewiesen: Die fein justierte IPCC-Terminologie von "wahrscheinlich", "sehr wahrscheinlich" usw. führt bei Laien dazu, dass sie den Klimawandel bzw. seine Folgen unterschätzen.
Mindestens einer der Kritikpunkte, die auf dem Workshop zur Sprache kamen, könnte konkrete Folgen haben: "Nach dem großen Rumms" - sagte Läubli und meinte damit die Vorstellung großer Reports alle paar Jahre - "hört man vom IPCC nichts." Warum melde sich die Organisation mit ihrer Autorität nicht zu Wort, wenn etwa Hurrikan Harvey Schlagzeilen macht und heiß über einen Zusammenhang mit dem Klimawandel gestritten wird?
Wie könnte der IPCC auf aktuelle und kontroverse Fragen reagieren?
Üblicherweise lautet die Antwort des IPCC, man habe hierfür schlicht kein Mandat. Man sei streng zu wissenschaftlicher Neutralität verpflichtet. Und tatsächlich kann ein loses Netzwerk weltweit verteilter Forscher schon aus organisatorischen Gründen kaum schnelle Statements zu aktuellen Fragen abgeben. IPCC-Sprecher Lynn wies zudem darauf hin, dass die kleine Mannschaft der Hauptamtlichem in Genf unmögliche alle Extremwetterereignisse und öffentlichen Debatten der Welt im Auge haben könne.
Doch in der Workshop-Diskussion kam ein Gedanke auf, den auch die IPCC-Praktiker für umsetzbar hielten: In den vieltausendseitigen Reports finden sich ja zahlreiche Grundsatzaussagen, die für aktuelle Fragen (etwa zum Zusammenhang von Extremwettern und Klimawandel) relevant sind - die aber in Medien fast nie zitiert werden, weil praktisch kein Journalist weiß, in welchem Unterkapitel welchen Bandes des englischsprachigen Berichts sie denn zu finden sein könnten. Bei aktuellen Debatten mit kurzen, nüchternen Nachrichten etwa per Twitter schlicht auf die entsprechenden Textstellen hinzuweisen, das wäre sicherlich auch vom eng gezogenen Mandat IPCC gedeckt.
Toralf Staud