Die Website der ARD-Tagesschau brachte am Montagmorgen die Schizophrenie der deutschen Klimadebatte auf den Punkt: Ganz oben stand als Aufmacherthema - wie bei vielen anderen Nachrichtenportalen auch - der neue IPCC-Sonderbericht zum 1,5-Grad-Erwärmungslimit. "Weltklimarat drängt zum Handeln", lautete die Schlagzeile, dazu hatte die Redaktion ein Symbolbild für extreme Dürre gestellt, ein Foto des in diesem Sommer stark ausgetrockneten Edersees in Nordhessen.
In der Meldung gleich darunter warnte der Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke vor einem "Desaster" - doch damit meinte er nicht die Folgen, die durch den Klimawandel drohen. "Schneller Ausstieg wäre Desaster", lautete die vollständige Überschrift. Der SPD-Politiker warnte also vor einem zügigen Ausstieg aus der Verstromung der Braunkohle, bekanntlich der fossile Energieträger mit den höchsten CO2-Emissionen.
Die Spannung zwischen Wissenschaft und Politik stand am Montagmorgen auf der Website der ARD-Tagesschau deutlich vor Augen; Foto: Screenshot
Klarer hätte man kaum vor Augen führen können, in welchem Spannungsfeld sich Klimawissenschaft und Klimapolitik hierzulande derzeit befinden. Auf knapp 700 Seiten legt der Weltklimarat IPCC dar, dass schon eine Erderhitzung um 1,5°C schwerwiegende Folgen hätte - es also unzählige gute Gründe gäbe für eine Verstärkung der Klimaschutzbemühungen. Doch in der Politik passiert das Gegenteil: Sie schafft es nicht einmal, Maßnahmen zu beschließen, mit denen die Begrenzung auf 2°C vielleicht noch klappen könnte (die gegenwärtigen Klimaschutzmaßnahmen weltweit würden schätzungsweise 3°C oder mehr bedeuten).
In den Medien dominieren Katastrophenrhetorik und Problemfotos
Wie zu erwarten war, nahm der IPCC-Sonderbericht am Montag großen Raum in den Medien ein. Als die Bundesministerien für Umwelt und Forschung ihn am Montagvormittag in Berlin gemeinsam auf einer Pressekonferenz präsentierten, drängten sich die Journalisten im Raum, zehn Fernsehkameras waren aufgebaut. Ob auf Spiegel Online oder Zeit Online, in FAZ oder taz - Kernergebnisse des Reports wurden breit wiedergegeben. "Für das IPCC ist klar: Noch ist die Schlacht nicht verloren", schreibt etwa Bernhard Pötter in der tageszeitung (taz). "Das ehrgeizige Ziel, die Erderwärmung bis 2100 bei 1,5 Grad zu stoppen, ist 'nach den Gesetzen von Chemie und Physik möglich', sagt ein Autor. Ob es auch nach den Gesetzen von Politik und Wirtschaft machbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Denn dafür müssten sich die Industrie, die Energie- und Verkehrssysteme, Landwirtschaft, Gebäude und Städte 'schnell und weitreichend verändern', heißt es."
Auf die Titelseiten der gedruckten Tageszeitungen schaffte es der IPCC am Montag nicht - ein Grund könnte die Einhaltung der strikten Speerfrist des IPCC für die Veröffentlichung gewesen sein. Am Dienstag jedoch machten beispielsweise FAZ und Welt den Report zum Hauptthema, das Handelsblatt druckte die Schlagzeile "Weckruf für den Klimaschutz", bei der Neuen Zürcher Zeitung heißt es: "Luft wird dünn für 1,5-Grad-Ziel". Auch etliche Regionalzeitungen rücken den Bericht in den Mittelpunkt, so auch die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), mit gut 500.000 Exemplaren das auflagenstärkste Regionalblatt in Deutschland.
Doch viele Medien (und vor allem Illustrationen) setzten auf die seit langem bekannte Katastrophenrhetorik - obwohl die Kommunikationswissenschaftler und -berater seit Jahren davor warnen, dass solche Wortwahl die Leser und Zuschauer eher paralysiert und lähmt statt sie aufzurütteln und zu aktivieren. "Das Ende der Welt, wie wir sie kennen", titelte etwa welt.de - dazu ein düsteres Gewitterfoto. "Neuer Weltklimabericht: Erderwärmung schlimmer als angenommen", lautete die Schlagzeile auf bento.de, dem Jugendportal von Spiegel Online - dort immerhin ergänzt um die Worte: "Das müssen wir jetzt tun".
Und die meisten Texte werden mit negativen Bildern von Klimafolgen illustriert - mit Fotos ausgetrockneter Flüsse, verdorrter Felder, überschwemmter Straßen. Dabei zeigt die Forschung, dass das Abbilden möglicher Lösungen des Emissionsproblems - etwa von Solarzellen - bei den Mediennutzern deutlich positivere Reaktionen hervorrufen.
Blicke hinter die Kulissen der Wissenschaft sind eher selten
Wie der Report entstand, die Arbeitsweise des IPCC also, ist vergleichsweise selten ein Thema in den Medien - obwohl dies doch für die Öffentlichkeit nützlich sein dürfte, um die Relevanz und Verlässlichkeit des Sonderberichts einschätzen zu können. Ein Interview mit dem Potsdamer Professor und langjährigen IPCC-Mitautoren Ottmar Edenhofer auf Zeit Online ermöglicht wertvolle Blicke hinter die Kulissen.
Einen sehr besonderen Zugang wählte Das Magazin aus der Schweiz, das dort zum Wochenende Zeitungen wie dem Zürcher Tages-Anzeiger oder der Berner Zeitung beiliegt. In der aktuellen Ausgabe ist der Klimawandel Titelthema: "Streit um Tuvalu", lautet die Überschrift - doch es geht dann nicht nur um die bereits oft beschriebene Bedrohung pazifischer Inselstaaten durch steigende Meeresspiegel, sondern auch um die kommunikativen Dilemmata der Forschung. "Wie sollen Wissenschaftler über den Klimawandel reden", lautet der Untertitel.
Eindrücklich beschreibt Reporter Jonas Vogt die schwierige Gratwanderung zwischen Alarmismus und Nüchternheit und "das Problem, dass die Wissenschaft eine eigene Teilsprache hat, die außerhalb der Universitäten missverstanden wird. Sagt ein Wissenschaftler 'Wir sehen keine bis wenige Anzeichen, die für diese These sprechen', meint er eigentlich: Das ist Bullshit. Und es gibt durchaus Wissenschaftler, die sagen, vielleicht müsste man das auch in der Öffentlichkeit öfter einmal so sagen."
tst