Wer kann schon die Evidenz zitieren, die den menschengemachten Klimawandel lückenlos belegt? Natürlich, es gibt diese Evidenz - aber sie im Detail zu erläutern, dürfte allen schwerfallen, die sich nicht hauptberuflich damit befassen. Schon Forschern benachbarter Fachgebiete gehe es so, sagt die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes. Und verweist auf ein generelles Problem: "Die meisten von uns können nicht beurteilen, ob eine bestimmte wissenschaftliche Behauptung zutrifft oder nicht." Und das werfe die Frage auf, warum wir der Wissenschaft trotzdem vertrauen.
Oreskes sprach vergangene Woche in Hannover auf Einladung der Volkswagen-Stiftung zu einem Publikum aus Forschern, Pressesprechern und Journalisten. Es war der Eröffnungsvortrag zu einer Tagung, in der sich alles um die Frage dreht, wie die Wissenschaft verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen kann. Und die Historikerin hat eine Antwort parat: Die Wissenschaft muss ihre Komfortzone verlassen und aktiv um Vertrauen werben.
"Die typische Zurückhaltung von Forschern verzögert Klimaschutz"
Oreskes ist eine Pionierin der Klimakommunikation. In einer wegweisenden Meta-Studie von 2004 belegte sie erstmals empirisch, dass es einen weitreichenden Konsens der Forschung zum menschengemachten Klimawandel gibt. 2010 veröffentlichte sie (gemeinsam mit Erik Conway) das Buch Merchants of Doubt (deutsche Ausgabe: Die Machiavellis der Wissenschaft), in dem sie Debatten um Risiken des Rauchens und des Klimawandels verglich. Das Muster ähnele sich, so ihr Ergebnis: Von staatlichen Regulierungen betroffene Industrien steckten viele Millionen Dollar in PR-Kampagnen, um Zweifel an unliebsamen Forschungsergebnissen zu säen - mit politischen Schlussfolgerungen solle man besser noch warten, lautete jeweils die vermittelte Botschaft. Und die Wissenschaft? Sie machte weiter ihre Arbeit und ließ die Zweifel blühen, so das Fazit der historischen Analyse. In einem weiteren Buch (Vom Ende der Welt) haben Oreskes und Conway kürzlich analysiert, wie die standesübliche Zurückhaltung von (Klima-)Wissenschalftlern dazu beiträgt, dass der nötige Klimaschutz nur schleppend in Gang kommt.
Mit dem Slogan "Die Fakten sprechen nicht für sich selbst" will Oreskes, die an der Harvard University forscht, die Klimaforscherinnen und -forscher aufrütteln: Sie kennen die Evidenz und können sie erläutern. Sie könnten daher glaubwürdig widersprechen, wenn Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen gesät werden. Und sie können als Gemeinschaft auch bezeugen, dass die Evidenz wirklich verlässlich ist. "Wir vertrauen nicht einzelnen Studien oder einzelnen Forschern", betont Oreskes, "sondern der Wissenschaft als Prozess."
Ist der Forscherkonsens ein überzeugendes Argument?
In ihren Empfehlungen geht rät Oreskes ausdrücklich, den Konsens der Klimaforschung stärker hervorzuheben. Diese Empfehlung ist mehrfach kritisiert worden, etwa vom Briten Mike Hulme oder Dan Kahan von der Yale University. Er befürchtet zum Beispiel, dass die Botschaft am Problem vorbeizielt, weil – zumindest in den USA – mit der Haltung zum Klimawandel letztlich Parteipräferenzen geäußert würden, so Kahan auf seinem Blog: Dieselben Personen, die als loyale Republikaner die Existenz des Klimawandels ablehnen, können dennoch Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen vorantreiben. Oreskes hingegen verweist - wie auch andere Forscher - auf psychologische Experimente. In ihnen zeigte etwa ein Team um den Princeton-Professor Sander van der Linden, dass das Wissen um den Forscherkonsens bei vielen Menschen das Tor öffnen könne für weitere Informationen zum Klimawandel.
Aber Oreskes warnt auch vor einer möglichen Falle bei der Verteidigung der Klimaforschung: Man solle die Wissenschaft – und vor allem einzelne Forscher – nicht überhöhen. "Jemanden als Gott darzustellen, ruft danach, ihn fallen zu sehen", sagt sie. Forscher arbeiten an der Grenze des Wissens und produzieren daher zwangsläufig (vorerst) unsichere Erkenntnisse. Gesicherte Evidenz ergebe sich erst aus einer Vielzahl von Untersuchungen.
"Über politische Fragen streiten - statt über die Existenz des Klimawandels"
Und die wissenschaftliche Methode allein garantiere noch nicht deren Zuverlässigkeit, denn typischerweise seien Experimente in der Wissenschaft nicht eindeutig: In ein Experiment gehen viele Theorien ein – nicht zuletzt solche über die Funktionsweise der Messinstrumente. Als Kopernikus beispielsweise die These aufstellte, dass die Erde um die Sonne kreist, sprachen einige Beobachtungen dagegen. Zum Beispiel müsse sich die Perspektive auf die Sterne verschieben, wenn die Erde ihre Position im Raum verändert - doch die Sterne blieben im Jahresverlauf an ihrer bekannten Stelle. Erst später lernte man, dass die Sterne viel weiter entfernt sind als zuvor gedacht, und dass man ein Fernrohr braucht, um die leichte Verschiebung zu beobachten. Erst im Laufe der Zeit also stellte sich heraus, dass man dem Kopernikanischen Weltbild trauen darf.
Beim menschengemachten Klimawandel ist das wissenschaftliche Urteil inzwischen ähnlich klar – und Oreskes sieht eigentlich drängendere Themen, die diskutiert werden müssen: Wie sollten Anpassungsmaßnahmen an das sich wandelnde Klima gestaltet werden? Wie sollte man mit dem Austritt der USA aus dem Weltklimavertrag von Paris umgehen? Und wie macht man das Abkommen selbst zu einem effizienten Instrument gegen den Klimawandel? "Lasst uns über diese Fragen streiten", appelliert Oreskes, "und nicht mehr darüber, ob es den Klimawandel gibt."
Alexander Mäder