Wissenschaftliches Wissen ist vor allem dann nötig, wenn es um Probleme geht, die mit Alltagsbeobachtung nicht wahrnehmbar und mit Common Sense allein auch nicht lösbar sind. Der menschengemachte Klimawandel mit seinen langen Zeitspannen und globalen Wechselwirkungen ist der Prototyp eines solchen Phänomens, das wir ohne Wissenschaft nicht sinnvoll beschreiben, verstehen und bearbeiten können. Unter Wissenschaftlern ist diese Begründung des Sinns von Wissenschaft eine banale Selbstverständlichkeit – überflüssig zu erwähnen oder gar dafür zu demonstrieren.
Tatsächlich reicht es für Wissenschaftler aber nicht mehr, exzellente Wissenschaft hervorzubringen. Denn die politischen und medialen Rahmenbedingungen haben sich geändert. Der Journalist Graham Readfearn hat im britischen Guardian die aktuellen Entwicklungen, vor allem in den USA, auf ein anschauliches Schlagwort gebracht: "We are approaching the Trumpocene, a new epoch where climate change is just a big scary conspiracy." Das Agieren des US-amerikanischen Präsidenten eröffnet den Europäern eine Vorschau auf das Trumpozän – ein neues Erdzeitalter, das es zu verhindern gilt.
Das Trumpozän: ein Erdzeitalter, das durch die Leugnung von Verantwortung
und einen Rückzug in Subjektivität gekennzeichnet ist
Um zu verstehen, was das Trumpozän als neue Ära kennzeichnet, hilft ein Blick auf die Idee des Anthropozäns, jenes neuen Erdzeitalters, das seit der Jahrtausendwende diskutiert wird. Im Kern geht es dabei darum, dass die Menschheit ihren prägenden Einfluss auf die Erde und damit auch auf das Klimasystem erkennt und dafür Verantwortung übernimmt. Der Soziologe Ulrich Beck nennt das Reflexivität: ein Bewusstsein für die problematischen Folgen gesellschaftlichen Fortschritts. Dass wir uns unserer Rolle bewusst werden, ist die Voraussetzung dafür, Problemen wie dem Klimawandel angemessen zu begegnen.
Hier spielt eben nicht nur Wissenschaft, sondern vor allem auch Wissenschaftskommunikation eine zentrale Rolle, wenn es um die Ausbildung eines kollektiven Bewusstseins geht. Mit dieser Herausforderung sind ein paar Dutzend versierter Wissenschaftsjournalisten in Elite-Medien und die wenigen darin zu Wort kommenden Wissenschaftler überfordert. Denn sie haben es nicht nur mit einem sich verändernden politischen Umfeld sondern auch mit einer veränderten digitalen Medienwelt zu tun.
Das Trump-o-zän als Paradies der Narzissten: Szene beim Berliner Science March;Foto: Carel Mohn
Das Trumpozän als Schreckensvision ist im Kern durch die Leugnung von Verantwortung und einen Rückzug in Subjektivität und Selbstbezogenheit gekennzeichnet. Menschliches Handeln wird hierbei vor allem von persönlichen Bedürfnissen, Reflexen und Aversionen gesteuert, und auch Politik bedarf hier keiner Orientierung an Fakten oder Normen, auf die sich die Gesellschaft verständigt hätte.
Endet künftig Politik an der Grenze des Gesichtsfelds des jeweiligen Politikers?
Politik im Trumpozän ist also post-faktisch und post-moralisch. Ihr Horizont endet an der Grenze des Gesichtsfelds des jeweiligen Politikers: Globale oder langfristige Prozesse wie der Klimawandel sind aus dieser Perspektive gar nicht wahrnehmbar. Damit werden gesellschaftliche Institutionen überflüssig, die der kollektiven Einigung auf Tatsachen und der Verständigung über Normen dienen. Wissenschaft, Journalismus, Gerichte, Parlamente geraten der persönlichen Selbstverwirklichung von Politikern in den Weg, die sich bereits im Trumpozän wähnen.
Dagegen erweisen sich digitale Mediennetzwerke als das natürliche Element des Menschen im Trumpozän, denn sie haben zwei zentrale Eigenschaften: Erstens kann sich jeder Mediennutzer ungefiltert, ohne Abstimmung mit anderen, in vollendeter Subjektivität äußern; und zweitens lässt sich vielfache Bestätigung für die eigene Weltsicht finden.
Die erste Eigenschaft der neuen Medienwelt lässt sich gut im Begriff "massenhafter Individualkommunikation" fassen, der die Massenkommunikation der alten Medien überwindet. In ihr kommunizieren nicht Individuen als solche, sondern Institutionen, in denen Journalisten nach professionellen Grundsätzen das Relevante und das faktisch Richtige herausfiltern (sollen) oder aber Wissenschaftler sich einem Peer Review unterwerfen, bevor sie Befunde ihrer Studien als Wissen nach Außen kommunizieren. Den häufigen Gebrauch von Namenskürzeln statt vollständiger Autorenangaben in renommierten Blättern wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder der Neuen Zürcher Zeitung kann man als sichtbaren Ausdruck dieser Haltung interpretieren.
Digitale Netzwerke sind das Medium des Trumpozäns: ungeprüfte oder erfundene Meldungen verbreiten sich, Redakteure als Schleusenwärter fallen aus
Beide Filter fallen in digitalen Netzen weg. Der Journalismus verliert seine "Gatekeeper"-Rolle. Ungeprüfte, erfundene Informationen gelangen über soziale Netzwerke oder auf Fake-News-Websites in die Öffentlichkeit und stehen dort gleichranging neben journalistischen Produkten. In der Wissenschaft ist es sogar so, dass geprüfte Forschungsergebnisse hinter den Bezahlschranken akademischer Journals verschwinden. Webseiten von Forschungsinstitutionen sehen teilweise aus, als seien sie zuletzt in den 90er Jahren modernisiert worden, während sich Organisationen der professionellen oder hobby-mäßig betriebenen Leugnung des Klimawandels als "Think Tanks" oder "Institute" geben und damit einen wissenschaftlichen Anstrich vorgaukeln. Mimikry, also die Imitation gesellschaftlicher Institutionen wie Wissenschaft, Journalismus oder auch zivilgesellschaftlichem Engagement ist eine zentrale Kommunikationsstrategie im Netz und leitet das Orientierungsbedürfnis vieler Mediennutzer in die Irre.
Dass sich Menschen dort so frappierend in die Irre führen lassen, hat mit dem zweiten Merkmal von subjekt-zentrierter Online-Kommunikation zu tun, das unter dem Stichwort "Filterblase" gut bekannt ist: Nutzer erfahren online eine vielfältige Bestätigung ihrer Meinungen und Weltbilder, unabhängig davon, ob diese fundiert oder gesellschaftlich mehrheitsfähig sind. Dabei kommen psychologische, soziale und technische Mechanismen zusammen. Auch offline wirksam ist die Neigung, eher Inhalte wahrzunehmen, die die eigene Meinung bestätigen und sich Freunde und Kontakte mit ähnlichem Weltbild zu suchen („confirmation bias“) – in sozialen Netzwerken ersetzen diese Freunde aber die Journalisten als Vermittler relevanter Informationen. Hinzukommt: Webseiten sind häufig mit ähnlich gesinnten Websites vernetzt. Und Algorithmen verstärken diese sozialen Mechanismen noch, indem sie uns Suchergebnisse liefern, die den vermuteten Präferenzen des jeweiligen Nutzers entsprechen.
Am Ende ist jede und jeder in seiner eigenen Filterblase allein und trifft immer wieder auf sich selbst: das Paradies für Narzissten. Womit wir wieder beim Trumpozän wären. Wir können an den Inhalten, die uns in unseren Facebook- oder Twitter-Feeds oder als Suchergebnisse von Google begegnen, keineswegs erkennen, was die Gesellschaft so insgesamt denkt. Das ist aber genau das, was Menschen üblicherweise tun: Sie nehmen Medieninhalte als Indikator für gesellschaftliche Meinungen und orientieren sich daran. Im Internet führt dies dazu, dass sie ihre eigene Meinung für mehrheitsfähig halten.
Glücklicherweise gibt uns das Internet auch die Instrumente in die Hand,
mit denen sich gegensteuern lässt. Uns allen!
Die gute Nachricht ist nun, dass wir noch nicht im Trumpozän leben und auch nicht in einer post-faktischen Gesellschaft. Gerade die Klimadebatte im Internet zeigt das. Es ist ein Streit um Fakten: Gibt es den anthropogenen Klimawandel? Welche Folgen hat er? Zwar mögen sich im Web und in der Weltpolitik auch notorische Lügner tummeln, aber im Kern geht es auch vielen Abstreitern des anthropogenen Klimawandels um das, was sie – fehlgeleitet durch die obigen Mechanismen (und beispielsweise in den USA durch jahrzehntelanges professionelles Lobbying der von Klimapolitik betroffenen Industrien) – für die Wahrheit halten. Die Zahl der Menschen, die wider besseres Wissen und aus politischem Kalkül Fakten wie den Klimawandel leugnen, ist verschwindend gering gegenüber den Mehrheiten, auch unter den Wählern von Trump, denen es wichtig ist, dass sich Politik an Fakten orientiert, - die sich aber massiv in die Irre führen lassen. Und das Internet gibt uns auch die Instrumente in die Hand, um gegenzusteuern.
Der "March for Science" als eine traditionelle Form öffentlicher Kommunikation und zivilgesellschaftlichen Protests kann daher nur ein Auftakt dafür sein, dass sich auch die Wissenschaft selbst auf allen Medienkanälen und massiv zu Wort meldet, wenn wissenschaftliche Fakten systematisch verbogen und wissenschaftliche Freiheit eingeschränkt werden. In den USA betrifft der Konflikt bisher vor allem die Klimawissenschaft. Aber der Konflikt zwischen den Akteuren des Trumpozäns und dem Prinzip Wissenschaft ist grundsätzlicher. Aus der Wahl Donald Trumps können auch wir lernen, dass verrückte Debatten im Internet, wie sie zum Thema Klimawandel seit Jahrzehnten auf Blogs oder YouTube stattfinden, langfristig politische Folgen haben können. Dass sie wissenschaftlicher Evidenz entbehren, bedeutet nicht, dass sie nicht trotzdem Regierungspolitik werden können.
Wissenschaftler sollten daher Debatten über ihre Themen und die Wissenschaft insgesamt aufmerksamer beobachten, gerade jenseits der Qualitätsmedien. Es ist nicht damit getan, darauf zu warten, von einem Journalisten zum Interview gebeten oder von einer Behörde zu einem Gutachten (inklusive Vertraulichkeitserklärung) aufgefordert zu werden. Die Kommunikationsaufgabe lässt sich auch nicht an wenige, prominente Großwissenschaftler delegieren, die dann in politischen Talkshows ihren Kopf für die Zunft insgesamt hinhalten müssen – und auf diesem Wege allzu leicht zu Feindbildern von Klima-, Impf- oder Evolutionsgegnern werden.
Der Klick auf den Like- oder Weiterleiten-Button erfordert viel weniger Aufwand
als die Teilnahme an einem "March for Science"
Zwar braucht es auch die berühmten Köpfe, an die sich Journalisten wenden können, aber das ist eine Arbeitsteilung der alten Medienwelt. Die neue Medienwelt erfordert auch von der Wissenschaft als Ganzes massenhafte Individualkommunikation – und zwar jenseits der Grenzen der eigenen Filterblase. Damit ist die begrenzte Zahl an Professoren zahlenmäßig und zum Teil auch im Hinblick auf ihre Medienkompetenz überfordert. Aber wenn auch Post-Docs, Doktoranden und fortgeschrittene Studierende Wissenschaftskommunikation auf Twitter, Wikipedia, Facebook, YouTube und in Blogs als Teil ihrer Aufgabe sehen, kann Wissenschaft in den Weiten des Webs wirksam werden.
Vieles erfordert weniger Aufwand als zu einer Demonstration zu gehen. Schon das Klicken eines Like- oder Weiterleitungsbuttons signalisiert den Algorithmen und anderen Usern: Hier ist etwas, was sich lohnt zu lesen oder anzuschauen. Auch eine Buchkritik bei Amazon kann künftige Leser weg von Pseudo-Wissenschaft und hin zu Inhalten leiten, die auf verlässlicher, wissenschaftlicher Grundlage ruhen. Es kann doch nicht sein, dass die am häufigsten weitergeleiteten Klimawandel-Geschichten auf Facebook erfundene Lügengeschichten sind. Dabei kann es nicht darum gehen, die Abstreiter des Klimawandels zu beschimpfen. Es geht darum, Lügen richtigzustellen, und sich dafür zu engagieren, dass reale Wissenschaft wieder sichtbarer wird als Pseudo-Wissenschaft - auf der Straße und in sozialen Netzwerken.
Michael Brüggemann ist Professor für Kommunikationswissenschaft, Klima- und Wissenschaftskommunikation an der Universität Hamburg.
Der Text ist eine erweiterte und aktualisierte Fassung seines Vortrags auf der Jahrestagung 2017 des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK).