In der Fanzone auf dem Stuttgarter Schlossplatz verwandelt sich der heißeste Tag der EM 2024 gerade in eine heiße Nacht, als Nationalspieler Kai Havertz zum Elfmeterpunkt geht. Bisher ist im Achtelfinale gegen Dänemark bis zu dieser 53. Minute nichts Zählbares passiert – berichtenswert ist allenfalls, dass Starkregen über dem Westfalenstadion in Dortmund, wo das Spiel stattfindet, eine 25-minütige Unterbrechung mitten in der ersten Hälfte erzwungen hat. In Stuttgart hingegen bringt das Wetter große Hitze, die die Menschen auf dem Schlossplatz in Schweiß ausbrechen lässt. Auf 34,2 Grad waren die Anzeigewerte der Abteilung für Stadtklimatologie am Nachmittag dieses 29. Juni 2024 geklettert. Jetzt, gegen halb elf Uhr nachts, sind es wegen der Stuttgarter Kessellage und der Bebauung rund um die Großbild-Leinwände immer noch mehr als 29 Grad.

Als Havertz dann anläuft, kurz verzögert und schließlich den Ball zum 1:0 unten rechts ins Tor schießt, da übertrifft die Hitze des Jubels für einen Moment sogar die hohen Temperaturen – mutmaßlich selbst die in den Getränke-Buden und Imbiss-Ständen rund um die Public Viewing-Zone. Im Gegensatz zu den Fans sind die Angestellten und Aushilfskräfte aber nicht zum Vergnügen da. Vielen der Wurstbrater und Bier-Verkäuferinnen setzt die Hitze vermutlich zu. Sie stehen seit Stunden an heißen Geräten wie Grills oder in der warmen Abluft der Kühlaggregate. Nur manche haben wohl das Glück, dass ein wenig Luftzug durch ihre Bude geht.

Welche Vorkehrungen ihre Chefinnen und Chefs damals für die erwartbare Hitze während der EM getroffen hatten, lässt sich im Nachhinein nicht systematisch erfassen. Ein Betreiber sagt auf Anfrage, er habe halt mal ein Eis ausgegeben. Magdalena Krüger, Geschäftsführerin der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in der Region Stuttgart erinnert sich, dass sie draußen in der Fußgängerzone an der Fan-Enklave vorbeiging: „Wie die Sonne da reinknallte, da kann man sich kaum vorstellen, was das für eine Belastung für die Beschäftigen war.“

Die Außengastronomie gehört zweifellos zu den Branchen, die am meisten von Hitze und UV-Strahlung betroffen sind. Auch wer auf dem Bau arbeitet oder in der Landwirtschaft, oder wer einen anderen Job im Freien hat, ist schon heute belastet – und wird es in Zukunft noch mehr sein. Die Temperaturen steigen, und Extremwetterlagen werden häufiger, in denen über Tage oder gar Wochen keine Wolke die brennende Sonne verhüllt. Auch bei der Arbeit drinnen kann eine solche Hitzewelle anstrengend sein – in besonderer Weise vielleicht für Angestellte in der Pflege, die nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Menschen sorgen und vorsorgen müssen.

An den drei Branchen Bau, Pflege und Außengastronomie lässt sich daher exemplarisch untersuchen, wie der Klimawandel allein wegen der steigenden Temperaturen und der wachsenden UV-Belastung die Arbeitswelt verändern wird. Wo sie sich deswegen anpassen muss. Und dass das Land, die Vorgesetzten und Beschäftigten, die Gewerkschaften und Verbände miteinander darüber sprechen müssen. Ergebnis dieser Recherche ist der folgende Artikel. Er wird ergänzt von einer Reihe von Fallbeispielen, Protokollen und Erklärungs-Kästen. Diese Zusatztexte können in beliebiger Reihenfolge und Anzahl während oder nach der Lektüre des Haupttexts gelesen werden.

Der heiße Stuttgarter Talkessel steht stellvertretend für Deutschlands Klimazukunft

Den geographischen Fokus dieser großangelegten Recherche bilden Stuttgart und Umgebung. Die Wahl der baden-württembergischen Landeshauptstadt erfolgte dabei nicht zufällig – die Schwabenhauptstadt gehört nämlich bei Temperaturen und Hitze im bundesweiten Vergleich zu den Hotspots. Während der Deutsche Wetterdienst für die Jahre 1991 bis 2020 in ganz Deutschland eine mittlere Temperatur von 9,3 Grad Celsius ausweist, waren es an der Station Stuttgart-Schnarrenberg 10,7 Grad. 2023 lag die mittlere Temperatur sogar bei 12,3 Grad, ein Rekordwert (der ab der Mitte des Jahrhunderts als normal bis kühl gelten könnte). Der DWD-Messpunkt bietet die vollständigsten Daten, liegt allerdings etwas oberhalb des Stadtzentrums: Ganz unten im Stuttgarter Talkessel und zum Beispiel auf dem Schlossplatz kann es im Mittel durchaus ein Grad mehr haben, an heißen Sommertagen auch mal zwei.

Die durchschnittliche Zahl der Heißen Tage (mit mehr als 30 Grad) ist an der Station Schnarrenberg im Verlauf der vergangenen sieben Jahrzehnte von 5 auf 13 pro Jahr gestiegen, dazu kommen etliche Tropennächte, in denen das Thermometer nicht unter 20 Grad fällt. 2023 gab es in Stuttgart-Schnarrenberg 20 Heiße Tage und sechs Tropennächte; unten im Stadtzentrum sogar 33 Heiße Tage und zwölf Tropennächte. Diese Zahlen könnten bis 2050 noch einmal um zehn oder fünfzehn zunehmen.

Mit der Hitze und dem Sonnenschein steigt auch die Belastung durch UV-Strahlung; alle, die im Freien arbeiten, die mauern, kellnern oder gärtnern, leiden unter beiden Risiken. Nicht nur haben die Sonnenscheinstunden in Deutschland seit den 1950er-Jahren im jährlichen Mittel um gut zehn Prozent zugenommen; veränderte Verhaltensweisen – der vermehrte Aufenthalt im Freiem bei „schönem“ Wetter zum Beispiel – steigern die Exposition weiter. Schon Ende März oder Anfang April kann die UV-Bestrahlung darum unerwartet hoch werden, warnt das Bundesamt für Strahlenschutz.

Die momentane und zu erwartende UV-Belastung lässt sich anhand des sogenannten UV-Index‘ auf einer Skala von 1 bis 11 beurteilen. Schon ab 3 ist Schutz in Form von Schatten zur Mittagszeit, körperbedeckender Kleidung, Sonnencreme und -brille notwendig, und ab 8 zusätzlicher Schutz: persönliche Vorsorge wird obligatorisch, und dazu kommen Verhaltensmaßnahmen wie ein Umplanen des Tagesablaufs, um Außenaktivitäten mittags zu vermeiden. Der Deutsche Wetterdienst veröffentlicht tagesaktuelle Prognosen, wo welche Stufe auf dem UV-Index zu erwarten ist. Auch das eigene Smartphone kann mittels der kostenlosen ClimApp personalisierte Warnungen liefern.

Das Risikodreieck Sonne-Hitze-Strahlung belastet zum Beispiel in der Gastronomie viele Beschäftigte. Sie fallen häufig unter die Definition, wer durch UV-Licht gefährdet ist: Alle, die zwischen April und September an 50 Arbeitstagen oder mehr jeweils mindestens eine Stunde im Zeitraum von 11 bis 16 Uhr im Freien arbeiten. Ein häufiger Licht- Temperaturwechsel zwischen stark klimatisierten Innenräumen und dem grellen Außenbereich kann zudem die Belastung durch Hitze verstärken.

In der Gastronomie ist die Frage, was Chefs erlauben – und was Beschäftigte nutzen

Wie in anderen Branchen müssen Arbeitgeber auch im Gastgewerbe geeigneten Schutz bereitstellen, was nach Aussagen von Beteiligten lange nicht immer klappte. Allerdings bessern sich die Verhältnisse mittlerweile langsam, sagt Joachim Langecker, Referatsleiter Arbeitsschutz bei der Gewerkschaft NGG. Notgedrungen, „weil den Betrieben auch aufgrund der oftmals niedrigen Löhne und der anstrengenden Arbeitsbedingungen die Leute weglaufen. Gute Arbeitsbedingungen sprechen sich am ehesten rum und helfen dabei, Arbeitskräfte zu halten und zu gewinnen.“ Dazu gehört vor allem die Möglichkeit, den Arbeitsschutz entsprechend auszugestalten, Pausen zu machen, im Schatten zu verschnaufen, etwas zu trinken oder auch in den Schichten zu rollieren.

 

„Gute Arbeitsbedingungen sprechen sich herum und helfen dabei, Arbeitskräfte zu halten und zu gewinnen“

 

Doch was Chefinnen oder Chefs erlauben, und was Beschäftigte auch nutzen, seien oft unterschiedliche Dinge, sagt Langecker. Viele Servicekräfte seien intrinsisch motiviert und am Team orientiert: „Die wollen dem Gast dann eben schnell sein Bier bringen. Und sie denken: ,Wenn ich jetzt Pause mache, arbeitet die Kollegin für mich mehr.‘ So kommen viele trotzdem über die Belastungsgrenze.“ Noch schwieriger sei es, die Bereitschaft zu steigern, dass lange Kleidung und Kopfbedeckungen zum UV-Schutz getragen werden. Hierzu müssten die Arbeitgeber der Branche viel mehr Schulungen und Unterweisungen zur Risikoaufklärung anbieten, so Langecker.

Immerhin: In manchen Betrieben beginnen Vorgesetzte und Belegschaft über die klimabedingten Gefahren zu reden. Einer Umfrage der Berufsgenossenschaften von 2022 zufolge zählten im Gastgewerbe die „Unterweisung im Umgang mit Hitzeperioden“ sowie die „Ergänzung der Gefährdungsbeurteilung“ zu den am häufigsten angewandten Maßnahmen – allerdings auf insgesamt sehr niedrigem Niveau.

Größere Hitze und häufigere, längere Hitzewellen sind schon lange als offensichtliche Folgen des Klimawandels anerkannt. Und längst ist auch die Gefahr für Leib und Leben bewusst. Darum gibt das dafür zuständige, staatliche Robert-Koch-Institut im Sommer „Wochenberichte zur hitzebedingten Mortalität“ heraus: Allein in der letzten Woche des Juli 2024 zum Beispiel verzeichnete diese Statistik 1210 vorzeitige Todesfälle.

„Die Sonne fühlt sich an wie der Lauf einer Pistole, die auf dich gerichtet ist“, so formuliert es Jeff Goodell in seinem Buch The heat will kill you first, in dem er die zunächst unsichtbaren Folgen großer Hitze beschreibt. Wer bei seinem Job davon betroffen ist, kann oft nicht einfach Abkühlung und Schatten suchen. Weltweit ist laut International Labour Organisation die Gesundheit von 2,4 Milliarden Menschen durch Hitze am Arbeitsplatz bedroht – das sind 71 Prozent aller Beschäftigten weltweit. Jedes Jahr gebe es deswegen fast 23 Millionen zusätzliche Unfälle und 19.000 Todesfälle. In Europa und Zentralasien ist die Quote der hitzegefährdeten Beschäftigten zwar im weltweiten Vergleich am geringsten: 29 Prozent. Hier wächst die Belastung zurzeit aber am schnellsten an. Der Anpassungsdruck ist also auch in Deutschland hoch.

 

Weltweit bedroht Hitze am Arbeitsplatz die Gesundheit von 2,4 Milliarden Menschen – das sind 71 Prozent aller Beschäftigten

 

Was genau hohe Temperaturen zum Risiko macht, zeigt zum Beispiel eine Broschüre der Arbeiterwohlfahrt über „Hitze am Arbeitsplatz“ aus ihrem Aktionsprogramm Higela (Hitzeresiliente und Gesundheitsfördernde Lebens- und Arbeitsbedingungen in der stationären Pflege). Erschöpfung, Muskelkrämpfe, Unruhe, Kurzatmigkeit und Kreislaufbeschwerden gehören zu den Symptomen, die schnell und oft unvorhersehbar sehr gefährlich werden können. Schwitzen und zu wenig Trinken begünstigen die Dehydrierung, das wiederum belastet die Nieren und führt zu Blutarmut, das Herz schlägt schneller, pumpt aber weniger, andere Organe sind schlechter versorgt, am Ende droht mit dem Hitzschlag allgemeines Organversagen. Und psychisch-kognitiv kann die Hitze das Urteilsvermögen einschränken und die Aggressivität steigern.

Diese Risiken werden auch von den Beschäftigten selbst wahrgenommen: Hitze während der Arbeitszeit belastet einer aktuellen Umfrage der Krankenversicherung DAK zufolge 23 Prozent der Beschäftigten stark und weitere 40 Prozent mäßig; Frauen etwas mehr als Männer. Von mehr Unwohlsein berichteten auch diejenigen, die einen Arbeitsplatz draußen, eine kürzere Ausbildung und ein Alter ab 50 Jahren hatten. Mehr als die Hälfte der befragten Beschäftigten in Deutschland berichteten von einer geringeren Produktivität, viele von Konzentrationsschwierigkeiten, etliche von häufigeren Fehlern oder einer Gereiztheit gegenüber Kundschaft oder Kollegen.

Bei Teamarbeit können die Fehler eines ermatteten Mitglieds ein Risiko für andere bedeuten. Und für Pflegepersonal kann sich die Belastung noch verdoppeln, weil es Verantwortung trägt für andere Menschen, die aufgrund von Alter oder Krankheit bei Hitze schneller leiden und in Gefahr geraten. In Altenheimen oder Krankenhäusern haben die Angestellte folglich zusätzliche Arbeit, und das bei einer tendenziell eingeschränkten eigenen Leistungsfähigkeit.

Ein Tag mit großer Hitze kostet die Wirtschaft so viel wie ein halber Streiktag

Die Gesamtbelastung wird dann schnell zu viel: Die Zahl der Krankmeldungen wegen diagnostizierter Hitzeschäden hat sich allein von 2011 bis 2019 fast vervierfacht, von 27 auf 103 pro 100.000 Versicherte, zeigen Daten der Betriebskrankenkassen. Krankenpflegekräfte gehörten zu den besonders betroffenen Berufsgruppen. 34 Millionen Arbeitsstunden konnten 2022 in Deutschland wegen Hitze nicht geleistet werden, hat das Autorenteam des Lancet Countdown-Reports berechnet. Ein Tag mit Hitze über 32 Grad entspreche in seinen wirtschaftlichen Folgen einem halben Streiktag, bei dem die Belegschaft die Arbeit ganz niederlegt, so fasst es ein Analyseteam der Allianz-Versicherung zusammen. Und an Tagen ab 30 Grad Celsius liegt die Wahrscheinlichkeit von Arbeitsunfällen womöglich um fünf bis sieben Prozent höher, als wenn das Thermometer um die 20 Grad anzeigt, so zumindest eine Studie aus den USA.

 

Die Zahl der Krankmeldungen wegen Hitzeschäden hat sich von 2011 bis 2019 fast vervierfacht, von 27 auf 103 pro 100.000 Versicherte

 

Die deutschen Vorschriften zum Arbeitsschutz erlegen es dem jeweiligen Arbeitgeber auf, für die beiden Phänomene UV-Strahlung und Hitze die Gefährdung ihrer Angestellten zu beurteilen. Und angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um sie zu reduzieren. Diese Verpflichtung der Arbeitgeber sei das „zentrale Instrument im betrieblichen Arbeitsschutz“, sagte Carina Jehn von der DGUV (Deutsche gesetzliche Unfallversicherung, Dachverband der Berufsgenossenschaften) bei einem Werkstattgespräch des Projekts „Arbeit Sicher und Gesund“, in dessen Rahmen auch dieser Artikel erscheint. Unternehmen können sich dabei an Mustern von Hitzeaktionsplänen orientieren (zum Beispiel für die Bauwirtschaft, die Pflege, die Gastronomie). Sie definieren Gefahren, Aufgaben und Verantwortlichkeiten wie die rechtzeitige Beschaffung von Ausrüstung und Verbrauchsmaterial wie Wasser und Sonnencreme.

Nicht immer sind die Arbeitgeber allerdings damit zufrieden, derart herausgehoben in der Verantwortung zu stehen: „Auch die Möglichkeiten außerhalb des Arbeitsschutzes müssen ausgeschöpft werden, um die Auswirkungen des Klimawandels auf den einzelnen zu reduzieren“, erklärt zum Beispiel der Zentralverband des Deutsches Baugewerbes (ZDB) auf Anfrage Es gehe dabei vor allem um Ausbildung, Eigenvorsorgebewusstsein und eine gesamtgesellschaftliche Sensibilität für das Thema.

Bei der Reaktion auf die festgestellten Gefährdungen gilt im Arbeitsschutz übrigens das sogenannte TOP-Prinzip, wonach technische Maßnahmen den Vorrang vor organisatorischen haben, die wiederum eher als persönliche ergriffen werden sollten. Chefinnen und Chefs sollten also zunächst für Schatten, Lüftung und Kühlung sorgen. Dann womöglich die Arbeitszeit an heißen Tagen anders organisieren, Personal zwischen wärmeren und kühleren Arbeitsplätzen rotieren lassen und längere Pausen oder zumindest „Entwärmungsphasen“ anbieten, wie es juristisch heißt. Und erst am Schluss leichtere Dienstkleidung genehmigen und ausreichend kühle Getränke bereitstellen.

Veränderte Arbeitszeiten bei Hitze finden nicht alle gut

Oft genug aber weicht die Realität von solchen Vorgaben ab. Laut DAK-Gesundheitsreport 2024 achtet bei fast der Hälfte der Befragten das Führungspersonal bei Hitze nicht ausreichend auf das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter oder deren gesundheitliche Risiken. Und was in den Betrieben passiert, folgt nicht unbedingt dem TOP-Prinzip: Fast drei Viertel der Beschäftigten sagen, ihr Unternehmen stelle bei Hitze Getränke zur Verfügung; die meisten nutzen das Angebot auch (Kategorie P). Ähnliche Prozentsätze werden beim Verschatten und Verdunkeln des Arbeitsplatzes erreicht; Ventilatoren oder Klimaanlagen gibt es für etwa zwei Drittel der Befragten (Kategorie T). Jedoch bekommen nicht einmal 40 Prozent der im Freien Beschäftigten persönlichen Sonnenschutz wie Sonnencreme oder eine Kopfbedeckung vom Arbeitgeber gestellt (Kategorie P). Einer anderen Umfrage zufolge berichten nur 21 Prozent der Befragten in der Bauwirtschaft von Sonnenschirmen oder Überdachungen draußen (Kategorie T).

Weniger als die Hälfte könnte mit Billigung der Vorgesetzten die Arbeitszeiten verändern, mehr Pausen machen oder zuhause arbeiten (Kategorie O). Hier schlägt aber auch ein größerer Anteil der Angestellten die Offerten aus. Am wenigsten beliebt ist eine Art Siesta, also eine verlängerte Mittagsruhe – vermutlich weil die Menschen lieber früher nach Hause wollen, sich um Kinder oder Pflegebedürftige kümmern müssen. Auf dem Bau, so ergänzt der ZDB, seien dem Vorziehen der Arbeit in kühlere Morgenstunden auch durch Arbeitszeitregelungen und Lärmschutz Grenzen gesetzt.

 

 

 

 

Asphaltarbeiten in praller Sommersonne – Hitzewellen machen Jobs wie diese noch härter. Ein Kurzvideo des Bundesministeriums für Arbeit zeigt dieses und weitere Beispiele dafür, wie der Klimawandel die Arbeitswelt verändert; Quelle: BMAS-Screenshot

Solche Reaktionen auf Hitze und UV-Belastung liegen nicht allein im Ermessen der Vorgesetzten. Im Arbeitsschutz gelten klare Vorschriften: Die Arbeitsstätten-Verordnung etwa besagt: „Werden die Beschäftigten auf Arbeitsplätzen im Freien beschäftigt, so sind die Arbeitsplätze nach Möglichkeit so einzurichten, dass die Beschäftigten nicht gesundheitsgefährdenden äußeren Einwirkungen ausgesetzt sind.“ Was das genau bedeutet, speziell auch in Bezug auf den Klimawandel, soll eine neue Technische Regel ASR A5.1 konkretisieren. Zu ihrem ersten Entwurf lagen 500 Einwände und Bemerkungen vor, die zurzeit abgearbeitet werden.

Für Arbeitsplätze in Gebäuden gilt bereits die Technische Regel ASR A3.5 zur Raumtemperatur; daran angelehnt werden auch viele Arbeitsplätze draußen zurzeit beurteilt. Sie benennt drei absolute Temperaturschwellen: Ab 26 Grad soll der Arbeitgeber reagieren, ab 30 Grad muss er. Wasser und Sonnencreme, wo nötig, sowie alle anderen, nach dem TOP-Prinzip früher zu ergreifenden Maßnahmen gehen dann auf Kosten des Betriebs. Und ab 35 Grad ist ein Raum oder Arbeitsplatz für die Arbeit ungeeignet. Im Freien können die Beschäftigten trotzdem oft nicht an einen kühleren Ort wechseln. In einem Video der Gewerkschaft IG BAU berichtet Dirk Assmann, ein Polier und Betriebsrat, vom Straßenbau im Hochsommer: Der Asphalt komme „mit Temperaturen um die 160 Grad auf die Baustelle. Das heißt also, man hat unter sich vom Prinzip her eine überdimensionierte Fußbodenheizung, und von oben kommt der Lorenz und brennt auch.“

Die höchste UV-Belastung haben oft die Beschäftigten auf dem Bau

Das „Brennen“ im Sinne von „Sonnenbrand“ ist bei Arbeit im Freien in der Tat eine große Gefahr. Seit 2015 ist der durch den UV-Anteil im Sonnenlicht bei der Arbeit ausgelöste weiße Hautkrebs als Berufskrankheit 5103 anerkannt; seither warnen vor allem die Gewerkschaften und Berufsgenossenschaften als gesetzliche Unfallversicherungen intensiv vor dieser Gefahr. Diese sogenannten Plattenepithelkarzinome waren 2023 in der Baubranche mit fast 3000 Verdachtsfällen die zweithäufigste Berufskrankheit nach Lärmschäden.

Um die Gefahr genauer zu erfassen, schickt das Genesis-Programm der DGUV seit Jahren Beschäftigte mit Messgeräten zur Arbeit: Demnach gehören viele Berufe auf dem Bau zu den meist-gefährdeten: Bohrgeräteführer, Dachdecker, Zimmerer und Maurer kommen alle während der warmen Jahreszeiten eines Jahres auf mehr als 450 SED (Standard-Erythem-Dosis), eine Messgröße für die Toleranz der menschlichen Haut gegenüber der Sonnenstrahlung. Zum Vergleich: Bereits ein SED an einem Tag reicht aus, um bei hellhäutigen, rötlich-blonden Menschen Sonnenbrand auf ungeschützter Haut auszulösen, bei etwas dunkleren Typen braucht es dafür drei SED.

Im Agrar-Sektor fallen Erntehelferinnen sowie Obst- und Gemüsegärtner ebenfalls in die Kategorie oberhalb 450 SED. In der Außengastronomie waren die Werte jedoch deutlich geringer, vermutlich weil die Beschäftigten zwischen draußen und drinnen pendeln und es in den Wirtshausgärten oft Schattenbäume gibt.

Nur, ob das mit der Gefährdungsanalyse durch den Arbeitgeber und dem Sonnenschutz immer klappt, daran kann man zweifeln. „In Deutschland kommt auf 10.000 Arbeitnehmer auf dem Bau ein Kontrolleur, der auf Arbeitsschutz achtet“, sagt Gerhard Citrich, bei der Gewerkschaft IG BAU für Prävention zuständig. „Große Betriebe haben Beauftragte dafür, da klappt das besser. Aber bei den kleinen, da wird viel improvisiert. Und 80 Prozent der Unternehmen haben zehn Leute oder weniger.“ Schwarzarbeit, die nach Schätzungen ein Drittel aller Arbeitsstunden auf dem Bau ausmachen könnte, verschärft das Problem. Wo es Sub-Subunternehmer oder die Vermittler von Leiharbeitern schon mit Steuern und Sozialabgaben nicht so genau nehmen, dürfte auch Hitze- oder Sonnenschutz wenig Priorität haben. Schädlich ist vermutlich auch, dass Klimafragen immer noch als „Ideologie“ oder parteipolitisches Spezialthema der Grünen dargestellt werden, über die man sich unter Kollegen bestenfalls lustig macht.

 

„In Deutschland kommt auf 10.000 Arbeitnehmer auf dem Bau ein Kontrolleur, der auf Arbeitsschutz achtet“

 

Warum die richtige Information nicht ankommt, hat Ronja Endres vom Peco-Institut, einer Bildungseinrichtung der IG BAU, bei Schulungen in Berufsschulen erlebt: „Seit einigen Jahren, und vor allem im vergangenen Jahr kommen von den Azubis immer wieder Äußerungen, die die Erkenntnisse der Klimaforschung in Frage stellen.“ Das sei ja nur die Meinung von einem Forscher und es gebe auch andere Meinungen, wird Endres entgegengehalten. „Wenn man dann nachfragt, wo die das herhaben, kommt als Antwort: Gelesen. Wahrscheinlicher ist es, dass sie Videos auf TikTok gesehen haben.“

Die jungen Männer und Frauen in den Berufsschulklassen hätten in ihrem schulischen Leben nicht erklärt bekommen, wie Wissenschaft funktioniert und wo das Wissen eigentlich herkommt, so deutet Endres das. Außerdem erlebten sie, wie ihre Branche als Mit-Verursacher der Klimakrise dargestellt werde. Und sie sähen ihren erträumten Lebensstil bedroht, was zum Beispiel den Kauf eines attraktiven Autos angeht. Solche Gefühle und Wahrnehmungen, weiß die Kommunikationsforschung, machen empfänglich für Desinformation.

Doch die Jungen, die so reden, sind nicht verloren, hat Endres immer wieder erlebt. Grundvoraussetzung ist es, in ihrer Sprache mit ihnen zu sprechen und die Kultur des Respekts auf dem Bau zu beherzigen, also Respekt für sie zu zeigen und für sich selbst einzufordern. „Und wo wir sie dann kriegen: Wir sagen ihnen, was für einen tollen Job sie jetzt erlernen, in dem nach vielen Jahrzehnten wieder richtige Innovation passiert, etwa bei den Dämmtechniken. Daran haben die richtig Interesse und sogar Spaß an Gruppenarbeit, wo sie Ideen für nachhaltige Häuser entwickeln.“

Hitzebedingte Risikogruppe? Das gilt nicht nur für die Pflegebedürftigen, sondern auch für die Pflegekräfte selbst

In der Medizin- und Pflegebranche läuft vieles anders als auf dem Bau, vor allem, weil einflussreiche Organisationen wie KLUG (Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit) die Erderhitzung mit guten Argumenten als Bedrohung der Gesundheit beschreiben. Um diese abzuwenden, hat die Arbeiterwohlfahrt das erwähnte Programm Higela mit 40 Einrichtungen in fünf Regionen aufgelegt.

„Es ist auch deswegen sehr gut aufgenommen worden, weil es auch auf die Mitarbeitenden zielt, nicht nur wie sonst immer allein auf die Pflegebedürftigen“, sagt Elisabeth Olfermann vom AWO-Bundesverband in Berlin. „Auch die Pflegekräfte sollten sich selbst als Risikogruppe wahrnehmen.“ Die empfohlenen Maßnahmen gehen darum über Schatten und Lüftung hinaus, dazu gehören unter anderem: kühle Räume als Rückzugsorte ausstatten, viele kleine Pausen machen, die Beine hochlegen und den Zusammenhalt im Team, das gegenseitige Achtgeben verstärken.

Ein wichtiges Element ist oft auch die Dienstkleidung. „Manche Einrichtungen haben noch dicke Baumwoll-Kasacks“, sagt Olfermann. „Die könnte man durch leichtere Stoffe ersetzen, aber oft sind dann die bestehenden Verträge mit Lieferanten oder Wäschereien ein Hindernis.“ Diese Bewältigungsstrategien fassen eine Broschüre oder ein Ringbuch zusammen, die Teams in den Einrichtungen Seite für Seite gemeinsam durchgehen können, um sich später zu vernetzen und über Erfahrungen auszutauschen. Das Programm regt also zur Kommunikation in den Einrichtungen an und strukturiert die Gespräche. Für Anpassungsmaßnahmen gerade in Pflegeeinrichtungen hat das Bundesumweltministerium auch ein Förderprogramm ausgelobt.

Anpassung und Transformation müssen Hand in Hand gehen

In den drei Branchen Pflege, Gastronomie und Bau, die dieser Artikel exemplarisch behandelt, sind – wie in vielen anderen – die Möglichkeiten längst bekannt, die Arbeitsbedingungen an zunehmende Hitze und UV-Belastung anzupassen. Sie werden aber unterschiedlich konsequent umgesetzt. Besonders schwierig ist es, wenn es Kostendruck und keine durchsetzungsfähigen Arbeitnehmervertretungen wie Betriebsräte gibt. Und dann besonders dort, wo der Personalmangel groß ist oder die Beschäftigungsverhältnisse prekär sind. Dann haben die Arbeitnehmer kaum Hebel, ihre Rechte einzufordern, und die Betriebe wenig Motivation, von selbst darauf zu achten. „Wenn nichts getan wird“, um das zu ändern, mahnt darum ein Kommentar der Süddeutschen Zeitung, „zahlen die Angestellten mit ihrer Gesundheit und Unternehmen mit Produktivitätsverlusten.“

 

„Wenn die Klimakrise weiter voranschreitet und es immer heißer und heißer wird, können wir uns irgendwann nur noch begrenzt anpassen“

 

Auf die Dauer, sagen viele Experten, ist der beste Schutz vor den zunehmenden Belastungen durch Hitze und UV-Strahlung ohnehin Klimaschutz, also eine weitreichende Reduktion der Treibhausgas-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität. In allen drei Branchen sind daher auch schon Ansätze zu erkennen, die Arbeit und das Geschäft nachhaltiger zu gestalten. Baufirmen experimentieren mit Beton, bei dessen Herstellung und Verarbeitung weniger Treibhausgase anfallen, Restaurants und Gasthäuser bieten – auch auf Nachfrage der Gäste – mehr Speisen ohne Fleisch oder tierische Produkte an. Pflege-Einrichtungen versuchen, den Fußabdruck des laufenden Betriebs zu verringern und geben sich auf der Ebene ihre Verbände ehrgeizige Ziele, um deutlich vor 2045 klimaneutral zu werden. In all diesen Fällen müssen sich die Bemühungen, gefordert und gefördert vom Staat, aber deutlich beschleunigen und intensivieren.

Es ist nämlich schon zu erkennen, dass die Veränderungen der Abläufe an heißen Tagen nicht ausreichen könnten, sollte die Erderhitzung nicht effektiv gebremst werden. „Wenn parallel die Klimakrise weiter voranschreitet und es immer heißer und heißer wird“, sagt Lea Dohm von KLUG, „dann können wir uns irgendwann eben nur noch begrenzt anpassen.“