Der folgende Text ist in Form und Inhalt ungewöhnlich für klimafakten.de.
Wir haben uns dennoch zur Veröffentlichung entschlossen, weil die Frage,
wie Menschen mit Ergebnissen der Wissenschaft umgehen, eine der zentralen Fragen unseres Portals ist -
und der Gastbeitrag von Eckart John einen in seiner Ehrlichkeit
bemerkenswerten Einblick in eine höchst persönliche Auseinandersetzung mit Wissenschaft gibt.
"Sie sind ein Klimaskeptiker? Sie glauben nicht, dass der Mensch verantwortlich ist für die CO2-Zunahme in der Atmosphäre und für den gegenwärtigen Klimawandel? Genau! Was hat man schon an Beweisen!? Das bisschen Kohlendioxid, das wir im Verhältnis zur Natur freisetzen, kann wohl kaum die Ursache sein! Kommen nicht auch viele andere Ursachen infrage? Und gab es in der Erdgeschichte nicht früher schon Zeiten mit noch mehr CO2 in der Atmosphäre!? Lange bevor Menschen existierten!?
Auch ich war einmal ein sogenannter "Klimaskeptiker" – also jemand, der an grundlegenden Befunden der Klimawissenschaften zweifelte. Ich hatte reihenweise Bücher und andere Veröffentlichungen von "Klimaskeptikern" gelesen. Ich kannte ihre üblichen Argumentationen und Behauptungen in- und auswendig: Aus der Erdgeschichte ist doch bekannt, dass eine Zunahme von CO2 in der Atmosphäre nicht Ursache, sondern Folge des Klimawandels ist! Die gegenwärtige Erwärmung ist nicht ungewöhnlich, vor 600 Jahren zum Beispiel war Grönland eine grüne Insel! Der Einfluss der Sonne auf das Klima wird unterschätzt! Und gibt es nicht sowieso Klimazyklen, die sich auf der Erde in unterschiedlichen Rhythmen wiederholen und überdecken?
"Mich ärgerten die apokalyptischen Warnungen vor der Klimakatastrophe – und arrogante Klimaschützer"
Und überhaupt, was gab es nicht schon alles an Katastrophenszenarien? Die nie eintraten. Hat nicht Malthus schon im 18. Jahrhundert den Untergang der Menschheit aus Ernährungsmangel vorhergesagt? Hat der Club of Rome nicht 1972 das Ende des Wirtschaftswachstums prognostiziert? Die Erinnerung an solche Prophezeiungen, die sich dann nicht bewahrheiteten, war es, die mich zu den "Klimaskeptikern" führte. Vor allem aber die – wie ich fand – arrogante Attitüde vieler Wissenschaftler und Umweltaktivisten, sie seien im Besitz der absoluten Wahrheit.
Ich weiß noch genau, wie es begann. Am Ende meiner Schulzeit (ich bin Abiturjahrgang 1963) gab es Stimmen, die eine neue Kälteperiode vorhersagten, ja vor einer neuen Eiszeit warnten. Später sollte uns das Waldsterben drohen. Es folgte das Ozonloch. Und kaum war diese apokalyptische Bedrohung von den Titelseiten der Zeitungen verschwunden, dräute die Erderwärmung.
Ich fragte mich damals: Will die Presse mit Katastrophenmeldungen ihre Auflagen erhöhen? Versucht sie mitzuhalten mit Weltuntergangsfilmen wie jenem, in dem Köln unter Wasser steht und das Gesundheitssystem infolge Überlastung zusammenbricht? Köln unter Wasser – genau, diese Schreckensvision hatte auch der Spiegel im August 1986 auf seinem Titelbild ausgemalt, nur der Dom schaute noch heraus. Und dann dieses ewige, mitleidige Gejammer um die Eisbären! Wo waren die denn im Mittelalter, als es wärmer war als heute? Da sind sie ja offensichtlich auch nicht ausgestorben ...
"Aus der Medizin kannte ich das Phänomen, dass man am ehesten Geld verdient mit Studien, die im Trend liegen“
Ich war mehr als 30 Jahre lang Arzt, als Allgemeinmediziner immer nahe am Menschen, an Realitäten. Ich habe immer die Erfahrung gemacht, dass ich mit drastischen Äußerungen nur das Gegenteil des Beabsichtigten erreiche. Offenheit und klare Haltung – aber eben ohne Übertreibungen – bewirken meist das Gewünschte. Wenigstens bei mir und, wie ich annahm, ebenso bei meinen Patienten.
Auch (oder gerade) in der Medizin ist vieles anfangs nicht eindeutig. Umso wichtiger ist es, alle Facetten zu berücksichtigen und mit Vernunft und Augenmaß zu reagieren und zu handeln. Die schrillen Warnungen vor einer "Klimakatastrophe" (so die Schlagzeile auf erwähntem Titelblatt des Spiegel) schienen mir das genaue Gegenteil zu sein. Aus der Medizin kannte ich zudem das Phänomen, dass man am ehesten Geld verdient mit Forschungen, die im Trend liegen. Und dass Studien, die erwünschte Thesen nicht bestätigen, eher nicht veröffentlicht werden, sondern in den Schubladen verschwinden. Warum sollte es beim Thema "Klimawandel" anders sein?
Andererseits hätte ich viel Zeit gebraucht, um die CO2-bedingte Klimaerwärmung wirklich zu verstehen, die wichtigsten Details zu überprüfen und nachzuvollziehen. Diese fehlte mir neben dem Beruf – ich hatte genug Probleme zu lösen und keine Zeit, mich im Detail mit Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen zu beschäftigen, mit Sonnenflecken und kosmischer Strahlung, mit Milanković-Zyklen und Dansgaard-Oeschger-Ereignissen und so weiter.
"Ich hätte den Eindruck, mit den Fragen der sogenannten Klimaskeptiker werde nicht ernsthaft umgegangen"
Ich hatte zwar einen Computer in der Praxis zu stehen, aber einen PC mit Internetzugang hatte ich nicht. Die Erklärungen in der Presse waren zu vage, zu widersprüchlich, zu wenig überzeugend. Ich hatte zudem den Eindruck, mit den Einwänden der sogenannten "Klimaskeptiker" werde nicht wirklich ernsthaft umgegangen. Mir erschien es so, als wolle man mit diesen Ungläubigen einfach nicht reden. Ich war also unzufrieden, nicht überzeugt von der etablierten Klimaforschung – und sauer auf die Klima-Horrorszenarien. Der Ärger darüber vertiefte mein grundsätzliches Misstrauen.
Allerdings war ich nie Anhänger irgendeiner Alternativ-Theorie dazu, warum sich die Erde derzeit erwärmt (oder ob sie es überhaupt tut). Ich habe nie heftige Diskussionen geführt, um jemand anderen davon zu überzeugen, dass die Klimawissenschaft falsch liegt. Ich war durchaus sensibel für Umwelt-Themen, meine Kinder schenkten mir Bücher wie So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen (Hoimar v. Ditfurth) oder Zukunftsfähiges Deutschland (Wuppertal-Institut). Bereits Ende der 1970er Jahre entschieden wir uns, als wir ein Haus bauten, für eine Erdwärmeheizung. 2002 ließen wir uns eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach schrauben. Später beteiligten wir uns an Solarparks.
Doch aus meinem Beruf war ich gewohnt zu denken, dass ich eine Frage offenlassen muss, wenn ich etwas noch nicht genau weiß. Ich habe als Arzt nicht gedacht: "Ich finde nichts, also hat der Patient nichts." Sondern: "Ich habe noch nicht die eigentliche Ursache gefunden und muss weiter suchen." Je weniger ich den Eindruck hatte, dass die "Klimaskeptiker" ernstgenommen werden, desto mehr neigte sich meine Sympathie ihnen zu.
"Bei genauer Betrachtung wurde mir schnell klar: Die Argumente der Wissenschaftskritiker sind widersprüchlich"
Ich bin ein Sammelfan. Wo immer ich in Zeitungen oder Zeitschriften etwas über die Umwelt las, hob ich es auf: DDT noch unersetzlich (1972), PVC-Giftigkeit (1974), Steht uns eine Eiszeit bevor? (1980), Bevölkerungsexplosion (1981), Wird die Sonne langsam kälter? (1981), Waldsterben (1985), Horrorszenarien über Tschernobyl oder Segen der Atomenergie zur sauberen Energiegewinnung (1986), Müllkippe Nordsee (1987), Treibhauseffekt durch Spurengase (1989), Recycling von Plastikmüll (1994), Kyoto (1997), Verfälschte Temperaturmessungen durch Höhenverlust der Satelliten (1998), Dioxine nach 25 Jahren Seveso (2001) und so weiter und so fort. Interessanterweise stammt die erste Meldung über den Einfluss von Kohlendioxid auf eine Klimaerwärmung in meinem Fundus bereits von 1979!
Ich sammelte und sammelte – kam aber nie zu einem Ergebnis. Wie auch? Die Wissenschaft, so mein Eindruck, war sich ja auch alles andere als einig. Und welcher Wissenschaftler war schon so frei von fremden Einflüssen, dass er wirklich unabhängig forschen kann? Nein, ich wollte eindeutige, überzeugende Beweise – und die gab es nicht, jedenfalls nicht in den üblichen Medien.
Dann ging ich 2003 in Rente. Ich hatte mehr Zeit zum Recherchieren und Lesen.
Die sogenannten "Klimaskeptiker" vertreten ja eine Vielzahl von Argumenten. Sie führen zum Beispiel viele verschiedene Dinge an, die in Wahrheit die Ursache für die beobachtete Veränderung des Erdklimas sein sollen. Doch alle gleichzeitig können nicht die Ursache sein, das ist blanke Logik! Viele Behauptungen sind widersprüchlich, schließen sich teils gegenseitig aus. Also, fragte ich mich, was ist es denn nun, was die Erde erwärmt, wenn nicht der Mensch?
Ich versuchte, wirklich offen und unvoreingenommen zu sein. Bei meinen weiteren Nachforschungen las ich die Argumente der "Klimaskeptiker" dann genau – und natürlich die Argumente ihrer (und meiner) Gegner. Besonders am Anfang las ich viel im Internet. Inzwischen besaß ich einen Computer mit Web-Zugang und hatte gelernt mit ihm umzugehen. Ich hangelte mich von Link zu Link. Und je länger ich las, desto mehr überzeugte mich, dass der gegenwärtige Klimawechsel zumindest auch mit dem Kohlendioxid zusammenhängt.
Das bedeutete nicht, dass andere Ursachen für mich ausgeschlossen waren. Noch heute bin ich davon überzeugt, dass die Sonnenflecken einen Einfluss auf das Klima haben – aber damit stehe ich gar nicht, wie ich einst annahm, im Gegensatz zur Wissenschaft. Dass die Sonne einen gewissen Einfluss hat, bestreitet niemand – nur wird er zunehmend vom Menschen überlagert. Ich suchte und las Bücher, besonders überzeugend fand ich Bringen wir das Klima aus dem Takt? von Mojib Latif und Wie bedroht ist unser Ozean? von Rahmstorf/Richardson. Ich las Zeitschriftenbeiträge, zum Beispiel in Bild der Wissenschaft mit mehr Verständnis. Zunehmend tauchten auch in der allgemeinen Presse Berichte mit besserer Darstellung auf.
"Vor allem ein Aspekt überzeugte mich zunehmend: Der Klimawandel findet bereits heute und auch vor unserer Haustür statt"
Im Nachhinein muss ich feststellen, dass es vor allem ein Aspekt war, der mich mehr und mehr wegführte von den "Klimaskeptikern": Beim Lesen wurde mir immer klarer, dass der Klimawandel bereits heute stattfindet – und dass er dramatischer werden dürfte, als es in der normalen Presse zu lesen ist. Über die einzelnen Ursachen und ihren genauen, jeweiligen Beitrag kann man vielleicht noch streiten – aber nicht um die Tatsache an sich!
Leider fand ich nur sehr wenige Bücher, die sich im Detail mit den Argumenten der Zweifler beschäftigten – man scheint weiterhin nicht miteinander sprechen zu wollen. Trotzdem änderte sich mein Standpunkt ganz langsam. Ich hatte kein Problem damit – denn wie sagte schon Konrad Adenauer: "Man ist nie zu alt, um nicht dazuzulernen."
Wie lief nun der langsame Sinneswandel ab? Lassen Sie mich ein paar meiner Gedankengänge kurz schildern: Der Mensch produziert ja unzweifelhaft CO2, circa vier Prozent der weltweit (zum Beispiel aus Böden) entstehenden Menge an Kohlendioxid gehen auf seine Aktivitäten zurück. Ja, lediglich vier Prozent – aber dieses CO2 verschwindet ja nicht einfach wieder. Klar, ein Teil wird von Pflanzen aufgenommen – aber das andere bleibt in der Atmosphäre oder im Meer. Und vier Prozent, das sind, ganz grob gerechnet, schon innerhalb von 13 Jahren etwa 50 Prozent eines Jahresumsatzes des Kohlenstoffkreislaufes der Erde. Und tatsächlich lässt sich ja unzweifelhaft feststellen, dass der CO2-Gehalt in der Atmosphäre von knapp 300 auf mehr als 400 ppm gestiegen und das Meer bereits messbar saurer geworden ist, trotz seiner riesigen Ausdehnung.
"Trotz gewisser Unsicherheiten – was wir bereits sicher über den Klimawandel wissen, ist genug, um es nicht einfach zu übergehen"
Dass die Durchschnittstemperatur auf der Erde inzwischen um rund ein Grad zugenommen hat, passt zu den Vorausberechnungen von Klimamodellen. Dass es bei der Temperaturentwicklung Schwankungen gibt, ist selbstverständlich – das Klima ist ein natürliches System mit kurzfristigen Auf- und Ab-Bewegungen. Aber die wärmsten zehn Jahre seit Beginn der Temperaturmessungen sind allesamt in jüngster Zeit aufgetreten. Die Sonnenaktivität kann dies nicht erklären, denn in den letzten Jahren traten relativ wenige Sonnenflecken auf – was eigentlich heißen müsste, dass die Durchschnittstemperatur sinkt.
Natürlich, obwohl die Klimamodelle immer besser werden, können sie das hochkomplexe Klimasystem der Erde noch nicht in allen Details nachzeichnen. Zur Wirkung des Wasserdampfs zum Beispiel gibt es sicherlich noch offene Fragen. Doch wenn wir mit offenem Geist auf die Ergebnisse der Klimawissenschaft schauen, dann müssen wir zugeben, dass wir das, was wir bereits sicher wissen, nicht einfach übergehen können.
Drei weitere, grundsätzliche Erwägungen noch: Erstens steigt ja durch das Verbrennen von Kohle, Erdöl und Erdgas nicht nur die CO2-Konzentration in der Atmosphäre (mit all ihren Folgen), sondern durch den übermäßigen Verbrauch beschneiden wir auch die Entwicklungsmöglichkeiten unserer Nachkommen. Müssen wir – zweitens – eigentlich hundertprozentig sicher sein, wer im Streit zwischen "Klimaskeptikern" und Wissenschaft Recht hat? Klar, theoretisch könnten wir abwarten, ob CO2-Anstieg und Klimaerwärmung, das Abschmelzen des Eises, das Tauen der Permafrostgebiete, der Meeresspiegelanstieg, die Versauerung der Ozeane, die Verschiebung von Klimazonen, die Zunahme von Extremwetterlagen wie Hitzewellen und Starkregen – ob all diese Entwicklungen irgendwann aufhören, weil irgendein natürlicher Zyklus an sein Ende kommt. Aber wie lange sollen wir warten? Entscheiden wir zu spät, gibt es kein Zurück.
"Ich will nicht, dass irgendjemand Recht behält – ich will, das Richtiges getan wird"
Und wie wichtig ist es überhaupt – drittens –, den menschlichen Anteil am Klimawandel ganz exakt zu beziffern? Klar ist, dass wir natürliche Prozesse nicht beeinflussen können. Das einzige, was wir tun können, um den zweifellos ablaufenden Klimawandel zu bremsen, ist eine Senkung unserer Treibhausgasemissionen. Wenn der vom Menschen ausgelöste CO2-Anstieg auch nur eine Mitursache sein sollte, dann laden wir, wenn wir nichts oder zu wenig unternehmen, eine unendlich schwere Schuld auf, die wir vor unseren Enkeln und Urenkeln zu verantworten haben.
Ich will nicht, dass jemand Recht behält. Ich will, dass Richtiges getan wird. Würde ich als Mediziner auf vergleichbar gesicherte und vergleichbar ernste Diagnoseergebnisse blicken – ich fände es unverantwortlich, nicht zu handeln."
Dr. Eckart John wurde 1943 in Hermannstadt (heute Rumänien) als Kind deutscher Eltern geboren und wuchs ab 1946 in Delmenhorst auf. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Medizin in Mainz und Hamburg. Von 1975 bis 2003 praktizierte John als Allgemeinmediziner im nordrhein-westfälischen Ibbenbüren, wo er bis heute lebt. Er hat zwei Kinder und drei Enkelkinder. Im Jahr 2015 schrieb er ein Buch zur globalen ökologischen Krise.
Korrektur: Durch einen Redigierfehler war in einer früheren Version des Textes das Spiegel-Titelbild mit dem Kölner Dom fälschlich auf 1996 datiert, korrekt ist 1986.