Petra Pinzler ist Hauptstadtkorrespondentin der Wochenzeitung Die Zeit. Im März erschien im Verlag Droemer ihr Buch "Vier fürs Klima – wie unsere Familie versucht, COneutral zu leben".
Der folgende Text ist ein leicht bearbeiteter Nachdruck aus der Schwerpunkt-Ausgabe "Medien und Nachhaltigkeit" der Zeitschrift Politische Ökologie.

 

Anthropo – was? Wahrscheinlich würde die Frage nach dem Anthropozän in den meisten Redaktionen mit dieser Gegenfrage beantwortet. Wahlweise mit einem verständnislosen Blick, einem "Hä?" oder der Bitte, sich doch mal klarer auszudrücken. Denn viele Journalist(inn)en ahnen zwar, dass es so etwas wie ein Menschenzeitalter gibt, dass also der Mensch zum ersten Mal in der Geschichte der Erde diese unwiderruflich negativ verändern kann. Manche fürchten auch die kon­kreten Folgen, sorgen sich wegen der Ausbreitung der Wüsten, trauern über das Sterben der Insekten oder die Abholzung der Urwälder und berichten sogar über das ein oder andere Phänomen. Trotzdem kennen die meisten wahrscheinlich we­der den Begriff Anthropozän, mit dem der niederländische Atmosphärenforscher Paul Crutzen all diese Ausprägungen zusammengefasst hat. Noch denken sie täg­lich darüber nach, was diese für ihre Arbeit bedeuten. Oder dass ihr Medium vielleicht nicht mehr nur zufällig, sondern kontinuierlich und systematisch über all diese Phänomene berichten müsste – und zwar als eine Folge menschlichen Fehlverhal­tens.

Die Idee, mit den Kolleg(inn)en in einer Redaktionskonferenz über das Anthropozän zu reden, erscheint daher ziemlich verwegen. Will man es trotzdem tun, steht man vor einer doppelten Herausforderung. Denn einerseits ist das Thema komplex und kompliziert. Eine neue Epoche und all ihre Folgen können Menschen bestenfalls hinterher vollumfänglich beschreiben, wenn das Gröbste vorbei und dann auch noch jemand da ist. Andererseits ist über die ersten realen und die vie­len potenziellen Veränderungen schon so oft berichtet beziehungsweise vor ihnen dramatisch gewarnt worden, dass beim Publikum längst Langeweile eingesetzt hat. Das Anthropozän liegt damit gewissermaßen im redaktionellen Niemands­land.

Der Klimawandel und die Grundregeln des Journalismus

Nichts zeigt das deutlicher als der mediale Umgang mit dem Klimawandel, dem be­kanntesten Phänomen des neuen Zeitalters. Jede seriöse Zeitung, jeder Radiosender, jeder Fernsehkanal hat über die Wirkung des von Menschen zu verantwortenden Ausstoßes von CO2 berichtet, und auch über die Folgen. Manche sogar viele Male, mit dramatischen Worten und verbunden mit harten Forderungen nach einer anderen Politik. Das Thema ist also (rein journalistisch betrachtet) alt. Doch damit nicht genug, es ist auch noch abstrakt: Denn noch leiden die Menschen nicht oder wenn nur sehr punktuell in Form von Unwettern unter den Folgen des Wandels, jedenfalls in Deutschland. Also bleibt der Klimawandel für sie persönlich so fern wie der Bürgerkrieg im Sudan oder der verhungernde Eisbär auf der Scholle. Beides ist bitter. Aber es berührt die Wirklichkeit der meisten Leser(innen) nicht. Für die ist die schlimmste Wirkung des Klimawandels bisher wahrscheinlich die ausgefallene Schlittenfahrt – wegen fehlenden Schnees im Winter.

Das klingt zynisch, ist es aber nicht. Denn die fehlende persönliche Nähe der Lese­r(innen) zum Problem ist einer der sehr realen Gründe dafür, dass sich Redaktionen so schwertun, trotz der potenziell menschheitsgefährden­den Folgen des Klimawandels und damit trotz einer objektiv hohen Wichtigkeit häufiger zu berichten. Es gibt noch weitere Gründe und auch die muss man kennen, um zu verstehen, dass die geringe mediale Aufmerksamkeit nicht vor allem an der Schlampigkeit der Redakteure und Redakteurinnen oder der Ignoranz der Chefs und Chefinnen liegt. Sondern dass sich das Anthropozän – paradoxerweise – den Grundregeln des Jour­nalismus entzieht. Erst dann wird man auch Auswege aus dem Dilemma finden.

Zu wenig Überraschung ...

Um in die Zeitung (ähnliches gilt für das Radio und Fernsehen) zu kommen, müs­sen Ereignisse in der Regel neu, interessant oder gefährlich sein. Geschichten soll­ten originell klingen, Phänomene konkret beschreibbar sein, es muss Opfer geben, Helden oder Schuldige. Diese Aufzählung ist mitnichten vollständig; jede Redakti­on hat ein paar eigene Kriterien, nach denen sie Beiträge mischt. Alle Redakteure und Redakteurinnen aber eint zweierlei: Sie müssen aus einer Vielzahl von Beiträ­gen immer wieder aufs Neue auswählen. Vieles weglassen. Und eines unbedingt vermeiden: Langeweile. Denn langweilige Texte vertreiben unweigerlich die Leser, Hörerinnen und Gucker. Und ohne die stirbt früher oder später das Medium.

Jede(r) Journalist(in) lernt deswegen die berühmten W­-Fragen: Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Warum? Woher? Er/Sie muss Nachrichten schreiben und mit ihnen die W’s beantworten können: Wer hat was wann, wo, warum und wie getan, und woher stammt die Information? Wendet man die Regeln der Nachricht auf das Anthropozän an, dann lautet die Antwort etwa so: Die Menschheit (wer) zerstört die Umwelt (was) schon seit einer Weile (wann) auf der ganzen Erde (wo), durch ihre Art des Lebens und Wirtschaftens (wie), weil sie zu dumm ist (warum). Wir wissen das (woher) durch vielerlei Forschung mit immer größerer Sicherheit.

... und dann auch noch langsam, düster, komplex

Leider hat diese Nachricht ein fundamentales Problem: Sie ist keine. All das ist nicht neu. Also wird es diese Information üblicherweise nicht auf die erste Seite einer Zei­tung bringen. Denn mal ehrlich: Der Klimawandel war 2017 eben nur ein bisschen schlimmer als 2016. Und 2016 nur ein bisschen schlimmer als 2015. Oder grund­sätzlicher formuliert: Das Anthropozän birgt (noch) zu wenig Überraschungseffekte, es ist nicht besonders originell. Es ist im Gegenteil langsam, düster, komplex.

Sicher kann man einwenden: Guten Redaktionen sollte schon die Bedeutung des Themas reichen, um trotzdem immer wieder darüber zu berichten. Das stimmt. Und deswegen schrieben Journalist(inn)en in den vergangenen Jahren ja auch immer mal wieder über alle möglichen Folgen des Anthropozäns. Mit Artikeln über neue Studien von Klimaforscher(inne)n oder große Konferenzen schafften sie es sogar hin und wieder auf die erste Seite ihrer Zeitung. Nur sind diese Geschichten in den meisten Redaktionen keine Selbstläufer, es muss für sie oft heftig geworben werden. Und zweitens führten die dann bizarrerweise nicht einmal dazu, dass die Bürger(innen) danach mehr über das Problem wussten: Eine Studie des Hamburger Kommunikationswissenschaftlers Michael Brüggemann ergab jüngst: Vier Fünfteln der Befragten war selbst nach der medial außergewöhnlich gut begleiteten UN-Klimakonfe­renz von Paris 2015 nicht klar, dass die CO2-­Emissionen weltweit nicht etwa sinken, sondern immer noch steigen. Sie haben die Informationen offensichtlich überlesen, ausgeblendet oder gleich wieder vergessen – und damit das Problem der Journalist(inn)en noch verstärkt. Nicht nur verstießen diese mit ihrer kontinuierlichen Klimaberichter­stattung gegen das Prinzip, dass vor allem Neues berichtenswert ist (und ein stetig wachsender CO2­Ausstoß ist nun mal nicht neu). Sie erreichten mit diesen Artikeln auch die meisten Leser(innen) nicht.

Nähe, Personalisierung und Erfahrungsberichte

Konsequenterweise müsste dieser Artikel also nicht nur die Frage beantworten: Wie kommt das Anthropozän in die Redaktionen? Die entscheidende Frage wäre: Wie können Zeitungen über das wichtigste Problem der Menschheit so berichten, dass es die Leser, Hörerinnen und Zuschauer auch erreicht – und sie vielleicht sogar zu einer Veränderung ihres Verhaltens motiviert und damit eine umweltfreundlichere Politik und nachhaltiges Wirtschaften erleichtert? Die Antwort lässt sich möglicherweise dadurch finden, dass man das Anthropozän aus der Ökoecke holt. Wenn es tatsäch­lich so gewaltig ist und jeden Bereich des Lebens durchdringen wird (weil wir Klima, Boden, Tierwelt, Wasser – also alle Bereiche unserer Umwelt massiv verändern), dann müsste es doch auch in allen Ressorts einer Zeitung eine viel stärkere Rolle spielen, in ganz unterschiedlichen Formen.

Funktionieren könnte das beispielsweise:

  • durch anderes Framing: Wo Klima drin ist, muss nicht immer Klima draufstehen. Wenn Zeitungen beispielsweise nicht mehr über Umweltzerstörung schreiben, sondern stärker über die menschlichen Opfer des Anthropozäns, wird aus einem Öko­thema plötzlich ein Gesundheitsthema. Konkret konnte man das im vergangenen Jahr verfolgen: Plötzlich berichteten Zeitungen wochenlang über Autoabgase und ihre Folgen. Durch den Dieselskandal war allgemein bekannt geworden, dass die Abgase nicht nur klimaschädlich sind, sondern die Gesundheit jedes Bürgers und jeder Bürgerin gefährden, wenn er/sie davon zu viel und zu oft einatmet. Damit wurde ein abstraktes Umweltproblem zu einem sehr konkreten Gesundheitsthema – das man in Reportagen am Stuttgarter Neckartor oder an der Berliner Heerstraße be­schreiben konnte. Und die Forderung nach weniger und anderem Verkehr klang plötzlich nicht mehr wie ein altes Stück aus der Öko-Asservatenkammer. Sie war eine hochaktuelle politische Reaktion auf ein konkretes, aktuelles Problem.
  • durch die Herstellung von Nähe: Sehr häufig gelesen werden immer solche Artikel, die Menschen persönlich betreffen. Oder konkret: Dass die Arktis schmilzt, bedau­ert so manche(r) Leser(in) - dass aber die Bienen bald nicht mehr da sind, macht Angst. 
  • durch konstruktiven Journalismus: Bekanntermaßen steigt bei Menschen mit ei­ner positiven Grundstimmung die Fähigkeit, kreativ Probleme zu lösen. Genau das greift der sogenannte "Konstruktive Journalismus" auf. Er verschweigt Probleme nicht, beschränkt sich jedoch nicht auf die Beschreibung oder die Suche nach den Schuldigen, son­dern legt den Schwerpunkt auf  Lösungen. Und damit kann man die Umweltzer­störung als ein Problem beschreiben, das nicht nur düster ist (ja, das ist es), son­dern an dem Menschen etwas ändern können.
  • durch Personalisierung: Wir haben in der ZEIT im Jahr 2017 recherchiert, wie sehr die "Klimakanzlerin" Angela Merkel für den Klimawandel verantwortlich ist. Als Ergebnis erschien ein Dossier, das mit vielen Beispielen nachwies, dass Merkel zwar international eine positive Rolle spielt, aber national beim konkreten Klimaschutz versagt. Die Resonanz der Leser(innen) war außergewöhnlich stark. Ähnliche Geschichten lassen sich sicher über Bürgermeister(innen), Wirtschaftsbosse oder andere Funkti­onsträger(innen) schreiben.
  • durch persönliche Geschichten: In einem Buch mit dem Titel „Vier fürs Klima“ beschreiben mein Mann und ich, wie unsere Familie ein Jahr lang versucht, die eigene CO2-­Bilanz zu verbessern – in dem sie anders isst, reist und wohnt. Andere Journalist(inn)en haben das getan, indem sie ihren Kleiderschrank schrumpfen, aufs Auto verzichten oder ihren Ernährungsstil verändern.
  • durch den Ausstieg aus der Filterblase: Die Umweltszene - inklusive der über sie berichtenden Journalist(inn)en - neigt zu einem gewissen Selbstbezug. Der Fokus ist begrenzt, man diskutiert und schreibt gern und viel über Klimakonferenzen, über die Aktivität oder mehr noch die Inaktivität "der" Politik und die Verhinderung einer schnellen Energiewende durch die Lobbyist(inn)en der Wirtschaft. Vielleicht noch über Studien, die die Wissenschaft ins Haus liefert und hin und wieder über ein paar Mut machende Aktivist(inn)en. – Diese Auswahl ist sicher subjektiv und nicht ganz fair, aber fest steht: Es reicht nicht, wenn nur die klassischen Umweltjourna­list(inn)en sich um das Thema kümmern. Es muss in allen Ressorts verankert werden.

Journalismus, der sich mit dem Anthropozän beschäftigt, muss also viel bunter und vielfältiger werden, als das heute in den meisten Redaktionen der Fall ist.

Mehr Kreativität seitens der Umweltaktiven

Damit das passiert, braucht es allerdings zweierlei: Es bedarf erstens einer neuen Grundhaltung der Redaktionen oder wenigstens einiger Redakteure/Redakteurinnen, die da lautet: Keine Übernutzung des Planeten! Die muss sich nicht in jedem ein­zelnen Artikel widerspiegeln, sonst wird es spaßfrei. Aber an diese Grundhaltung müssen sich mehr Leute erinnern als nur der/die Umweltjournalist(in) vom Dienst.

Und es braucht zweitens eine andere Strategie derjenigen, die sich um den Schutz der Umwelt kümmern – also der Bürgerbewegungen, der Wissenschaftler(innen), der Naturschützenden. Die müssten kreativer werden, um ihr Anliegen in die Medien zu tragen. Sie müssen raus aus der Nische! Das bedeutet konkret: Diejenigen, die mehr über das Anthropozän lesen wollen, dürfen in den Redaktionen nicht nur mit grün angehauchten Kolleg(inn)en reden. Bieten Sie dem Finanzjournalisten neue Informationen über nachhaltiges Investieren an! Schicken Sie der Expertin für Außenpolitik die Studie über die ökologischen Ursachen von Kriegen! Fragen Sie im Feuilleton nach, warum unsere Kultur so sehr auf das "Immer mehr" setzt! Schicken Sie den Bekannten aus der Wirtschaft gute Beispiele von Unternehmern, die Umweltschutz und Wirtschaften verbinden! Reden Sie mit den Kolleg(inn)en aus Zeitschriften, die über Essen berichten – warum sie noch Steaks propagieren und was die Alternative sein könnte!

Erzählen Sie also, wie und wo man handeln kann! Das alles erhöht dann übrigens auch die Chance, dass das Thema von Politiker(in­ne)n aufgegriffen wird, damit schließlich auch in der politische Debatte wieder stärker eine Rolle spielt – und so wiederum in den Medien: als ein sich selbst ver­stärkender Prozess. Der am Ende das Anthropozän zu einem Wunder macht. Weil der Mensch seine Macht richtig nutzt.